Internationales Kriegsverbrechertribunal

Last Exit Den Haag

Milosevics Überstellung nach Den Haag bringt das internationale Recht zur Implosion. Wenn Politiker sich wie Gangster aufführen, kündigt sich die Herrschaft des Mob an.

Die Kommentare zur Überstellung Slobodan Milosevics nach Den Haag erinnern an das Diktum von Hannah Arendt, »die politische Weltanschauung des Mob« ähnele der bürgerlichen auf verblüffende Weise - mit dem Unterschied allerdings, dass sie von »jeder Heuchelei gereinigt« sei. Ohne Heuchelei nun kommen Focus und Spiegel neuerdings aus, wenn der jüngst in Den Haag verurteilte Goran Jelisic als »Serben-Adolf« tituliert wird, wenn Milosevic als »renitent« denunziert wird, weil er sich als »nicht schuldig« bezeichnet, oder wenn 1,25 Milliarden Dollar Aufbauhilfe für Jugoslawien ein angemessenes »Kopfgeld« genannt werden.

Diesem Jargon der Medien, die nicht müde werden, die Illegalität des Coups lobend hervorzuheben, entsprechen die Vorbereitung und die Durchführung der Auslieferung Milosevics. Benehmen und Sprachduktus der Beteiligten erinnern frappierend an Mafiafilme, auf deren Wortschatz und Weltbild hiesige Medien wie selbstverständlich zurückgreifen. »Klar ist: Die Auslieferung von Milosevic nach Den Haag ist die Folge (...) auch politischer Manipulation. Doch (das) entwertete weder das UN-Kriegsverbrechertribunal noch seine Urteile. Im Gegenteil.« (taz)

In der Hymne auf den sanktionierten Gesetzesverstoß drückt sich ein Formprinzip bürgerlicher Herrschaft aus, die regelmäßig ihre eigenen als lästige äußere Zwänge empfundenen Rechtsstandards außer Kraft setzen lässt. Die unmittelbare Herrschaft des Mob kündigt sich dort an, wo die Handlungen von Politikern und Gangstern ununterscheidbar werden, beobachtete Hannah Arendt. Anders als die außenpolitische Intervention, die sich ihrer kriminellen Tat bewusst ist und sie, wie etwa in der Iran-Contra-Affäre, zu verschleiern sucht, also gültige Rechtsnormen gleichwohl akzeptiert, zeichnet sich dieses »Ordnungsprinzip des Mob« dadurch aus, dass die Täter ihre Gesetzesverstöße stolz als Umsetzung »abstrakter Gerechtigkeit« feiern.

Nun scheint mit internationaler Zustimmung auch im Völkerrecht zu gelten, was man hierzulande schon ab Mitte der siebziger Jahre praktiziert hat. Ein Beobachter der RAF-Prozesse vermutete damals, dass »die treibende Kraft ein zu Recht bestehendes schlechtes Gewissen sein (dürfte), welches die Jus-tiz dazu zwingt, wütend um sich zu schlagen, um sich selber zu entlasten«. An Peter-Jürgen Boock, so Wolfgang Pohrt, wurde nämlich nachträglich »der Massenmord an den Juden gerächt«.

In den RAF-Prozessen antizipierte die BRD, dass die einst als »deutscher Sonderweg« gefürchtete Form des Kapitalismus mittlerweile in der ganzen Welt zum Maßstab wird. Denn so, wie im Boock-Prozess die Richter ihre Missachtung der bürgerlichen Klassenjustiz demonstrierten, zeigt sich heute die deutsche Ablehnung des einst von den Siegern des Zweiten Weltkrieges verabschiedeten Völkerrechts.

So wie in westlichen Ländern die im Innern praktizierte Klassenjustiz einen Begriff von Klassenkampf ebenso voraussetzt wie die Fähigkeit, nach Beendigung des Konfliktes ihre repressivsten Formen wieder abzubauen, fußt das internationale Recht auf der Souveränität des bürgerlichen Nationalstaates. In beiden Fällen ist die Judikative beauftragt, die Einhaltung gewisser Grundregeln zu überwachen, um zu verhindern, dass bürgerliche Herrschaft zu dem Willkürregime wird, das sie im Grunde schon immer ist.

Anders in Deutschland, wo der längst geschlagene Gegner erst »Opfer der vor- und nachsorgenden Sozialhygiene« wird und man ihn »im Stil des alten Volksgerichtshofes (...) als 'Lügner und Mörder' beschimpft. Das Bündnis aus Mob und Elite (...) hat hier die Form einer Personalunion angenommen. Nachsetzen, Verfolgen, Vernichten ist für den zum Juristen aufgestiegenen Kammerjäger nicht Pflicht, sondern Leidenschaft.« (Pohrt)

Mit Wohlgefallen entdecken die Medien eine solche Leidenschaft nun auch bei der Chefanklägerin Carla del Ponte, weil sie beispielsweise wisse, dass der Angeklagte »lange hinter Gittern bleibt« (ZDF). Die Vorverurteilung ist in der Gerichtswelt gemeinhin verpönt, aber hierzulande nicht ungewöhnlich. Bereits vor dem Prozessbeginn in Stammheim erklärte der Richter Prinzing, die Angeklagten würden lebenslänglich eingesperrt werden. Beklagten sich allerdings damals Linksliberale wie Roderich Reifenrath noch über die mangelnde »Souveränität hinter dem Richtertisch«, wo es »keine Erfahrung mit aggressiven Angeklagten diesen Schlages (gibt), die mit Hilfe einiger Verteidiger nur den großen politischen Auftritt inszenieren wollten«, sind in diesem Bereich Fortschritte zu verzeichnen. So berichtete die taz beifällig, man habe Milosevics Erklärung, das Haager Tribunal sei nur eine falsche Rechtfertigung für die Verbrechen der Nato, »durch ein Abschalten des Mikrofons« beendet.

