Proteste gegen die Globalisierung

Globale Hexenmeister

WEF, IWF und Weltbank sind nicht zu dämonisieren, sondern als der Wertvergesellschaftung adäquate Institutionen zu kritisieren. Und »ungleicher Tausch« ist nicht der Grund für das Elend in der Welt, sondern eine problematische Kategorie.

Vom 1. bis 3. Juli werden sich in Salzburg Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zum World Economic Forum treffen. Bereits seit geraumer Zeit mobilisieren Linke aus Deutschland, Österreich und anderen Ländern gegen dieses Meeting und hoffen, an die Proteste von Seattle, Prag, Davos und Göteborg anknüpfen zu können.

Bei aller Richtigkeit und Notwendigkeit der Schelte von personalisierender Kapitalismuskritik, die fast immer dazu tendiert, Kritik in Ressentiment aufzulösen und nicht selten in die Nähe antisemitischer Projektionen gerät, liegt man nicht völlig falsch, wenn man jene Eliten, die sich in Salzburg versammeln werden, für das Elend dieser Welt mitverantwortlich macht.

Zwar ist es wahr, dass die warenproduzierende Gesellschaft von subjektloser Herrschaft geprägt ist und Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse über weite Strecken keine unmittelbaren, sondern dinglich vermittelte, keine personalen, sondern sachliche sind. Aber richtig ist es doch auch, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Exponenten des WEF oder auch des IWF und der Weltbank mit ihrem Handeln ziemlich unmittelbar den Tod von unzähligen Menschen verursachen.

Auch wenn sie mit ihrer Tätigkeit nur Systemimperative erfüllen, selbst keineswegs autonom Handelnde sind, sondern sowohl in ihrem Tun als auch in ihrem Denken dem automatischen Subjekt Kapital und seiner staatlichen Organisation nicht nur verpflichtet, sondern geradezu untergeordnet sind, sind solche Leute keineswegs von der Kritik auszunehmen. Jemandem in einer Gesellschaft, die auf Geld und Tausch basiert und deshalb auch Kapital und Staat kennt, vorzuwerfen, dass er oder sie mit Geld in irgendeiner Form umgeht, wie es einigen Ökos und Subsistenzbauern und -bäuerinnen immer mal wieder einfällt, ist lächerlich. Aber niemand ist gezwungen, seine Unterschrift unter Beschlüsse zu setzen, die im Rahmen wertvermittelter Gesellschaften den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Dass er es dennoch tut, unterscheidet den Funktionär des Kapitals und des Staates in der Regel vom Gesellschaftskritiker.

Das heißt aber überhaupt nichts. Solch eine Selbstverständlichkeit kann nicht zur Grundlage der Kritik werden. Wer an Tausch, Geld, Kapital und Staat nichts auszusetzen hat, der braucht auch nicht gegen Treffen wie in Salzburg und auch nicht gegen den IWF oder die Weltbank anzuschreien. Diese Institutionen sind der weltweiten staatlich organisierten und wertvermittelten, sich hinter dem Rücken der Menschen und doch mit ihrem Handeln durchsetzenden, fetischistischen wie ruinösen Vergesellschaftung adäquat. Deshalb sind sie anzugreifen.

Einigen Linken geht es aber offensichtlich um etwas ganz anderes. Menschen, die sich selbst Kommunisten nennen, wettern in Aufrufen mit auf Anschlussfähigkeit bedachten Titeln wie »Nein zur Globalisierung« gegen die »großen Hexenmeister«, schwafeln von einem »drogenbetäubten Frieden«, der nun endgültig vorüber sei und glücklicherweise durch einen »instinktiven, ursprünglichen Antikapitalismus« ersetzt werde, der sich gegen den »politisch-kulturellen Amerikanismus, der Europa und Japan erwürgt« richtet und sich folgerichtig die Frage stellt: »Wie dem sinnlosen Chaos einen Sinn geben?«

Nun haben nicht alle Gruppen eine derart nazikompatible Diktion drauf wie die vor allem in Österreich aktive Revolutionäre Kommunistische Liga, die diesen Anti-Globalisierungsaufruf bereits im letzten Jahr veröffentlichte. Die Antiimperialistische Koordination aus Wien, zu der auch die RKL gehört, sagt zum Salzburger Treffen auch der EU den Kampf an. Das aber nur, um ein Bündnis mit all jenen zu propagieren, die den »kapitalistischen Weltherrschern« einen »ernsthaften Widerstand« entgegensetzen und daher angeblich »Interventionen - siehe Irak, Palästina, Jugoslawien oder auch Kolumbien -, die man nur als Völkermord bezeichnen kann«, unterzogen werden.

Man weiß nicht recht, welche »völkermörderische Intervention« die »kapitalistischen Weltherrscher« gerade in »Palästina« durchführen, kann sich das Bündnis der antiimperialistischen Freunde unterdrückter Völker mit bekannten Globalisierungskritikern wie Saddam Hussein oder der Hisbollah jedoch lebhaft vorstellen.

