Europa will den USA beistehen

Flexible Response

Die USA verzichten vorerst auf den Beistand der Nato. Nicht alle europäischen Partner sind darüber glücklich.

Die meisten Nato-Staaten werden vorerst auf ihren Einsatz im Krieg gegen den Terrorismus warten müssen. Denn der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz überbrachte seinen Kollegen in der Nato auf deren informellem Treffen am vergangenen Mittwoch in Brüssel die unmissverständliche Botschaft: »Im Moment sehen wir die Notwendigkeit einer kollektiven Aktion nicht.« Bei verschiedenen Ministern gab es lange Gesichter, denn so mancher hatte zu Hause schon um Verständnis für die aktive Beteiligung am Krieg gegen die Terroristen geworben.

»Wir sollten keine kollektive Anfrage an die Nato erwarten, die USA werden sich vielmehr an einzelne Länder wenden«, tröstete der belgische Verteidigungsminister André Flahaut seine europäischen Kollegen und versuchte sich in diplomatischem Verständnis: »Die Amerikaner bestehen auf einer gewissen Autonomie und Flexibilität.«

Die Ausrufung des Bündnisfalls sei auch niemals das Ziel des Treffens gewesen, erklärte der Nato-Sprecher Yves Brodeur vor Journalisten. Anderslautende Informationen, wie sie etwa der deutsche Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping vor dem Treffen in einem Fernsehinterview geäußert hatte, seien offenbar »fehlgeleitet« gewesen.

Die US-Delegation legte in Brüssel nur wenige neue Ermittlungsergebnisse zu den Anschlägen vom 11. September vor. Solche Belege wären bekanntlich die Voraussetzung dafür, den Artikel fünf des Nato-Vertrags, also den Bündnisfall, zu bemühen. Nato-Diplomaten gaben am Rande des Treffens zu verstehen, eine gemeinsame Aktion bringe nicht nur Vorteile. Es sei schwer vorstellbar, dass die USA im Nato-Rat etwa mit Island oder Luxemburg über Militärschläge beraten würden. »Es ist völlig klar, dass sich die USA auf den Beistand ihrer Partner verlassen können«, versicherte dennoch Nato-Generalsekretär George Robertson nach dem Treffen.

Wahrscheinlich ist, dass sich die USA zunächst auf die Hilfe der gut ausgebildeten britischen Truppen beschränken werden. Es wird vermutet, dass sich bereits britische Spezialeinheiten im Norden Afghanistans aufhalten. Der britische Premier Tony Blair machte von Anfang an keinen Hehl aus seinem Wunsch, am amerikanischen Gegenschlag mitzuwirken. Zwar muss sich Blair inzwischen mit rassistischen Übergriffen auf Moslems in seinem Land auseinandersetzen. Seine Kampfansage an die afghanischen Taliban bleibt jedoch ungebrochen. »Wir haben die Macht, dem Regime sehr beachtlichen Schaden zuzufügen.«

Dass sie nicht gleich dabei sein können, ärgert viele europäische Politiker. Die Idee »mehrerer Koalitionen« sei sinnvoll, erklärte der französische Verteidigungsminister Alain Richard, »man kann nicht die Deutschen, die Ägypter und die Japaner um dasselbe bitten«. Die Verlautbarungen aus Paris nach den Anschlägen waren zunächst eher zurückhaltend. Seitdem bemühte sich der französische Premier Lionel Jospin aber, aufkommende Zweifel zu beseitigen. »Frankreich wird sich nicht seiner Verantwortung entziehen«, sagte er in der vergangenen Woche. Staatspräsident Jacques Chirac hatte kurz nach den Anschlägen vollkommene Übereinstimmung von Paris und Washington angekündigt. Diese Solidarität sei keineswegs ein Blankoscheck für die USA, machte Jospin daraufhin klar. Eventuelle Aktionen müssten »strategisch proportioniert, militärisch gerechtfertigt und politisch kohärent« sein, ließ der Premier am Montag vor einer Woche verlauten.

Derweil sind andere offensichtlich bemüht, die europäische Diplomatie lahm zu legen. Silvio Berlusconi nutzte seinen Besuch in Berlin, um seine Weltanschauung eindeutig zum Ausdruck zu bringen. »Wir müssen uns der Überlegenheit unserer Zivilisation bewusst sein«, forderte der italienische Regierungschef in der italienischen Zeitung La Stampa. »Bei uns«, fuhr er fort, »werden die Menschenrechte sowie die religiösen und politischen Rechte respektiert, was es in den islamischen Ländern sicher nicht gibt.« Die Fähigkeit zur Integration, zur Toleranz, zur Solidarität machten aus Europa etwas, worauf man stolz sein könne. »Der Westen wird weiterhin Völker erobern, so wie es ihm gelungen ist, die kommunistische Welt und einen Teil der islamischen Welt zu erobern, aber ein anderer Teil davon ist um 1 400 Jahre zurückgeblieben.«

Das sind Sätze, die nicht nur in Italien auf Kritik stoßen. »Ich kann nicht glauben, dass Herr Berlusconi derartige Bemerkungen machen konnte«, sagte betreten der belgische Ministerpräsident und amtierende EU-Ratspräsident, Guy Verhofstadt, am Donnerstag. »Solche Bemerkungen können auf gefährliche Weise Folgen haben und Gefühle der Demütigung bewirken.« Zum Beispiel, wenn woanders in der islamischen Welt für Solidarität geworben wird. Unter dem Motto »Flankenschutz« tourt derzeit eine EU-Troika durch den Nahen Osten. Belgiens Außenminister Louis Michel, der EU-Sicherheitsbeauftragte Javier Solana und der EU-Kommissar Chris Patten bereisen Pakistan, Iran, Saudi-Arabien, Ägypten und Syrien.

Die Botschaft, die sie überbringen, fasst Chris Patten so zusammen: »Der Islam darf nicht mit dem Terrorismus gleichgesetzt werden, genauso wenig wie die IRA mit der christlichen Kirche.« Die EU-Delegation wirbt auch für Solidarität im Kampf gegen islamistische Terroristen. Die EU-Vertreter saßen gerade im Büro des iranischen Außenministers Kamal Charasi, als Berlusconis Bemerkungen die Runde machten.

In Berlin hielt man sich bislang mit einer Verurteilung von Berlusconi zurück. »Wir sind gegen jede Art der Diskriminierung und Pauschalisierung«, sagte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye am Freitag vor Journalisten in Berlin. Bundeskanzler Gerhard Schröder, der zum ersten Mal mit Berlusconi zusammentraf, gab indessen keinen Kommentar ab.

Am Tag zuvor hatte er die Einigkeit mit seinem italienischen Kollegen demonstriert und betont, es gebe keine Probleme in den Beziehungen zwischen Italien und Deutschland. Berlusconi sprach sogar von einer »völligen Übereinstimmung« mit Schröder in allen behandelten Fragen.