Ein Jahr nach dem Beginn der Al-Aqsa-Intifada

Bombe am Ende des Tunnels

Ein Jahr nach dem Beginn der Al-Aqsa-Intifada zwingen die USA Arafat und Peres an den Verhandlungstisch.

Auf nachdrückliche Empfehlung der USA gab Israels Ministerpräsident Ariel Sharon in der vergangenen Woche grünes Licht für ein Treffen seines Außenministers Shimon Peres mit dem Vorsitzenden der palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Jassir Arafat. Es war bereits seit sechs Wochen avisiert, musste aber wegen der gewaltsamen Auseinandersetzungen immer wieder verschoben worden. Arafat hatte bereits eine Woche zuvor, ebenfalls zur Besänftigung der USA, eine informelle Feuerpause verkündet.

Nachdem die israelische Armeeführung tatsächlich eine spürbare Verminderung der bewaffneten Auseinandersetzungen festgestellt hatte, erging zu Beginn der vergangenen Woche die ultimative Order Washingtons an Jerusalem, dass »innerhalb von 24 Stunden« das Treffen stattfinden müsse. Schließlich brauchte US-Präsident George W. Bush endlich Ruhe im israelisch-palästinensischen Konflikt, um seine Anti-Terror-Allianz mit Ländern wie Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten und Syrien zu schmieden.

Eine bittere Pille, die Israels Premier zu schlucken hatte. Musste er doch vorerst seine Grundsätze umwerfen, dass er »nicht unter Feuer« mit den Palästinensern verhandeln werde und der »palästinensische Terror« sich nicht auszahlen dürfe. Zuvor war über dem Streit um das vom Sozialdemokraten Peres angestrebte Treffen die von Sharons rechtskonservativem Likud-Block geführte israelische Regierungskoalition fast auseinandergebrochen.

Dabei sah es bis zur vergangenen Woche eher danach aus, als ob Peres' Arbeitspartei aus der Regierung austreten würde. Doch auch ohne die Sozialdemokraten, die derzeit ohne offiziellen Parteivorsitzenden vor sich hin kriseln (Jungle World, 38/01), hätte Sharons Kabinett dank der Beteiligung der rechts-religiösen und nationalistischen Parteien weiterhin eine Mehrheit in der Knesset gehabt.

Mangels effektiver Druckmittel ließ sich Peres' Vorhaben also kaum realisieren, bis Sharon in der letzten Woche dem US-amerikanischen Drängen nachgab und das Zusammentreffen von Peres und Arafat im Gaza-Streifen ermöglichte. Neben den beiden Spitzenpolitikern nahmen daran hochrangige Vertreter des Militärs und der Sicherheitsdienste beider Seiten teil.

Dabei gab es nur wenige greifbare Ergebnisse bei den knapp zweistündigen Gesprächen. Anstelle einer zunächst angekündigten Pressekonferenz ververlas der palästinensische Unterhändler Saeb Erekat im Anschluss an die Begegnung lediglich eine kurze gemeinsame Erklärung. Darin bekennen sich beide Seiten zu einem Waffenstillstand gemäß dem Tenet-Plan und zu weiteren Verhandlungen gemäß den Mitchell-Empfehlungen, die unter anderem einen kompletten israelischen Siedlungsstopp vorsehen.

Konkret vereinbart wurde ein gemeinsames Sicherheitskomitee, das bereits zwei Tage später in Tel Aviv über die weitere Umsetzung des Tenet-Planes beriet. Er enthält im Wesentlichen eine Aufhebung der israelischen Blockade palästinensischer Städte, den Rückzug der israelischen Armee auf Stellungen, die sie vor Beginn der so genannten Al-Aqsa-Intifada eingenommen hatte sowie die Durchsetzung und Einhaltung des Waffenstillstandes auf palästinensischer Seite.

Daran haperte es allerdings schon während der Gespräche vom Mittwoch. Denn die israelische Armee ging mit Panzerfahrzeugen gegen palästinensische Stellungen im Flüchtlingslager Rafah vor; drei Palästinenser fielen dem Angriff zum Opfer, der nach palästinensischen Angaben »eine der schwersten Auseinandersetzungen seit Beginn der Intifada« war. Die Kämpfe waren auch am Verhandlungsort, dem Flughafen von Gaza, nicht zu überhören.

Doch tatsächlich waren es die Palästinenser, die in Gaza die Feuerpause gebrochen hatten. Eines ihrer Kommandos hatte in einem Tunnel unter dem strategisch wichtigen israelischen Armeeposten Termit eine 100-Kilo-Bombe gezündet. Drei israelische Soldaten wurden verletzt, der Posten wurde beschädigt. Offenbar war die an der Grenze zu Ägypten installierte Armeestellung ins Visier der Palästinenser geraten, weil sie dem regen Waffenschmuggel von Ägypten nach Gaza hinderlich war, den die Fatah vermutlich mittels geheimer Tunnel betreibt.

