Militarisierung der Außenpolitik

Das Umland wird größer

Die japanische Regierung erfindet ein neues Gesetz, um endlich Krieg führen zu dürfen.

Carpe diem« hieß es nach dem 11. September nicht nur in den USA, wo George W. Bush sich beeilte, politisches Kapital aus den Geschehnissen zu schlagen, indem er darauf hinwies, die vorgesehene Kündigung des ABM-Vertrages mit Russland sei völlig richtig gewesen und er werde jetzt erst recht an ihr festhalten. In Deutschland werkeln Otto Schily und die so genannten innenpolitischen Experten der Opposition mit viel Enthusiasmus bereits in der zweiten Runde an weiteren Verschärfungen der Gesetzgebung gegen MigrantInnen und spielen Rasterfahndung, als hätte ausgerechnet der Diskurs über BürgerInnenrechte nach den diversen Vorstößen im Sommer noch einer Verschlimmerung bedurft.

Auch in Japan hat die Regierung aufgepasst und ihre Chance gesehen. Dort freilich standen von Beginn an außenpolitische Entscheidungen im Vordergrund. Die Liberaldemokratische Partei, die seit 1955 fast durchweg die Regierungen gestellt hat, gefällt sich - ähnlich wie die Berliner Republik - darin, die Rolle der in der internationalen Politik Benachteiligten zu spielen. Dabei schielt die japanische Regierung nicht nur nach einem Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, sie würde wenigstens hin und wieder gerne auch mal ein bisschen Krieg spielen dürfen.

Das aber erlaubt die Verfassung nicht. Deren Artikel 9, der 1946 von der US-amerikanischen Besatzungsmacht diktiert wurde, verbietet ausdrücklich sowohl das Unterhalten von Streitkräften als auch die Anwendung von Gewalt zur Lösung außenpolitischer Konflikte. Doch in Japan hat man diesen Passus sehr schnell ausgehöhlt, schneller sogar als die Deutschen, die ebenfalls einige Vorgaben umgehen mussten. Ein Jahr bevor mit dem Bundesgrenzschutz der Vorläufer der Bundeswehr geschaffen wurde, stellte Japan - auf Weisung der USA - im Juli 1950 ein Polizei-Reservekorps in der beachtlichen Stärke von 75 000 Mann auf. Seit 1954 dürfen sich diese Truppen Selbstverteidigungskräfte (SVK) nennen, sie zählen heute zu den am besten ausgerüsteten Armeen der Welt.

Doch was ist die schönste Armee wert, wenn sie nicht hin und wieder ihre Geräte im Ernstfall ausprobieren darf? Und wozu hat man Soldaten, wenn nicht der eine oder andere heldenhaft sein Leben lässt? So gibt es nicht nur seit 1952, dem Ende der US-amerikanischen Besatzung, Diskussionen über die Änderung der Verfassung, um den leidigen Artikel 9 loszuwerden, man hat auch allerlei umständliche Gesetze geschaffen, um der Auslegung ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

Bereits in den späten achtziger Jahren begann Japan, Zivilisten im Rahmen von peace keeping operations (PKO) der Uno zu entsenden. Vor allem die US-amerikanische Kritik an der »Scheckbuchdiplomatie« im Golfkrieg gegen den Irak 1990/91, als Japan gleichsam als Kompensation für das Fehlen eigener Soldaten 13 Milliarden Dollar in die Kriegskasse zahlte, führte dazu, dass im Juni 1992 genügend innenpolitischer Druck vorhanden war, um das »PKO-Gesetz« verabschieden zu können. Das erlaubte erstmals die Entsendung von 2 000 Soldaten im Rahmen eines UN-Mandats, wenn auch unter vielen Einschränkungen (u.a. der Zustimmung des Ziellandes, einem Einsatz nur bei Existenz eines Waffenstillstands und der Ausrüstung mit nur leichten Waffen).

Die Teilnahme an zahlreichen Missionen vor allem in Asien (Kambodscha 1992 bis 1993, Tadschikistan 1995, Indonesien 1999) folgte, auch die ersten Toten waren erwartungsgemäß zu beklagen. 1999 schließlich erreichte die Regierung die Zustimmung zum »Gesetz zur Friedenssicherung im Umland«, das im Zusammenhang der Erneuerung des bilateralen Sicherheitsvertrages mit den USA 1997 entstand. Der Aktionsradius für die SVK war hiermit ausgeweitet, weil der Einsatz von Waffen nicht mehr so rigiden Bedingungen unterlag und Such- und Rettungsoperationen sowie Unterstützungsmaßnahmen für die USA - insbesondere Materiallieferungen - zum Repertoire der Handlungsmöglichkeiten hinzukamen.

Doch einen entscheidenden Haken hat das Gesetz von 1999 immer noch. Es gilt eben nur für Japan und das »Umland«, Pakistan oder der Indische Ozean dürften selbst bei weitester Auslegung kaum als »Umland« Japans in Frage kommen. Genau dahin aber, bzw. jedenfalls möglichst nahe an Afghanistan heran, sollen nach dem Willen des Premierministers Junichiro Koizumi und seiner Partei aber die Mannen der SVK, um bei der so genannten Friedensstiftung mithelfen zu können.

Also musste ein neues Gesetz her. So beschloss das Unterhaus in der vergangenen Woche ein »Sondergesetz zur Ergreifung von Anti-Terror-Maßnahmen«. Waffen sollen die SVK demnach nicht nur zur Verteidigung des eigenen Lebens benutzen dürfen, sondern auch, wenn Flüchtlinge oder andere Soldaten, mit denen man kooperiert, gefährdet sind. Davon abgesehen ist der Gesetzesentwurf, der in dieser Woche noch das Oberhaus passieren muss, nicht viel mehr als eine Ausweitung des »Gesetzes zur Friedenssicherung im Umland« auf beliebige Einsatzgebiete.

Die japanische Regierung denkt dabei weniger an Friedenssicherung oder humanitäre Hilfe als daran, eine Existenzberechtigung für die SVK zu schaffen. So gestand Koizumi bei seiner Befragung im Oberhaus am 10. Oktober bereitwillig ein, dass man nach der Verabschiedung des Gesetzes wohl auch bei Angriffen auf andere Länder als Afghanistan dabei sein werde. So hatte sich zuvor in der ganzen Welt kein anderer Regierungschef geäußert. Ein Abgeordneter der Kommunistischen Partei bezeichnete Koizumis Bemerkung daher zu Recht als »Blankoscheck«.

In Japan ist nun eine heftige öffentliche Diskussion um das Gesetz entbrannt. Während Friedensgruppen und die Kommunistische Partei ihre Proteste zu gleichen Teilen gegen die US-amerikanischen Vergeltungsschläge wie auch gegen die Gesetzespläne Koizumis richten und auf den offensichtlichen Verfassungsbruch hinweisen, sieht die größte Oppositionskraft im Parlament, die Demokratische Partei, nur Probleme in den Details.

Insbesondere die Frage, wer wann einer Entsendung zustimmen muss, hat zu längeren Verhandlungen mit der Regierung geführt, die ursprünglich das Parlament ganz übergehen wollte.