Innenministerium will Staatenlose nach Rumänien ausweisen

Erschlichene Abschiebung

Das Bundesinnenministerium will Staatenlose nach Rumänien ausweisen.

Aufgrund einzuhaltender Vorlaufzeiten bitten wir Ihre Mandantschaft dahingehend zu informieren, dass sich die beiden Elternteile der Familie Radulecsu/Petconi am 30.08.2001 ab 06.00 Uhr für die Abholung durch ein Transportkommando der Bereitschaftspolizei des Landes Rheinland-Pfalz bereithalten«, schrieb die Kreisverwaltung Altenkirchen Ende Juli.

Ghila Radulescu und Lucica Petconi sind staatenlose Roma aus Rumänien. Seit 13 Jahren lebt das Ehepaar in Deutschland, jetzt soll es abgeschoben werden. »Deutschland akzeptiert nicht das Staatenlosenabkommen von 1954«, sagt Ghila Radulescu. Andernfalls dürfte Deutschland die Staatenlosen nicht abschieben und müsste ihnen endlich Passersatzdokumente ausstellen. Eine Petition an den rheinland-pfälzischen Landtag und ein Anordnungsverfahren zur Aussetzung der Ausweisung haben die Kreisverwaltung veranlasst, die Abschiebung vorerst zu vertagen.

Ghila Radulescu blickt auf viele Jahre der Demütigung zurück. Seit 13 Jahren bekomme er nur Duldungen für kurze Zeit, manchmal nur für drei Monate. Die Ausländerbehörde mache ihm immer wieder klar, dass er in Deutschland unerwünscht sei. Einige Familien hätten Deutschland verlassen, weil sie den Druck der Behörden nicht mehr aushielten.

Als seine Tochter eine Arbeitserlaubnis beantragte, um eine Ausbildung als Zahnarzthelferin zu beginnen, sollte das Ehepaar zuerst unterschreiben, dass es freiwillig nach Rumänien ausreist. Eine bloße Duldung erlaubt es Ghila Radulescu nicht, zu arbeiten. »Der liebe Staat zahlt eher 4 000 Mark Sozialhilfe für eine Familie, als eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Und dann fragen die Leute, warum du nicht arbeitest.«

Besonders wütend ist Radulesu, wenn die Staatenlosen grundlos als »auffällig oder kriminell« diffamiert werden. Als »auffällig« gelten bereits alle, die nicht mit einem Visum für einen Daueraufenthalt eingereist sind.

Das Bundesinnenministerium (BMI) spart bei der Kategorisierung Staatenloser aus Rumänien nicht mit Adjektiven. Da gibt es »so genannte echte, falsche und nicht identifizierbare Staatenlose«. Die »echten« werden unterteilt in »auffällig gewordene« und »nicht auffällig gewordene«. Ghila Radulescu reagiert auf seine Art: »Ich schicke Ihnen mein Führungszeugnis!« Diese Geste der Offenbarung macht deutlich, in welcher Verteidigungsposition sich staatenlose Roma in Deutschland befinden.

Pogrome, soziale und ökonomische Not veranlassten insbesondere Roma und Angehörige der ungarischen und bulgarischen Minderheiten Ende der achtziger Jahre, in westeuropäische Länder zu flüchten. Ihre Asylanträge wurden in der Regel mit dem Hinweis abgelehnt, dass es in Rumänien keine staatliche Verfolgung von Roma gebe. Berichte von Flüchtlingen und Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR dokumentierten dagegen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen an Roma in Rumänien.

Einige der Flüchtlinge wurden damals aus der rumänischen Staatsbürgerschaft entlassen. Bis 1999 war es gesetzlich möglich, den rumänischen Pass abzugeben, ohne eine andere Staatsbürgerschaft angenommen zu haben. Deshalb droht den Staatenlosen nun das Verhängnis, abgeschoben zu werden, obwohl sie staatenlos sind.

Das dazu passende Vokabular haben die Behörden schon gefunden: »Sich etwas erschleichen« - im Wörterbuch heißt das, sich durch Täuschung oder listige Machenschaften einen Vorteil zu verschaffen. Mit dieser Vokabel stigmatisieren deutsche Behörden die Staatenlosen aus Rumänien. Die Entlassung in die Staatenlosigkeit sei nicht rechtmäßig gewesen. » Sie haben die rumänische Staatsbürgerschaft aufgegeben, um sich den Aufenthalt in Deutschland zu erschleichen«, so das Bayerische Staatsministerium des Inneren.

In einer Presseerklärung des Bundesinnenministeriums heißt es dazu: »Schily begrüßte die Bereitschaft Rumäniens, die Ausreisepflichtigen zurückzunehmen, die sich durch den Verzicht auf die rumänische Staatsangehörigkeit jahrelang einer Aufenthaltsbeendigung entziehen konnten.« Weiter schreibt das BMI, dass jetzt »eine abschließende Lösung der Staatenlosenproblematik« in greifbare Nähe gerückt sei.

Viele Romafamilien wehren sich gegen ihre Ausweisung, da dafür keine rechtliche Grundlage bestehe. Es sei in Rumänien rechtlich möglich gewesen, die Staatsangehörigkeit aufzugeben. 1996 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht, dass der Status der Staatenlosigkeit nicht von seiner Entstehung abhänge und auch bei freiwilligem Verzicht eintrete. Auch seien Staatenlose, die ihre Staatenlosigkeit beenden können, nach dem Staatenlosenabkommen dazu nicht verpflichtet.

Doch das Bundesinnenministerium ist seit Jahren bemüht, Staatenlose nach Rumänien abzuschieben. Bei so genannten Altfallregelungen wurden sie nicht berücksichtigt. Im Gegenteil: Obwohl die meisten schon länger als zehn Jahre in Deutschland leben, legte man ihnen mit einer monatlich zu erneuernden Duldung und einem Arbeitsverbot die »freiwillige« Ausreise nahe.

Mit einem 1992 geschlossenen Abkommen verpflichtete sich die rumänische Regierung, ihre Staatsangehörigen aufzunehmen. 1998 wurde zudem eine Ergänzungsregelung getroffen, die nun auch ehemalige rumänische Staatsangehörige betraf, die aber von rumänischen Behörden nicht befolgt wurde. Im Mai dieses Jahres hat der rumänische Innenminister, Ioan Rus, Bundesinnenminister Otto Schily die ernsthafte Bereitschaft signalisiert, alle ehemaligen rumänischen Staatsangehörigen wieder aufzunehmen. Das ist nämlich eine von mehreren Bedingungen dafür, dass die Visumspflicht für rumänische Staatsbürger bei Reisen in die Staaten der EU aufgehoben wird.

Willkommen sind die Staatenlosen in Rumänien allerdings nicht. Sie gelten als unpatriotisch, weil sie freiwillig ihren Pass abgegeben haben. Das BMI spricht von rund 800 Personen, die aus Deutschland ausgewiesen werden sollen.

Nach Informationen von Henning Marquardt, einem Mitarbeiter der Caritas-Flüchtlingsberatung in Wiesbaden, sind aber weit mehr Staatenlose von der Abschiebung bedroht: »Die Zahlen sollen wohl heruntergespielt werden.«