Umgang mit Islamisten

Die Karawane kehrt zurück

Die ägyptische Regierung präsentiert sich als Vorbild bei der Bekämpfung des Terrors. In den achtziger Jahren hatte sie die Islamisten noch gedrängt, am Djihad in Afghanistan teilzunehmen.

Als die britische Polizei am Dienstag der vergangenen Woche in London den mutmaßlichen ägyptischen Top-Terroristen Yassir al-Sirri festnahm, dürfte Ägyptens Regierenden wohl ein Stein vom Herzen gefallen sein. Denn schon seit Jahren fordert die Führung in Kairo von der britischen Regierung eine härtere Gangart gegen islamische Extremisten aus Ägypten, die in England Asyl genießen.

Doch die Appelle aus Kairo stießen vor den Anschlägen vom 11. September bei der britischen Regierung auf taube Ohren. Bislang sah man von Restriktionen gegen die 15 islamistischen Extremistengruppen in Großbritannien ab, nicht zuletzt deshalb, weil zu befürchten war, dass sich deren Gewaltaktionen ansonsten gegen britische Interessen richten könnten. Außerdem verbietet bislang die europäische Konvention für Menschenrechte die Auslieferung von Menschen, die in Europa leben, falls sie in ihren Herkunftsländern mit Folter und Tod bedroht werden. Das gilt auch für politische Flüchtlinge.

Als solcher anerkannt, leitet al-Sirri seit acht Jahren einen Pressedienst, der im Namen der größten militant-islamistischen Organisation Ägyptens, der Gama'a Islamiya (Islamische Vereinigung), Faxe versendet und Mitteilungen publiziert. Die ägyptische Regierung wirft ihm vor, am Attentat auf den früheren ägyptischen Ministerpräsidenten Atef Sidqi beteiligt gewesen zu sein.

Ferner soll der 38jährige eine radikale Splittergruppe der Gama'a, die Tala'a al-Fath (Vorhut der Eroberung), von England aus finanziert und deren Aktivitäten ungehindert koordiniert haben. Die Gruppe war für den Terroranschlag von Luxor im Jahre 1997 verantwortlich, bei dem 58 Touristen ermordet wurden. Die ägyptische Tageszeitung al-Akhbar berichtete jetzt, dass al-Sirri per Internet auch den Kontakt zwischen Ussama bin Laden und den Mitgliedern des al-Qaida-Netzwerks hergestellt und aufrechterhalten haben soll.

Einige Wochen vor der Verhaftung al-Sirris hatten sich der britische Außenminister Jack Straw und Ägyptens Präsident Hosni Mubarak bei ihrem Treffen in Kairo auf gemeinsame Strategien zur Bekämpfung des Terrorismus geeinigt. Großbritannien kündigte an, das nationale Anti-Terror-Gesetz zu verschärfen, den Auslieferungsgesuchen Ägyptens künftig zu entsprechen und islamistischen Terrorgruppen, die von britischem Territorium aus operieren, den Boden zu entziehen. Auch andere Staaten wie Kanada, Bosnien und Uruguay entschieden jetzt, den Auslieferungsgesuchen aus Kairo künftig nachzukommen.

Späte Einsicht attestierte die ägyptische Regierungspresse vor allem den westlichen Staaten, die erst jetzt Schritte gegen ägyptische Islamisten einleiten. Im eigenen Land habe man dagegen das Terrorismusproblem im Griff. Seit dem Attentat von Luxor sind keine Anschläge militant-islamistischer Organisationen bekannt geworden. Die beiden größten inländischen Gruppierungen Gama'a Islamiya und Djihad Islami sind intern gespalten, perspektivlos und auch militärisch besiegt. Das behauptet zumindest Montasser Zayyad, ein ägyptischer Anwalt und ehemaliger Sprecher der Gama'a.

Vor dem Hintergrund der Terrorschläge vom 11. September wollte Mubarak nach außen hin noch einmal Stärke demonstrieren. So wurden Mitte Oktober 170 mutmaßliche Mitglieder der Gama'a Islamiya, die für den Tod von 250 Menschen zwischen 1994 und 1998 verantwortlich gemacht werden, einem Militärgericht überstellt. Ebenso 80 radikale Islamisten, die bereits im Mai festgenommen worden waren und angeblich in Verbindung mit al-Qaida stehen sollen. Wie die ägyptische Tageszeitung Al-Gumhuriya berichtet, stammten die Extremisten nicht nur aus Ägypten, sondern aus mehreren arabischen und asiatischen Ländern. Sie sollen Anschläge auf Gebäude und »wichtige Persönlichkeiten« in Ägypten geplant haben.

So verstand es die ägyptische Führung bislang mit Erfolg, sich auf der weltpolitischen Bühne als beispielhaft bei der Terrorismusbekämpfung zu präsentieren. »Ägypten hat die Rolle eines Schlüssellandes in der weltweiten Koalition gegen den Terror«, räsonierte denn auch Kanzler Gerhard Schröder Ende September während Mubaraks Besuch in Berlin.

