Mit Gott und Fuchs

Für ihren Beitrag zum Krieg gegen den Terror geht die Bundeswehr an die Grenze ihrer Kapazitäten.

Im Kriege zeigen sich die Dinge und die Menschen so, wie sie wirklich sind - so klein, dreckig, ängstlich, über sich hinauswachsend, mörderisch und, ach ja, heroisch. So liest man es seit der Ankündigung des Bundeskanzlers, jetzt auch deutsche Soldaten gegen den Terrorismus auf dieser Welt ins Feld zu schicken, selbst im Chat des Reservistenverbandes der Bundeswehr: »Endlich geht es los und die Truppe und ihre Vorgesetzten können beweisen, ob man mit Sachverstand und Logik einen Krieg gewinnt«, verbreitet ein Reserveheld übers Internet. Patriotismus ist angesagt: »Gott sei mit der Truppe und Jungs, kommt gesund heim!«

Das war vergangenen Dienstag, als Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Bundessicherheitsrat, den Parteiführungen und Journalisten gerade erst in die Feder diktiert hatte, welche fünf deutschen Spezialbegabungen er Washington einen Tag zuvor angeboten hatte. Vielleicht steckt hinter den Äußerungen im Chat aber auch nur Großmäuligkeit, denn Nachfragen für einen freiwilligen Afghanistan-Einsatz können derzeit an einer Hand abgezählt werden, räumt ein Sprecher des Reservistenverbandes ein. Ganz im Gegensatz zu den mittlerweile laufenden drei Balkan-Einsätzen, bei denen die Lebensbedrohung berechenbar und die Bezahlung mit bis zu 180 Mark Zulage am Tag nicht zu verachten ist. Hier soll die Nachfrage von Reservisten sogar größer sein als der Bedarf der Truppe.

Wenn das Parlament am Donnerstag dieser Woche den Antrag der Regierung zur Beteiligung der Bundeswehr an dem auf vollen Touren laufenden US-Einsatz Enduring Freedom abgesegnet hat - und nichts anderes ist zu erwarten -, dann werden 3 900 Mann in Bundeswehrkasinos ein Jahr in »Bereitstellung« sitzen. Glaubt man dem Kanzler, weiß derzeit niemand, welche Aufträge wann und wo von den angebotenen und angeforderten Kräften zu erledigen sind. Das Einsatzgebiet umfasst beinahe die halbe Welt: das Nato-Gebiet, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien, Nordostafrika und angrenzende Seegebiete. Die Kosten sind dagegen mit 550 Millionen Mark bis 2002 schon sehr präzise festgehalten.

Seit Wochen hatten Vertreter der USA und der Bundesregierung die jeweiligen Wünsche und Möglichkeiten abgeglichen. Während des Kanzlerbesuchs in den USA war der deutsche Beitrag Gesprächsthema. Mehrfach reiste der außenpolitische Koordinator im Bundeskanzleramt, Michael Steiner, in dieser Sache in die USA. Und noch bevor Schröder in der vergangenen Woche an die Mikrofone trat, hieß es aus der Bundeswehrführung: »Der Einsatz der Bundeswehr innerhalb eines Gesamtkonzepts zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist jetzt klar.« Inoffiziell sei bereits alles mit den US-Verbündeten abgesprochen. Wohl auch der Terminplan für den Abmarsch. »Im Moment werden die passenden Einheiten ausgesucht«, verriet das Verteidigungsministerium. Einige Soldaten müssten noch eine spezielle Einsatzvorbereitung durchlaufen. Vor dem Kosovo-Einsatz habe das drei Wochen gedauert. Das könnte zeitlich hinkommen, der sicher nicht völlig uninformierte verteidigungspolitische Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer (CDU), erwartet, dass der deutsche Einsatz bereits Ende November beginnt.

Es kann schon in Erstaunen versetzen, was der Bundeskanzler ab Donnerstag in Bereitschaft halten will, wenn man hört, dass die Bundeswehr schon mit den drei laufenden Einsätzen in Bosnien, im Kosovo und in Mazedonien mit zusammen rund 7 650 Mann heillos überfordert sein soll. Schließlich sind durch die alle sechs Monate nötigen Ablösungen inzwischen gut 30 000 Heeressoldaten auf dem Balkan gebunden. So hält der ehemalige Bundeswehrgeneral Klaus Reinhardt eine Beteiligung am Militäreinsatz in Afghanistan momentan nicht für möglich: »Die Bundeswehr hat die Anteile, die für Auslandseinsätze optimiert sind, derzeit auf dem Balkan eingesetzt.« Und nach Ansicht der Bundeswehrreformer soll die Armee ohnehin nur in der Lage sein, zwei »mittlere Einsätze« gleichzeitig zu fahren.

