Rüstungsexporte in die Türkei

Zündende Exportideen

Die Rüstungsexporte in die Türkei florieren. Auch die Lieferung von Munitionszündern wurde von Rot-Grün genehmigt.

Am 5. August dürfte bei den Grünen wieder einmal die Alarmstufe rot ausgelöst worden sein. Und zwar durch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die feststellte, dass die Bundesregierung offenbar ihre Meinung über Rüstungsexporte in die Türkei geändert habe. Der Bundessicherheitsrat, ein unter der Leitung des Bundeskanzlers Gerhard Schröder geheim tagender Ausschuss des Bundeskabinetts, dem Außenminister Joseph Fischer, Wirtschaftsminister Werner Müller, Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul angehören, hatte den Export von Munitionszündern des Wehrtechnikunternehmens Diehl-Stiftung in die Türkei genehmigt.

Ausgerechnet in die Türkei. Die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, musste wieder einmal die Verteidigungsstellung einnehmen. Von einer Liberalisierung der Rüstungsexporte, vor allem in Richtung Türkei, könne nicht die Rede sein. Hier handele es sich »um eine Unterstellung, die sich durch die Praxis nicht bestätigen lässt«, antwortete sie nur einen Tag später in der Welt. Gerade über Rüstungsexporte in die Türkei, glaubt Beer, werde »sehr stringent nach dem Kriterium der Menschenrechte entschieden«. Da sich die Lage für die Kurden in der Türkei weiter verschlechtert habe, gebe es keinen Grund, »unsere Position zu ändern«. So viel zur Theorie.

In der Praxis hatte das Nürnberger Unternehmen Diehl-Stiftung im Frühjahr eine Klage gegen die Bundesregierung wegen der Behinderung von Exportgeschäften eingereicht. Erstmals versuchte eine Rüstungsfirma, gegen die neuen Exportrichtlinien mit juristischen Mitteln vorzugehen. In der Märzausgabe des Behörden Spiegel betonte Thomas Diehl, der Geschäftsführer des Familienunternehmens, das führend in der Herstellung von so genannter intelligenter Munition und von Lenkflugkörpern ist: »Da die nationalen Absatzmärkte für wehrtechnische Güter zu klein sind, ist für unser Unternehmen der Exportmarkt sehr wichtig und auch in Zukunft unverzichtbar.«

Die Berücksichtigung der Menschenrechtsfrage bei der Genehmigung der Firmenexporte sieht Diehl kritisch, da hier auch Urteile von »nicht amtlichen Organisationen«, wie etwa amnesty international, von Gewicht seien. Seine Schlussfolgerung lautet: »Streng genommen dürfte die Bundesrepublik Deutschland militärisches Material bei sich selbst nicht einkaufen, da unser Land im jährlichen amnesty-international-Bericht immer wieder beschuldigt wird, Menschenrechtsverletzungen zu begehen.«

Immerhin sollen die Klage und eine Empfehlung aus dem Kanzleramt zur Genehmigung der Lieferung im Bundessicherheitsrat geführt haben, gegen entsprechende Stimmen aus dem Auswärtigen Amt. Und das ist eine herbe Abfuhr für die Grünen. Selbst wenn die Militärs in der Türkei am Ende doch einen anderen Lieferanten der Zünder auswählten, sieht die Rüstungsindustrie in der Entscheidung ein wichtiges Signal der Bundesregierung, die Wettbewerbsposition der Wehrtechnikunternehmen stärken zu wollen. Der CSU-Abgeordnete Christian Schmidt verlangte sodann nach dem nächsten logischen Schritt. »Folgerichtig und konsequent« müssten nun auch »die Panzerlieferungen in die Türkei durch Außenminister Fischer freigegeben werden«.

Die Entscheidung im Bundessicherheitsrat muss einer ähnlichen Logik gefolgt sein. Zünder sind schließlich nur Teile eines Waffensystems. Die Affären um die anderen Teile liegen einige Jahre zurück. Im Januar 1999 berichtete die Militärzeitschrift Jane's Defence Weekly, dass die deutsche Firma Heckler & Koch im Rahmen eines zehnjährigen Modernisierungsprojektes mit der Produktion von 500 000 Gewehren des Typs G36 für die türkische Armee beginne. Die Bundesregierung wollte damals nichts bestätigen oder dementieren.

