Sanfte Kritik der Grünen an Schilys Einwanderungskonzept

Die Guten ins Töpfchen

Die Grünen fordern nur kosmetische Korrekturen an Schilys Einwanderungsgesetz.

Zerknirscht traten in der vergangenen Woche die grüne Fraktionsvorsitzende Claudia Roth und ihr innenpolitischer Sprecher Cem Özdemir zu nächtlicher Stunde vor die Presse. Die Koalitionsrunde zum Thema Zuwanderung war gerade gescheitert. »Nicht zustimmungsfähig« nannte Roth den von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) vorgelegten Gesetzesentwurf. Inzwischen gilt die Diskussion um das Papier als »Zerreißprobe« für die Koalition, Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) droht, die Debatte für seinen nächsten rassistischen Wahlkampf auszuschlachten, und sogar innerhalb der SPD regt sich Widerstand gegen Schilys Entwurf. Mehrere sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete, unter ihnen die Menschenrechtsexpertinnen Karin Kortmann und Lilo Friedrich, haben Änderungen gefordert.

Dass sich die Grünen jetzt mit Schily auf Konsenssuche begeben und sich mit ihm die Nächte um die Ohren schlagen müssen, liegt an ihrem erstaunlichen Sinneswandel. Vor sechs Wochen begrüßte die Partei den Referentenentwurf euphorisch und erhob ihn zum Regierungsprogramm. Seinerzeit sah auch Claudia Roth in dem Papier eine »gute Grundlage«. Erst jetzt, nachdem Organisationen wie Pro Asyl und die Kirchenverbände das Papier als »schlichte Katastrophe« bezeichnet haben, melden auch die Grünen Kritik an, ohne den Entwurf grundsätzlich in Frage stellen zu wollen.

Aber es ist absehbar, dass am Ende der Verhandlungen auch die Grünen einer modifizierten Fassung des Reformentwurfes wahrscheinlich zustimmen werden. Der Druck der Unionsparteien dürfte hierbei nur die anstehende Einigung der Koalition befördern. Die Vorsitzende der Bundestagsexpertenkommission, Rita Süssmuth (CDU), äußerte sich sogar optimistisch, dass auf der Grundlage des Schily-Papiers ein koalitionsübergreifender Konsens gefunden werden könne. Diese Einschätzung ist nicht ganz unbegründet. Denn strittig sind vor allem die Fragen des Familiennachzugs und der nicht staatlichen Verfolgung. Dagegen sind sich alle über das Prinzip der volkswirtschaftlichen Verwertbarkeit von Einwanderern und der Zusammenfassung des Asyl- und Ausländerrechts in nur noch zwei Aufenthaltstitel einig.

So muss davon ausgegangen werden, dass sich trotz aller noch möglichen Änderungen in Einzelfragen die gesetzliche Unterscheidung in Gewollte und Geduldete durchsetzt. Eine Konsequenz wäre die kontrollierte Abschöpfung des internationalen Arbeitsmarktes, die als Ergänzung zur grenzpolizeilichen Abschottung der EU gegenüber den Armutsregionen an ihrer Peripherie zu sehen ist. Das Aufenthaltsrecht wird umdefiniert; die unerwünschte Einwanderung von Flüchtlingen wird rechtlich abgekoppelt und sozial noch schärfer sanktioniert als bisher.

Entscheidend für die Zugangsrechte zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen, für Bewegungsfreiheit und Mitspracherechte soll künftig nicht mehr der Aufenthaltstitel, sondern der Aufenthaltszweck sein. Der Aufenthalt zur Erwerbstätigkeit würde damit rechtlich anders gestellt als beispielsweise der Familiennachzug. Einreisemotivation und Marktqualifikation werden zu Kriterien für die Erteilung des Aufenthaltsrechts und somit für die Berechtigung, am gesellschaftlichen Reichtum teilzuhaben. Schlechte Karten also für Analphabeten aus den kurdischen Bergen oder für Minenopfer aus dem westlichen Afrika, die in Deutschland auf eine ähnliche Art von der Wohlstandsgesellschaft ausgeschlossen werden sollen wie ihre Herkunftsregionen im globalen Maßstab.