Doch was steckt nun hinter den »fünf deutschen Kostbarkeiten«, die US-Präsident Bush angeblich geordert haben soll oder die Schröder ihm aufdrängte? Für die ABC-Abwehr soll die Bundeswehr so genannte Spürpanzer vom Typ Fuchs sowie 800 Soldaten für die Verlegung in das Einsatzgebiet vorbereiten. Nach der Zahl der Soldaten könnte es sich um ein Bataillon mit vielleicht 30 Fuchs-Panzern handeln. Das hinter Panzerplatten und auf sechs Räder gesetzte Labor mit seinen vier Mann Besatzung kann chemische Kampfstoffe mit dem Massenspektrometer MM1 selbst in kleinsten Spuren erkennen und Truppen per Funk warnen. Atomare Strahlung wird mit einem Gammastrahlungsdosimeter festgestellt. Biologische Kampfstoffe können allerdings nur gesammelt und in ein Speziallabor gebracht werden. Nachdem Ussama bin Laden am vergangenen Wochenende damit gedroht oder kokettiert hatte, auch chemische und atomare Waffen gegen die USA einsetzen zu können, dürfte es keine Frage mehr sein, ob die Füchse angefordert werden oder nicht.

Die Bild-Zeitung wusste sogar schon, wohin die Reise gehen soll. Nach Usbekistan. Darauf hätten sich US-Amerikaner und deutsche Militärstäbe geeinigt, da das Land über ausreichende Flughafen- und Straßenkapazitäten verfüge. Die Zeitung Die Woche setzte dagegen auf Tadschikistan, da es hier bereits drei US-Stützpunkte gebe. Verteidigungsminister Scharping gab lieber den Harmlosen: »Es hat mir bis heute noch niemand erklären können, wie kommt der da eigentlich hin.« Auf dem Landweg sei das schlecht möglich. Vielleicht sind diese und andere Komponenten aber auch erst für den nächsten Schlag gegen den Irak oder Somalia vorgesehen. US-Geheimdienste halten es für möglich, dass Kämpfer von Ussama bin Ladens al-Qaida sich nach Somalia abgesetzt haben, wo sie eng mit der Fundamentalistengruppe Al Ittihad Al Islamija (Islamische Einheit) zusammenarbeiten.

An den Rand des jeweiligen Kriegsgebietes könnten auch die 250 Sanitätssoldaten für Evakuierungseinsätze verlegt werden. In einem umgerüsteten Airbus A 310 können sie 56 verletzte Soldaten oder sechs Intensivpatienten behandeln und ausfliegen. Die entsprechenden Einheiten waren bereits in Kambodscha Anfang der neunziger Jahre im Einsatz. Da die Sanitäter aber eher eine kleine Truppe innerhalb der Bundeswehr darstellen, gelten sie mit den Einsätzen auf dem Balkan schon seit Jahren als überlastet. Die angestrebte Heimatpause von zwei Jahren muss oft unterschritten werden. Manche Soldaten haben inzwischen fünf Einsätze auf dem Buckel. Aber wenn's Vaterland ruft, tritt die Familie eben zurück.

Zum Kontingent gehören auch 500 Soldaten für nötige Lufttransporte. Hierbei kann es sich nur um Transall-Transportmaschinen mit ihren Besatzungen handeln. Gedacht ist an bis zu fünf Maschinen, die 16 Tonnen Nutzlast, auch kleine Kraftfahrzeuge, über eine Reichweite von 1 170 Kilometern transportieren können. Im Bosnien-Einsatz mussten die Besatzungen in den betagten Maschinen mit selbst gefertigten Matten aus schussfestem Material gegen Beschuss geschützt werden. Es könnte allerdings sein, dass die US-Amerikaner die Transall extra für die propagandistische Sonnenseite ihrer Militärschläge benötigen. Mit diesen Maschinen wäre man nämlich in der Lage, Paletten mit Lebensmitteln für die sieben Millionen vom Hunger bedrohten Afghanen im extremen Tiefflug, aus zehn bis 20 Metern Höhe, weit zielgenauer abzuwerfen, als das derzeit geschieht. Nur ein Prozent der Erdnussbutter-Marmeladen-Pakete soll bisher bei der afghanischen Bevölkerung angekommen sein.

Die 100 Mann Spezialkräfte, von denen der Bundeskanzler behauptete, dass sie definitiv keine Bodentruppen seien, da sie »nicht auf Dauer am Boden bleiben«, werden wohl von Angehörigen des seit 1996 im Aufbau befindlichen Kommando Spezialkräfte (KSK) gestellt werden. In den Verhandlungen sollen die USA besonderen Wert auf die im baden-württembergischen Calw stationierte KSK-Truppe gelegt haben. Vor allem, weil die Kommandotrupps sich bereits auf dem Balkan bewährt haben, wo sie untergetauchte serbische Militärs jagten.

Auch Fernspäher, Kampfschwimmer und Minentaucher könnten gefragt sein. Etwa bei den ebenfalls angeforderten 1 800 Marinesoldaten, die nach Aussage von Bundeskanzler Schröder am Horn von Afrika, also direkt vor der Küste Somalias, Schiffstransporte mit gefährlicher Ladung schützen sollen. Auf der Route durch das Rote Meer und den Golf von Aden laufen schließlich die großen Öltanker nach Europa. Offenbar hat die US-Marine derzeit anderes zu tun. Bis zu drei Fregatten und entsprechende Versorger sowie Fernaufklärungsflugzeuge vom Typ Breguet 1 150 Atlantic könnten die Überwachung des Seegebietes übernehmen. Hier allerdings operierte die deutsche Marine beim letzten Mal, im Jahre 1993, wenig glorreich. Eine Fregatte musste nach dem überstürzten Abzug der US-Amerikaner aus Somalia eilig die letzten verbliebenen deutschen Soldaten herausholen.