Im Sommer 2000 folgte dem Gewehr die passende Munition vom Nato-Kaliber 5,56 Millimeter. Das Wirtschaftsministerium musste bestätigen, dass der Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen GmbH die beantragte Genehmigung für den Bau einer Munitionsfabrik erteilt wurde. Zuvor war das 90 Millionen Mark teure Projekt in Ankara feierlich vereinbart worden. Damals konnte Angelika Beer noch richtig in die Luft gehen: »Die Zustimmung ist nicht nachvollziehbar«, es handele sich um einen Verstoß gegen den Geist der Exportrichtlinien. Sogar den Bundessicherheitsrat wollte sie nach dieser Entscheidung durch das Parlament kontrollieren lassen.

Dieses Jahr sollten die Zünder folgen, die eine Gruppe von 20 staatlichen Rüstungsbetrieben der Türkei bei Diehl bestellt hatte. Angelika Beer rechtfertigte diese neuerliche Verletzung der Exportrichtlinien mit juristischen Gründen. Die Industrie habe die Regierung zum Handeln gezwungen. Auch von Verträgen, die die Regierung Kohl noch abgesegnet habe, war die Rede. Im Herbst 1998 aber hatte es die neue Bundesregierung in der Hand. Damals wurde die Lizenzproduktion der G36-Gewehre mithilfe von Beschränkungen des Waffenexports aufgeschoben.

Ende Februar erfuhr Angelika Beer - diesmal aus dem Rüstungsexportbericht der eigenen Regierung -, dass deutsche Firmen 1999 Waffen und Rüstungsgüter im Wert von 5,9 Milliarden Mark ausführten, mehr als zu Zeiten Helmut Kohls. Allein in die Türkei gingen Waffen für 1,9 Milliarden Mark. Angesichts dieser Tatsache meinte ihr Fraktionskollege Hans-Christian Ströbele resigniert: »Wir sehen mit einem weinenden Auge, dass sich die Exporte in den letzten Jahren sogar erhöht haben, das kann ich nicht gut finden, aber das muss man hinnehmen.«

Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat da andere Prioritäten. Natürlich gebe es »Mängel, was Menschenrechte angeht«, aber schließlich sei die Türkei ein Mitglied der Nato, dem man eine Perspektive zum EU-Beitritt ermöglichen wolle, sagte er auf dem Höhepunkt der Diskussion um die Lieferung der 1 000 Leopard-Kampfpanzer an die Türkei.

So wie er denkt wohl auch die Mehrheit der Generalität. Brigadegeneral a.D. Franz F. Lanz, der Präsident des Förderkreises Deutsches Heer, betonte, dass das außenpolitische Handeln gegenüber »unserem türkischen Partner« nicht durch »umstrittene moralische Kategorien« bestimmt werden dürfe. Schließlich stelle die von religiösem Fundamentalismus, Wasserknappheit, Armutsmigration sowie irakischer und iranischer Machtambitionen bedrohte Türkei die Achillesferse der Nato dar. Vergleichbar sei das nur mit der Lage an der innerdeutschen Grenze vor 1990.

Deutsches Interesse sei es, die türkischen Streitkräfte so auszurüsten, dass die gefährdete Ostgrenze auch ohne Unterstützung der Nato gesichert werden könne. Ganz in diesem Sinne formuliert die SPD-Abgeordnete Verena Wolleben: »Lieber schicken wir deutsche Kampfpanzer als deutsche Wehrpflichtige zum Einsatz in die Türkei!« Immerhin könnten Exporte auch dafür benutzt werden, »unsere demokratische Militärphilosophie vom Staatsbürger in Uniform« in die »Köpfe der Machteliten zu übertragen«. So steht die Welt endlich wieder auf den Füßen, wenn auch in Stiefeln.