Kleine Geschichte des Frauenfußballs

Oberst Schiel und die Turbine

Die zurzeit in Deutschland stattfindende Europameisterschaft im Frauenfußball kann auf eine lange Geschichte zurückblicken.

Die achte Europameisterschaft im Frauenfußball begann gemächlich. Am vergangenen Samstag startete sie mit dem Spiel Deutschlands gegen Schweden. Gekickt wird in zwei Gruppen à vier Teams, das Halbfinale findet in der nächsten Woche, am Mittwoch, dem 4. Juli, das Finale am Samstag, dem 7. Juli, statt.

Die Gemächlichkeit sorgt einerseits dafür, dass sich um das Turnier der besten europäischen Kickerinnen keine hektische Betriebsamkeit entfalten kann wie bei Männerturnieren, wenn Fans und Journalisten täglich von einem Ort zum anderen reisen, um Spiele, Pressekonferenzen, öffentliches Training und Gerüchte konsumieren zu können. Andererseits erinnert die Gemütlichkeit des in Thüringen und Baden-Württemberg ausgetragenen Turniers auch an die sehr langsame und von langen Pausen unterbrochene Entwicklung dieser Sportart.

Der erste Frauenfußballverein der Welt wurde schon 1894 gegründet: der British Lady Football Club in London. Und auch ohne Verein wurde von Frauen schon vorher gebolzt, historisch übermittelt ist es zum Beispiel aus dem Schottland des frühen 18. Jahrhundert.

»Die verheirateten und die unverheirateten Frauen von Kaledonien versammelten sich auf den Hügeln über Inverness für ein einjährlich wiederkehrendes Ritual«, schreibt der britische Historiker David J. Williamson. »Zwei Bäume sind die Torpfosten, und in der Mitte des Spielfeldes liegt schon die frisch gefüllte Tierblase bereit. Die beiden Gruppen stehen einander gegenüber - verheiratete Frauen auf der einen Seite und unverheiratete Mädchen auf der anderen. Wie in jedem Jahr, so ist auch diesmal das Spielfeld von Männern umrundet. Sie sind hierher gekommen, um sich aus dem Team der unverheirateten Ladies eine Braut auszuwählen. Oder aber, um ihre Ehefrauen im Spiel anzufeuern, die vielleicht noch im vergangenen Jahr in den Reihen der Gegnerinnen gestanden haben.«

Die Journalistin Beate Fechtig hat für ihr Buch »Frauen und Fußball« (edition ebersbach, Dortmund 1995) noch frühere Quellen ausfindig gemacht. Im Frankreich des 12. Jahrhunderts spielten Bäuerinnen mit einem mit Schleifchen besetzten Lederball »la soule«. Fußballähnliche Spiele sollen auch bei Eskimofrauen populär gewesen sein.

Die britischen Pionierinnen des Vereinsfußballs hatten schon um 1900 erste Erfolge. Quasi als Showtruppen reisten erfolgreiche Teams von Stadt zu Stadt, um für ihren Sport zu werben und Geld mit ihren Auftritten zu verdienen. Der Profifußball hatte sich in England schon früh etabliert, und weil er als sozialistisch-proletarische Errungenschaft galt, formierten sich zunächst keine nennenswerten Widerstände gegen den Umstand, dass Frauen auch Geld damit verdienten.

Im Jahr 1902 erging von der heute noch existierenden Football Association (FA), die Weisung an ihre Mitgliedsvereine, dass Spiele gegen »Lady Teams« verboten seien. Gleichwohl entstanden in allen Städten Teams. Sogar in Deutschland, in Frankfurt/Main, soll es um die Jahrhundertwende eine Frauenfußballmannschaft gegeben haben.

»Der eigentliche Grundstein zur Etablierung des Frauenfußballs wurde in England während der Kriegsjahre gelegt«, schreibt Fechtig. »Die klassische Rollenverteilung wurde aufgeweicht: Auf dem Lande übernahmen die Frauen die Feldarbeit ihrer in den Krieg gezogenen Männer, in den Städten arbeiteten sie in den Fabriken.« Da sei, so zitiert Fechtig britische Historiker, ein neuer Geist der Solidarität und der Kameradschaft enstanden, für den das Fußballspiel ein guter Ausdruck gewesen sei. Williamson schreibt: »Anfang 1921 war es, als ob ein Frauen-Fußballfieber das ganze Land ergriffen hätte. Jedes größere Dorf hatte nun ein eigenes Frauenteam, in den Städten - vor allem im Norden - gab es sogar mehrere gleichzeitig.«

Das Spitzenteam der zwanziger Jahre waren die Dick Kerr's Ladies, die Betriebsmannschaft einer Munitionsfabrik. Sie spielten im Dezember 1920 einmal vor 53 000 Zuschauern im Goodison Park des FC Everton in Liverpool. Einige Monate vorher, im März 1920, trugen die Dick Kerr's Ladies auch das erste internationale Match der Frauenfußballgeschichte aus. Gegen Femina Paris gewannen die Londonerinnen vor 61 000 Zuschauern in Chelsea mit 2:1.

Allerdings hatten Frauenfußballspiele »mehr den Charakter einer Wohltätigkeitsveranstaltung als wettkampfsportlichen Wert«, schreibt Fechtig. Im Jahr 1921 machten sich Gerüchte über Finanzskandale breit. Der Historiker Williamson glaubt zwar an ein Komplott, aber dennoch beschloss die FA im Oktober 1921, dass »keine Frauenfußballspiele mehr« auf den Geländen von Mitgliedsvereinen stattfinden dürfen.