Statt der allseits geforderten Integration soll die Verarmung der Ungewollten im deutschen Aufenthaltsrecht verankert werden. Das Asylbewerberleistungsgesetz soll nach dem Referentenentwurf restriktiver gefasst werden und für die gesamte Dauer des Asylverfahrens gelten. Jetzt schon erhalten Flüchtlinge um mehr als 30 Prozent geminderte Sozialleistungen und diese zumeist in Form von Sachwerten. Die Geltungsdauer der Regelung ist derzeit allerdings auf höchstens drei Jahre begrenzt. Grundlage für das zeitliche Limit ist die Bindung an das im Bundessozialhilfegesetz festgeschriebene Ziel, dem Einzelnen ein eigenverantwortliches Leben in Würde zu ermöglichen. Die von Kirchen und Asylorganisationen eingeklagte Gleichheitsmaxime als Grundlage aller Integrationsprogramme soll in Zukunft rechtlich nicht mehr gelten. Damit würden Flüchtlinge formal vom Recht auf ein menschenwürdiges Leben ausgeschlossen.

Der Kern des Schily-Papiers ist die Umformulierung des Flüchtlingsbegriffs. Der Status eines Flüchtlings wird in der Genfer Flüchtlingskonvention durch objektive Gewaltverhältnisse bestimmt, unabhängig von persönlicher Schuld oder Unschuld. Bei berechtigter Angst vor Verfolgung hatte ein Flüchtling bislang Anspruch auf Schutz. Auch bei abgelehnten Asylbewerbern musste in solchen Fällen eine Duldung erteilt werden.

Im Referentenentwurf des Innenministeriums sollen nun der Flüchtling als Handelnder und seine Motivation ins Zentrum der gesetzlichen Regelung rücken. Es ist vorgesehen, dass ein Aufenthaltstitel generell nicht mehr gewährt wird, »wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist«.

Um dennoch einen Aufenthaltstitel zu erhalten, soll der Flüchtling die Unmöglichkeit seiner Ausreise selbst nachweisen. Seine Weigerung, »freiwillig« auszureisen wird wiederum mit verschärftem Kontrolldruck bis zur Internierung sanktioniert. Der Wunsch, in Deutschland zu bleiben, würde damit zu einem Tatbestand. Auch so genannte Nachfluchtgründe sollen künftig keinen geschützten Status mehr begründen. Eine politische Betätigung in Deutschland, derentwegen dem Asylsuchenden in seinem Herkunftsland Verfolgung droht, wird ihm als schuldhaftes Verhalten angelastet. Das bedeutet einen eklatanten Verstoß gegen die Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention.

Auf diese grundsätzliche Aufweichung des Flüchtlingsschutzes dürften sich am Ende wohl auch die Grünen, die an einzelnen Punkten »Nachbesserungen« fordern, einlassen. Das Kernstück des Referentenentwurfs, die scharfe Trennung zwischen nützlichen Einwanderern und Flüchtlingen, die man aus »humanitären Gründen« im Lande duldet, wird von ihnen mitgetragen. Letztlich liegen sie damit im europaweiten Trend, Flüchtlingen nur noch in Ausnahmefällen Schutz zu gewähren. Stattdessen wird mit regionalen und »konfliktbezogenen Lösungsmodellen« vor Ort interveniert. Flucht wie Migration sollen politisch gesteuert werden, wobei lediglich die konkrete Form der Sanktionsmaßnahmen, mit deren Hilfe die Steuerung erfolgt, noch zur Debatte steht.

Mit ihrer anfänglichen Zustimmung zu Schilys Entwurf waren die Grünen bei der Wahl der Zwangsmaßnahmen selbst im europäischen Maßstab weit vorausgeeilt. Das hielt ihnen ausgerechnet ihr nach Paris gewechselter Kollege vor, der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit. »Ein absoluter Skandal« sei das Papier und erinnere an die Politik Jörg Haiders.

Nun versuchen Claudia Roth und Cem Özdemir, den Entwurf auf jenen repressiven Standard herunterzuhandeln, der in Europa üblich ist. Dazu zählt beispielsweise ein gewisses Maß an Freizügigkeit gegenüber denjenigen, die es trotz strategischer Grenzabschottung und restriktiver Anerkennungspraxis geschafft haben. Bis zum Alter von 18 Jahren, so die Grünen jetzt, sollen jugendliche Angehörige nachreisen dürfen. Weiterhin sollen auch sexuelle Gewalt und die Verfolgung durch nicht staatliche Parteien und Milizen als Asylgründe anerkannt werden. Weil Bundesinnenminister Otto Schily selbst das schon zuviel ist, bleiben die Grünen aber kompromissbereit.

Vielleicht hilft ihnen am Ende die innerparteiliche Opposition der SPD, ihr Gesicht ein bisschen zu wahren. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) etwa übte fundamentale Kritik an Schilys Papier. Sie schätzt die schlechtere soziale Absicherung von Asylbewerbern als »verfassungsrechtlich problematisch« ein und gab dem Entwurf nach einem Bericht des Spiegel die Note mangelhaft.