Die israelische Armeeführung beschuldigte daraufhin den palästinensischen Sicherheitschef von Gaza, Mohammed Dahlan, der Mitwisserschaft an dem Anschlag. Bemerkenswerterweise war er bei dem israelisch-palästinensischen Treffen nicht zugegen. Dahlan war es auch, der es im palästinensischen Rundfunk ablehnte, 108 Personen zu verhaften und auszuliefern, denen Israel vorwirft, an Terroranschlägen auf Israelis beteiligt gewesen zu sein.

Wegen des Treffens von Peres und Arafat brach sogleich auf dem rechten Flügel der Regierung Sharons Hektik aus. Die Allianz aus der Nationalen Union und Israel Beitanu von Infrastrukturminister Avigdor Lieberman und Tourismusminister Rechavam Ze'evi beschloss am vergangenen Mittwoch, zusammen mit der säkular-nationalistschen Einwandererpartei Israel B'Aliyah und der sephardisch-orthodoxen Shas-Partei eine gemeinsame Front gegen Peres zu bilden. Diese vereinigte Rechte, die sich auf 28 Knesset-Abgeordnete stützen könnte, wäre dann in der Lage, den Regierungschef mit ihren Forderungen unter Druck zu setzen. Demnach sollten alle Straßen in den besetzten Gebieten, auf denen jüdische Siedler beschossen worden sind, für Araber geschlossen werden, gegen die palästinensischen Massenmedien sollten wegen fortgesetzter anti-israelischer Hetze »Schritte unternommen« werden und Dörfer, in die Palästinenser nach Angriffen auf Israel fliehen, sollten bis zur Auslieferung der Angreifer hermetisch abgeriegelt werden.

Lieberman und Ze'evi erwarten eine positive Resonanz Sharons auf ihre Forderungen. Dann könnte Peres seinen Verbleib in der Regierung erneut überdenken, so die Hoffnung der beiden rechten Politiker. Lieberman gab sich optimistisch und meinte, der Premierminister habe schon wieder »wie der alte Sharon« geklungen. Allerdings waren bis Redaktionsschluss die Verhandlungen noch im Gange.

Unklar war insbesondere das weitere Vorgehen im Falle einer negativen Reaktion Sharons. So sagte der Vorsitzende der Shas-Partei, Eli Yishai, dem staatlichen israelischen Rundfunk, dass trotz der Ablehnung von Verhandlungen mit den Palästinensern derzeit die »Aufrechterhaltung der Regierung der Nationalen Einheit« am wichtigsten sei und Shas für den Fortbestand der Koalition arbeiten werde. Selbst zwischen der Nationalen Union und Israel Beitanu gab es in dieser Frage noch Differenzen.

Doch auch auf palästinensischer Seite will derzeit bis auf Arafat offenbar kaum jemand Verhandlungen. Einer Umfrage des Ost-Jerusalemer Media and Communication Center zufolge unterstützen 85 Prozent der Palästinenser eine Fortsetzung der Al-Aqsa-Intifada. Fast 50 Prozent meinten, dass gewalttätige Angriffe sowohl innerhalb Israels als auch in der Westbank und im Gazastreifen ausgeführt werden sollten und dass ihr Ziel die »Befreiung ganz Palästinas« sei. Angesichts dieser Vernichtungswünsche ist es kaum verwunderlich, dass bei der Frage nach den bevorzugten Organisationen die Hamas Arafats Fatah fast eingeholt hat.

Doch selbst auf seine Hausmacht kann sich der alternde PA-Vorsitzende kaum noch verlassen. Denn nicht nur die radikal-islamistischen Organisationen Hamas und Islamischer Jihad lehnten den Waffenstillstand ab, sondern auch Marwan Barghouti, der Fatah-Generalsekretär in der Westbank. Ihm unterstehen die mit illegalen Waffen bestückten Tanzim-Milizen. Da der 41jährige auch bei den palästinensischen Massen so beliebt wie sonst wohl nur Arafat ist, könnte der von Israel geforderte Versuch, die Tanzim zu entwaffnen, zu einem offenen Konflikt Arafats mit Barghouti führen.

So dürfte bereits jetzt klar sein, dass der Waffenstillstand entweder die Sicherheit der Israelis nur auf dem Papier verbessert oder zu einer bewaffneten Eskalation zwischen den verschiedenen palästinensischen Fraktionen führen wird. Obwohl Beobachter wie Matt Rees vom Time Magazine oder Ehud Ya'ari vom Jerusalem Report Ansätze einer solchen Eskalation sehen, dürfte diese Variante derzeit wohl die unwahrscheinlichere sein.