Eine eigene Verbandsgründung, die zur Folge haben sollte, dass Frauenfußball nicht mehr unter dem Dach der FA gespielt werden muss, erfolgte zwar, blieb aber wirkungslos. Man hatte halt keine Plätze. Der Boom des Frauenfußballs in England war vorbei. In anderen Ländern, wo der neue Sport auch Fuß gefasst hatte, wenngleich nicht mit solcher Popularität, sollte der gesellschaftliche Rückschritt auch bald beginnen.

In Deutschland bildeten sich in den zwanziger Jahren etliche Frauenfußballteams; meist wild, also ohne Vereinsanbindung, aber oft auch im Rahmen der bürgerlichen oder proletarischen Sportbewegung. 1930 wurde in Frankfurt/Main der 1. Deutsche Damen-Fußballclub (DDFC) gegründet, und eine der Gründerinnen, die mittlerweile 89jährige Lotte Specht, berichtete jüngst im Berliner Tagesspiegel über die Widerstände: »Damals wehte schon ein brauner Wind. Es hieß, die deutsche Frau raucht nicht und sie spielt nicht Fußball.« Einen Aufschwung konnte der DDFC nicht bewirken, Gegnerinnen gab es auch nicht, so dass die wenigen Spiele gegen Männermannschaften ausgetragen wurden.

1933 kamen die Nazis an die Macht, und in deren Frauenbild passte wieder nur Gymnastik. »Der Frau muss für ihre mütterliche Aufgabe die ihr vom Schicksal bewahrte Einheit des Wesens und der Lebensschau erhalten bleiben«, hieß es bei Henni Warninghoff, der Reichsfrauenwartin im Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen. »Für sie gibt es daher in der Leibeserziehung nur eines: vielseitige natürliche Übungsformen mit organisch wachsender Leistungssteigerung in enger Verbindung mit den Kräften der Natur.«

Da bedurfte es nicht mal eines offiziellen Verbotes. Erst 1955 stand eine offizielle Einführung des Damenfußballs, wie man damals sagte, auf der Tagesordnung des DFB - und der lehnte wie selbstverständlich ab. Die Sporthistorikerin Gertrud Pfister erklärt diese Selbstverständlichkeit so: »Der öffentliche Diskurs über den Frauensport wurde von einem Neuaufguss der Polaritätstheorie stark beeinflusst. Danach waren Frauen aufgrund einer angeblich fließenden und runden Motorik und eines kindlichen Wesens nur für einige wenige Übungen, u.a. Gymnastik, Tanz oder Eislauf, geeignet.«

Die »Argumente« gegen Frauenfußball waren die immergleichen: den Ball mit der Brust zu stoppen, bewirke Brustkrebs; Frauen hätten nicht die Kondition, ein ganzes Spiel durchzustehen; es sei unästhetisch. Der niederländische Psychologe Fred J.J. Buytendijk schrieb 1953 in einer Studie über das Fußballspiel: »Das Treten ist wohl spezifisch männlich; ob darum das Getretenwerden weiblich ist, sei dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich!«

Verschwunden sind die tretenden Ladies trotz solcher Studien nicht. Sie galten nur als unfein, nicht förderungswürdig, nicht integrierbar in einen anständigen und ordentlichen Ligabetrieb. Beate Fechtig berichtet: »Auf Privatinitiative wurde 1957 in Berlin dennoch ein erstes internationales Turnier veranstaltet, das damals sogar als Europameisterschaft im Frauenfußball vom Berliner Tagesspiegel angekündigt wurde. Frauenteams aus England, Holland, Österreich und Deutschland traten im eigens angemieteten Poststadion gegeneinander an. Doch die Veranstaltung floppte. Das Publikumsinteresse war gering, die Kosten überstiegen bei weitem die Einnahmen.« Die Veranstalter wurden zehn Tage nach dem Turnier dem Richter vorgeführt.

In der Bundesrepublik gab es in den sechziger Jahren wieder Bemühungen, eine Organisation zu gründen. Ein Team aus Frankfurt/ Main gab sich 1968 den kuriosen Namen »Oberst Schiel«. In Europa übernahm die CSSR eine Vorreiterrolle. Sparta Prag gründete 1968 seine erste offizielle Frauenfußballmannschaft. Ende der sechziger Jahre gab es auch erste Frauenspiele in der DDR. 1970 fand in Italien die erste, noch inoffzielle Frauenfußball-Weltmeisterschaft statt, die aber seriöser organisiert war als die erste »Europameisterschaft« in Berlin. Dänemark wurde vor 35 000 Zuschauern in Turin erster Weltmeister. Nun tat sich auch was im Westen, Frauen-Fußball wurde im Oktober 1970 vom DFB legalisiert. Es gab plötzlich einen Spielbetrieb mit Bundesliga und Meisterschaft.

In der DDR kam der Ball erst später ins Rollen. Ab 1974 gab es erste Teams, ab 1979 »Bestenermittlungen«, also faktische DDR-Meisterschaften, die bloß nicht mit einem solchen Titel endeten. Auch auf eine Frauennationalmannschaft musste man bis zu den Wendewirren warten. Und das erste Länderspiel war dann auch das letzte. Am 9. Mai 1990 verloren die DDR-Frauen gegen die CSFR vor 800 Zuschauern im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion mit 0:3. Immerhin, mit Turbine Potsdam entstand schnell ein Team, das sich seit Jahren in der deutschen Spitze hält.

Mittlerweile gibt es eine semiprofessionelle Bundesliga, und immer mehr der besten Kickerinnen zieht es in die USA, wo schon drei der aktuellen deutschen Nationalspielerinnen kicken. Dort existiert eine Profiliga, in der die Spielerinnen fünfstellige Summen im Monat verdienen können.