Aber auch bei anderen Aktivisten und Aktivistinnen finden sich zahlreiche Ungereimtheiten. Zwar gibt es seit den siebziger Jahren eine imperialismustheoretische Debatte, in der versucht wird, befreit von den Dogmen Lenins und seiner Epigonen die empirische Ebene, also die Fixierung auf die an der Oberfläche der kapitalistischen Gesellschaften erscheinenden Phänomene, hinter sich zu lassen und die Durchsetzung des Wertgesetzes auf dem Weltmarkt zu analysieren, um die Modifizierungen aufzuzeigen, die dieses allgemeine Gesetz kapitalistischer Warenproduktion dabei erfährt.

Dennoch bewegen sich die meisten der heutigen Diskussionen auf dem Niveau von entwicklungspolitischen Foren auf Kirchentagen. Vielen Aktivisten und Aktivistinnen gilt es als gesicherte Wahrheit und zugleich als moralische Legitimation des eigenen politischen Handelns, dass zwischen den Ländern der »Ersten« und der »Dritten« Welt ein »ungleicher Tausch« und daher ein Werttransfer stattfindet, woraus dann die Forderung nach »fairen Preisen«, »gerechtem Tausch«, »alternativem Handel« und ähnlichem entsteht. Man kennt das aus jeder Werbebroschüre von Dritte-Welt-Läden.

Hinter dem Gerede vom »ungleichen Tausch« verbirgt sich einer der Grundfehler von Weltmarktanalysen, die im wertfetischistischen Bewusstsein verhaftet bleiben. Unabhängig davon, dass es »faire Preise« ohnehin nicht geben kann, da der Preis nicht der Ausdruck moralischen Wollens, sondern ökonomischen Zwangs ist, müssen gegen die Behauptung vom »ungleichen Tausch« ganz prinzipielle Einwände erhoben werden.

In einer Hinsicht ist Tausch immer ungleich. Nämlich deshalb, weil beim Tauschakt zwei stofflich-sinnlich völlig unterschiedliche Dinge aufeinander bezogen werden; zwei unterschiedliche, ungleiche Gebrauchswerte werden getauscht.

Die These vom ungleichen Tausch bezieht sich aber gerade nicht auf die stoffliche, die Gebrauchswertseite des Austauschs, sondern auf die Wertseite. Auf den ersten Blick scheint es auch so, als wenn da irgendetwas ungleich wäre. Auf der Wertebene ist es das aber nicht. In der Tat erhält das weniger produktive Land nie den Gegenwert für die real aufgewendete Arbeitszeit.

Aber sobald für den Weltmarkt produziert wird, schafft die im Land verausgabte Arbeit, die über dem gesellschaftlich notwendigen Durchschnitt im globalen Maßstab liegt, keinen Wert. Waren, die auf dem Weltmarkt als gleich getauscht werden, mögen zwar die Vergegenständlichung unterschiedlicher nationaler Arbeitsquanten sein, auf dem Weltmarkt haben sie dennoch den gleichen Wert, da sie in ein anderes Bezugssystem eintreten, in dem ein anderes Wertniveau gilt. So kommt es zwar auf der stofflichen Seite zu einem Güter- oder Ressourcentransfer, aber nicht zu einem Werttransfer. Auf der Wertebene herrschen Gerechtigkeit und Gleichheit.

Seit der endgültigen Internationalisierung des Kapitalverhältnisses - euphemistisch Globalisierung genannt - werden die bis Mitte der siebziger Jahre existierenden unterschiedlichen Wertniveaus, die mittels staatlicher Gewalt zum Teil noch aufrechterhalten werden können, nivelliert, und es kommt zur Herausbildung eines einheitlichen globalen Wertniveaus.

Die Differenz zwischen nationalem Warenwert und Weltmarktwarenwert, die vorher zwar auch nicht als materielles Substrat, sondern eben als Nicht-Wert existierte, aber doch analytisch aufgezeigt werden konnte, verschwindet. War der Weltmarkt im Sinne des Wertgesetzes schon immer gerechter, als seine idealistischen Kritiker und Kritikerinnen meinten, so kann man, um dem Zynismus der Sache gerecht zu werden, sagen, dass von jenen Entwicklungen, die als Globalisierung bezeichnet werden, und die damit einhergehenden Deregulierungen, die sich u. a. gegen bestimmte Formen staatlichen Protektionismus richten, die eine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung unterschiedlicher Wertniveaus waren, die Gerechtigkeit des Weltmarkts endgültig vollstreckt wird.

Wer sich an dem Elend in der Welt stört, sollte nach wie vor für die herrschaftsfreie klassen- und staatenlose Weltgesellschaft eintreten und nicht, wie es zahlreiche linke und auch linksradikale Gruppierungen in sozialdemokratischer Pfaffenmanier tun, für Schuldenstreichungen.

Im übrigen bieten Kampagnen gegen den IWF und die Weltbank oder Proteste gegen das World Economic Forum in Salzburg, auf dem auch eine nochmalige Rehabilitation der österreichischen Bundesregierung auf internationalem Parkett zu erwarten ist, zahlreichen Gruppen in der BRD und in Österreich einen willkommenen Anlass, noch mehr über Neoliberalismus, Sozialraub und die Knechtung der Völker zu schwadronieren und in letzter Konsequenz auch das eigene Volk endlich wieder vorbehaltlos als Opfer neoliberaler Couponschneider darzustellen, anstatt den rassistischen und antisemitischen Normalzustand hierzulande anzugreifen.