Politische Kommentatoren, wie der Direktor des Zentrums für Rechtsberatung (CHRLA) in Kairo, Hisham Mubarak, zeichnen dagegen ein anderes Bild. In einem bereits vor drei Jahren erschienenen Artikel in der Cairo Times wies er darauf hin, dass zwar viele nach Europa geflohene Mitglieder oder Sympathisanten der Gama'a oder der Djihad-Bewegung dort ihre organisatorische und mediale Basis aufbauten und tatsächlich auch Anschläge planten. Die meisten Terroraktionen würden aber nicht in Europa, sondern in Afghanistan geplant. Und in diesem Zusammenhang trage die Führung in Kairo sehr wohl die direkte Verantwortung, da sie in den achtziger Jahren islamische Extremisten der Djihad-Organisation dazu ermunterte, nach Afghanistan zu emigrieren, um dort gegen die Sowjets zu kämpfen.

»Join the caravan« - so lautete der Titel einer offiziellen Einladung des ägyptischen Parlaments von 1980, um junge Ägypter für die Mudschaheddin in Afghanistan zu rekrutieren. Eine Initiative der CIA rief zu dieser Zeit die Golfstaaten sowie Ägypten dazu auf, die Ausreise für Unterstützer der Mudschaheddin zu erleichtern. Der unter dem damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat amtierende Verteidigungsminister Kamal Hassan Ali kündigte sogar das Training »afghanischer Revolutionäre« in Armeecamps an, schreibt Mubarak. Auch das islamische Seminar der Azhar-Universität beteiligte sich an der Rekrutierung jugendlicher Glaubenskrieger.

Nach dem Mordanschlag der Djihad-Organisation auf Sadat im Jahre 1981 saßen viele ihrer Aktivisten nur verhältnismäßig kurz in den Gefängnissen. Bereits 1984 kamen sie wieder frei und landeten in Peshawar - unter ihnen der Djihad-Führer Aiman al-Zawaheri, der als die rechte Hand bin Ladens gilt.

Als sich Mitte der achtziger Jahre die Gama'a Islamiya radikalisierte und der Konflikt mit der Staatsmacht eskalierte, drohten die ägyptischen Sicherheitskräfte den Islamisten, sie gezielt zu eliminieren, wenn sie nicht ihren Djihad-Kollegen nach Afghanistan folgen würden. Die militanten Islamisten außer Landes zu drängen, schien eine bequeme Lösung. Doch nachdem sie die Trainingslager dort durchlaufen hatten, kehrten die »arabischen Afghanen« Anfang der neunziger Jahre wieder nach Ägypten zurück und warteten auf ihre Einsätze; ihr erster war die Ermordung des ägyptischen Parlamentssprechers Rifa'at al-Maghoub.

In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre gelang es der ägyptischen Staatsmacht jedoch, die militant-islamistischen Gruppen weitgehend zu zerschlagen. Die inhaftierte »historische Führung« der Gama'a Islamiya machte der ägyptischen Regierung 1998 ein Waffenstillstandsangebot, das im folgenden Jahr erneuert wurde. Da konnten es sich die Regierenden in Kairo leisten, rund 1 200 reuige Gama'a-Aktivisten aus den Gefängnissen zu entlassen.

Auch die zweitgrößte islamistische Untergrundbewegung musste eine gewaltige militärische Schlappe einstecken, als es der ägyptischen Regierung in Kooperation mit der CIA im Sommer 1998 gelang, 20 hochrangige Mitglieder der Djihad-Organisation in Albanien aufzuspüren. Sie wurden nach Ägypten ausgeliefert. Nach Informationen der Neuen Zürcher Zeitung bewirkten die Verhaftungen einen Sinneswandel. Ein Jahr darauf schloss die Djihad-Organisation sich dem Waffenstillstand der Gama'a an, nachdem ihr militärischer Arm im Land bereits völlig zerschlagen war.

Aussteiger der beiden militanten Gruppen versuchten, Zulassungen für die Gründung von Parteien zu erhalten, um sich künftig politisch zu betätigen. In Afghanistan stieß dieses Vorgehen bei der ausländischen Führung unter dem Hardliner Aiman al-Zawaheri auf Protest. Die Djihad-Führung hielt am bewaffneten Kampf fest, änderte jedoch ihre politisch-ideologische Ausrichtung.

Bildeten zuvor noch die als ungläubig und pro-westlich befundenen laizistischen Regierungen in der arabischen Welt die eigentliche Zielscheibe ihrer Attacken, richtete sich ihr »heiliger Krieg« fortan gegen die USA und Israel. Die Djihad-Führung unter al-Zawaheri schloss sich 1998 bin Ladens internationaler Terrororganisation »Islamische Front gegen Kreuzfahrer und Juden« an.

Wenige Tage vor den Anschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania im August 1998 kündigte die Djihad-Organisation einen Vergeltungsschlag für die Inhaftierung und Auslieferung ihrer Gesinnungsgenossen aus Albanien an. Drahtzieher der Sprengstoffattentate sollen nach Einschätzung des FBI fünf Djihad-Aktivisten sein, die sich alle in Afghanistan aufhalten.

Nach fünf weiteren Gotteskriegern der Organisation, die bereits 1999 im ägyptischen »Albanien-Veteranenprozess« in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurden, fahndet das FBI jetzt im Zusammenhang mit den jüngsten Terroranschlägen in den USA. Vor allem nach bin Ladens engstem Komplizen al-Zawaheri, der nach Ansicht von Dia Rashwan, einem Soziologen am Kairoer Ahram-Forschungszentrum, der »Kopf der al-Qaida« sei. Die organisatorischen Fähigkeiten und die Führungsqualitäten al-Zawaheris hat die ägyptische Führung wohl weit unterschätzt, als sie ihn bereits kurze Zeit nach dem Mord an Sadat wieder auf freien Fuß setzte und ausreisen ließ.