Start der Abnehm-Show »Big Diet«

Hungern in Hürth

Bei der »Big Brother«-Variante »Big Diet« schwindet vor allem die Quote.

So etwas hatten die Besucher eines Kölner Biergartens wohl noch nie gesehen: Da kam eine offensichtlich gut gelaunte Gruppe ziemlich fetter Erwachsener und bestellte statt Alkohol Mineralwasser. Dazu gab es weder gebratene Schweinewurst noch Kartoffelsalat vom Buffet, die seltsamen Menschen kehrten allesamt mit einem Löffelchen Mais, einem Salatblatt und einem Tomatenviertel auf dem Teller an ihren Tisch zurück.

Unter normalen Umständen hätten die zwölf Dicken sicher ganz andere Sachen konsumiert, aber als Mitwirkende der Abnehm-Show »Big Diet« führen sie nun ein fast fettfreies Leben. Schließlich gilt es, jede Woche sonntags beim live ausgestrahlten Wiegen Gewichtsverlust vorzuweisen, wenn man sich nicht eine Gelbe Karte einhandeln möchte, mit der Renitente zunächst verwarnt werden.

Zuvor hatte RTL 2 in umfangreichen Castings dicke Leute gesucht, die sich für drei Monate unter professioneller Dauerbetreuung in eine Wellnessfarm begeben und dort abnehmen wollen. Die Auswahl muss ziemlich schwierig gewesen sein, denn zum einen durften die fetten Kandidaten nur so beleibt sein, dass der Zuschauer nicht angeekelt abschaltet, zum anderen mussten sie neben Bäuchen auch noch über unterhaltsame Lebensläufe verfügen. Und bereit sein, sich fast jeden Tag von Margarethe Schreinemakers, der schrecklichsten Moderatorin nach Jessica Stockmann-Stich, besuchen und animieren zu lassen.

Ende Mai war es dann aber so weit, die zwölf Kandidaten zogen in etwas ein, was man beim Sender euphemistisch als »Wellnessfarm« bezeichnet. In Wirklichkeit handelte es sich dann aber doch nur um den leicht umgearbeiteten »Big Brother«-Container: ohne die Puff-Bettwäsche, dafür mit Gipsstatuen nackter Männer, die Schokoriegel präsentieren, in den Schlafzimmern. Plus großer Küche, einer Turnhalle und einem Swimming-Pool.

In der Eröffnungsshow wurde den Kandidaten noch einmal klar gemacht, worum es bei »Big Diet« geht. Eben nicht um »Big Brother«, obwohl auch im Diät-Container Kameras selbst auf dem Klo installiert wurden. Wichtig ist nicht mehr, wer zuerst Sex hat und mit wem, es geht irgendwie um Wohlfühlen ohne Essen, also um Sport, Low-Fat-Food, gute Laune und lauter gesundes Zeugs. Das ist jedoch eigentlich furchtbar langweilig, deswegen wird es am Ende einen vom Publikum bestimmen Gewinner geben, dem der verlorene Speck in Goldbarren aufgewogen wird. Hat Margarethe Schreinemakers während der Eröffnungsshow hinzugefügt, dass am Ende sowieso alle, die durchgehalten haben, Gewinner sein werden, weil sie ein völlig neues Leben geschenkt bekommen haben? Vielleicht.

Wichtiger ist aber, dass sie es gesagt haben könnte, denn derartiger Sülz ist symptomatisch für »Big Diet«. Wo man im übrigen den körperlichen Zustand der Kandidaten nicht beim korrekten Namen nennt, sondern für das vorhandene Speckrollentum unermüdlich Synonyme findet: »Kräftig«, »schwer«, »gut proportioniert«, »etwas schwerer« sind die Menschen, die nach übereinstimmender Auskunft ihre letzte Chance bei »Big Diet« suchen.

Und vielleicht sogar Recht haben, denn bei der Fettsucht könnte es sich tatsächlich, wie von manchen Experten behauptet, um die am schwersten zu therapierende Abhängigkeit handeln. Einfach nur bestimmte Orte, Freunde oder Situationen zu meiden, wie es in anderen Suchttherapien gelehrt wird, geht nicht, denn irgendwann muss man einfach den Mund aufmachen und Essen hineintun.

Und wer, wie die meisten Kandidaten, schon mit Mitte 20 deutlich über 100 Kilo wiegt, hat ein echtes Problem. Möglicherweise könnte es solchen Menschen daher wirklich helfen, sich für eine bestimmte Zeit aus dem Alltagsleben zurückzuziehen und unter fachkundiger Anleitung zu lernen, wie man auch ohne konstantes Overeating glücklich sein kann.