Dass es um die Person Milosevics so wenig geht wie früher um die Boocks, daraus macht niemand einen Hehl. Verurteilte man den einen ohne Beweise zu dreimal lebenslänglich plus 15 Jahren, wird dem anderen der Tod von 577 Menschen zur Last gelegt, wobei, wie das Gericht erklärt, es problematisch werde, dem Angeklagten seine angeblichen Taten auch nachzuweisen.

Vielmehr richtet sich die Verhaftung Milosevics genauso wie der Angriffskrieg der Nato aus deutscher Sicht gegen die Ordnung, die sich, nach dem letzten großen Aufbruch der Deutschen, im Jahr 1945 als Zusammenschluss souveräner Nationalstaaten in der UN zu reorganisieren suchte.

Weil die gewaltsame Beseitigung der »westlichen Ideologie«, wie der Nazijurist Walter Frank 1936 das Prinzip des bürgerlichen Nationalstaates bezeichnete, miss-lang, soll nun, so der Spiegel-Autor Thomas Darnstädt, die auf dem »Westfälischen Frieden errichtete Ordnung« der europäischen Territorialstaaten mit den Mitteln der Justiz zerstört werden. In Den Haag identifiziert Darnstädt deshalb den Vorgänger jenes im Jahr 2004 zu errichtenden internationalen Strafgerichtshofs, vor dem »die Souveränität von Staaten (...) ebenso wenig (zählt) wie (...) Immunität von Staatsmännern«.

Entsprechend erwartungsvoll sieht man in der Festnahme eines längst gestürzten, machtlosen Staatschefs auch das Vorspiel zu ganz anderen Prozessen. Erst mit dem Ende des Westfälischen Friedens nämlich hofft man, jene auf dem Nationalstaat fußende kapitalistische Weltordnung, als deren Nutznießer hierzulande vor allem die USA und das Weltjudentum gelten und als deren ewiges Opfer die Deutschen sich formieren, endlich aus den Angeln heben zu können.

Deshalb geht es nicht um die mögliche Abstrafung der Saddam Husseins oder Pinochets, mit denen man vielmehr wirtschaftlich und weltanschaulich eng verbunden ist. Schluss sein soll vielmehr damit, dass, »wer nach dem Zweiten Weltkrieg abermals einen anderen Staat angriff, schlimmstenfalls eine UN-Resolution riskierte - wie mehrfach Israel« (Spiegel). Deshalb auch fordern Antiimperialisten den »Palästinenserschlächer Scharon« (Gerhard Lange) als »Völkermörder« zu bestrafen, während Christian Schmidt-Häuer in der Zeit zufrieden feststellt, »dass die Richter von Den Haag nicht nur Despoten das Fürchten lehren, sondern auch Demokratien, die allein auf ihre Vorrechte bedacht sind«. Vor allem natürlich die USA.

Wenn dann am 2. Juli die Frankfurter Rundschau bekannt gibt, dass »der Zerfall des demokratischen Lagers kein Grund zur Beunruhigung, im Gegenteil eine wünschenswerte Entwicklung« sei, ist zwar von Serbien die Rede, gemeint aber sind offensichtlich all jene westlichen Staaten, die bislang unter diesem Begriff firmierten.

Nicht von ungefähr warnte deshalb ausgerechnet Henry Kissinger, Flüchtling vor den Nazis und zugleich Personifikation des klassischen US-Imperialismus, vor einer »Tyrannei der Richter«. Sein im Kalten Krieg geschultes Verständnis von Außenpolitik signalisierte ihm, dass das von den USA forcierte Abgreifen Milosevics nicht mehr, wie die Bush-Adminstration offenbar annahm, ein Kabinettstückchen in der Tradition des Einmarsches in Grenada war, sondern dass es die geltende Geschäftsgrundlage westlicher Politik überhaupt in Frage stellt.

Noch droht nur Christian Semler in der taz und nicht das deutsche Außenamt, dass »mit der Schubkraft des Milosevic-Prozesses für den Internationalen Strafgerichtshof, den die USA sabotieren, auch sie strategisch zu rechnen haben werden«. Aber erst vor diesem Hintergrund gewinnt ein Gesetzentwurf der Republikaner im US-Senat seinen Sinn, der vorsieht, dass GIs, die in den Gewahrsam dieses Strafgerichtshofes geraten, mit militärischen Mitteln befreit werden können.

Einzig ein derart interessegeleiteter Skeptizismus aber könnte noch die Reste einer Weltordnung erhalten, die früher noch ihre Aufhebung in einer Assoziation freier Produzenten versprach und sich nun mit der von Berlin und damit von Brüssel vorgegebenenen Rasanz in Barbarei verwandelt.