Prozess wegen Homosexualität in Ägypten

Hausboot am Nil

Die Kritik war eindeutig: Als einen Prozess, der wohl »die schlimmsten Züge des ägyptischen Justizwesens aufzeigt«, bezeichneten Human Rights Watch und die International Gay and Lesbian Human Rights Commission das Verfahren gegen 52 Männer, das in der vergangenen Woche vor einem Gericht in Kairo eröffnet wurde. Den Angeklagten wird vorgeworfen, »unmoralische Praktiken betrieben« und »den Glauben missbraucht« zu haben. Zwei von ihnen werden bezichtigt, eine extremistische Gruppierung ins Leben gerufen zu haben.

Die Männer waren im Mai während einer Polizeirazzia auf einem Hausboot am Nil festgenommen worden. Der Nachtclub in Kairo galt als beliebter Party-Treffpunkt für Homosexuelle. Es hielten sich auch mehrere ausländische Besucher auf dem Boot auf. Von diesen wurde jedoch keiner festgenommen. Man wollte wohl vermeiden, der angeschlagenen ägyptischen Tourismusindustrie noch mehr zu schaden.

Bereits am Tag nach der Inhaftierung scheute sich die Staatsanwaltschaft nicht, die abstrusesten Vorwürfe gegen die Angeklagten an die ägyptische Presse weiterzuleiten. Die Männer hätten sich häretischen Ritualen und wilden Gruppensex-Orgien hingegeben. In der regierungsnahen Tageszeitung Al-Ahram war die Rede von einem neuen Kult der Teufelsanbeter, der Gefolgsleute des abassidischen Poeten Abu Nawas aus dem 8. Jahrhundert, die aufgefordert seien, im Toten Meer schwimmen zu gehen, um sich vom Wasser segnen zu lassen. Ein anderes Blatt forderte gar die sofortige öffentliche Hinrichtung der Männer. Namen und Details der Herkunft und der beruflichen Tätigkeiten der Angeklagten wurden in mehreren Zeitungen veröffentlicht.

Der Fall erinnert an eine Diffamierungskampagne der Presse vor rund drei Jahren, als 78 Teenager inhaftiert wurden, weil sie angeblich Anhänger eines Satanistenkultes seien. Das jetzige Verfahren wiegt jedoch schwerer. In dem bislang größten Homosexuellenprozess in Ägypten drohen den Angeklagten fünf Jahre Gefängnis. Seit zwei Monaten befinden sie sich in Untersuchungshaft, Menschenrechtsaktivisten und Anwälte berichteten, dass sich die Männer nach der Festnahme erniedrigenden Leibesvisitationen aussetzen mussten, bei denen geprüft wurde, ob sie zuvor Analverkehr gehabt hatten. Auch sollen die Angeklagten während zahlreicher Verhöre so lange geschlagen worden sein, bis sie Geständnisse ihrer angeblich homosexuellen Neigungen ablegten. Ferner hinderte man sie daran, Kontakte zu ihren Familienangehörigen und Anwälten aufzunehmen.

Der Fall hat inzwischen internationale Proteste hervorgerufen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das Verfahren rechtlich sehr umstritten ist. Da Homosexualität nach ägyptischem Recht nicht ausdrücklich verboten ist, wird den Angeklagten wegen der Verbreitung extremis-tischer Ideen der Prozess vor einem Staatssicherheitsgericht gemacht - unter Notstandsgesetzgebung. Diese Gesetze waren 1981 in erster Linie gegen radikale Islamisten erlassen worden, die vor Staatssicherheitsgerichten Angeklagten können nicht in Berufung gehen. »Was die Regierung hier macht, ist Leute für etwas zu bestrafen, was kein Verbrechen ist«, meint Gazer Abd El-Razek vom Hisham Mubarak-Zentrum für Menschenrechte in Kairo.

Der Stimmungsmache von Journalisten und Angehörigen der konservativen islamischen Azhar-Universität ist es zuzuschreiben, dass Homosexualitat in der ägyptischen Öffentlichkeit heute nicht mehr nur als Tabubruch betrachtet wird. Trotz der zweifelhaften Rechtslage haben nicht nur Politiker und Islamisten, sondern auch große Teile der Bevölkerung wenig Sympathien für die Angeklagten. Sogar einige ägyptische Menschenrechtsorganisationen zögern, sich des Falles anzunehmen.