Dabei aber ständig gefilmt zu werden, muss die Hölle sein. Zumal die Kandidaten von »Big Diet« ständig in peinliche Situationen gebracht werden. »Wir sperren hier keine Leute ein«, hatte Schreinemakers während der Start-Show inbrünstig erklärt und damit nicht nur zum Quotensturz beigetragen. Jeden Sonntag kommt Besuch, ständig stehen Ausflüge auf dem Programm, und unter der Woche dürfen Telefonate mit Angehörigen geführt werden.

Die nicht immer so verlaufen, dass den Kandidaten der Verzicht auf ein tröstendes Stück Schokolade leicht gemacht wird. Am letzten Freitag erwischte es beispielsweise Klaus, den Dicksten der Gruppe. Dass er sich mit Claudia sehr gut versteht, war in den vorherigen Sendungen derart betont worden, dass die sich anbahnende völlig normale Freundschaft als etwas ziemlich Schmieriges erschien. Was bei seiner Frau nicht wirklich gut ankam. »Gestern Abend hatten wir sogar einen Massagekurs«, erzählt ihr Mann, sichtlich gerührt über die Möglichkeit, endlich mal wieder mit jemand Vertrautem reden zu können. Die Antwort besteht aus einem eiskalten »Aha« und der demonstrativen Erwähnung von Claudia. Angehörige werden während der Diät-Show offensichtlich nicht psychologisch betreut.

Das würde wohl auch keinen Sinn machen, denn Leuten beim Abnehmen zuzugucken, ist sehr langweilig. Die Zubereitung von Miniportionen wird schließlich auch durch speziell ausgedachte bombastische Namen für das Resultat nicht interessanter, Menschen, die in unvorteilhafter Kleidung Sport treiben, sind nicht unbedingt abendfüllend und die eingeblendeten Tipps sind nun auch nicht derart neu, dass abnahmewillige mit einem »Heureka!« von der Couch springen werden.

Deswegen muss man bei RTL 2 auf Krisen hoffen, zwischenmenschliche Probleme eben, wie sie aus »Big Brother« bekannt sind, sowie auf nächtliche Fressanfälle und Nervenzusammenbrüche. Die fehlten bisher, weswegen sich die Quoten deutlich unter einer Million bewegten. Dabei hatte man angesichts des schwachen Konzepts wohl auf den unbedingten Willen der Zuschauer zur Bikinifigur gesetzt. Deutschland nehme jetzt ab, hatte man dekretiert und mit Dickenhausen, irgendwo in der Provinz gelegen, sogar ein komplettes Dorf gefunden, das bereit war, in den nächsten Wochen nach dem »Big Diet«-Diätbaukasten zu leben. Zusätzlich versprach man denjenigen diätwilligen Zuschauern, die sich mindestens drei Mal in den nächsten Monaten unter Apothekeraufsicht wiegen und das Gewicht dann auf einer speziellen Karte eintragen lassen, irgendwelche großartigen Gewinne.

Was gründlich daneben ging, wenn man den Usern des www.big-diet.de-Forums trauen kann: »Manu Fritz« erklärt dort beispielsweise, dass der Versuch, sich wiegen zu lassen, bereits in vier Apotheken gescheitert sei, andere berichten Ähnliches. Und überhaupt sei nur eine zum Abnehmen bereite Hella von Sinnen eine akzeptable Moderatorin für eine Diät-Dauersendung.

Die Hungerwilligen von Hürth wird dies nicht gestört haben. Lediglich Sabina, die sich schon in der WDR-Erfolgsserie »Abnehmen in Essen« erfolglos an der Gewichtsreduktion versucht hat, zeigte Ausfallerscheinungen: Zielsicher ging sie im Biergarten auf einen anderen Gast zu und erbettelte eine Fritte. »Nein, nicht, lass das!« psychoterrorisierten sie die anderen daraufhin, sodass Sabina das Kartoffelstück schließlich wieder zurück gab.

Mit dem wirklichen Leben hat das nichts zu tun. Was die Kandidaten tun werden, wenn sie zum ersten Mal in Freiheit ohne Kamera an einer Imbissbude vorbeikommen, ist klar: Die komplette Seite eins der Speisekarte mit Pommes bestellen. Und das Zeug aufessen.