Autonomie für Korsika

Korsische Experimente

Das französische Parlament diskutiert einen Gesetzesentwurf, der einen Autonomiestatus für Korsika vorsieht.

Seit Jahrzehnten ist die Mittelmeerinsel für französische Politiker ein Alptraum. In Paris gilt Korsika wegen zahlreicher nationalistischer Anschläge, wegen der allgegenwärtigen Korruption und eines undurchschaubaren Geflechts lokaler Interessen als nahezu unregierbar. Das soll mit einem Gesetz, dessen Entwurf die Koalitionsregierung unter Lionel Jospin in der vergangenen Woche dem französischen Parlament vorlegte, demnächst anders werden. Die Insel soll einen Autonomiestatus erhalten und sich weitgehend selbst regieren.

Als »das korsische Laboratorium« bezeichnete die Pariser Sonntagszeitung Journal du Dimanche am vergangenen Wochenende das Vorhaben der Regierung. Korsika werde die Rolle eines »Beschleunigers« spielen, »zum Wohle aller Regionen, ja des Staates selbst, denn eines Tages wird man die Rollenverteilung zwischen dem (Zentral-) Staat und den Regionen neu definieren müssen«, heißt es weiter.

Weniger schöne Visionen beschrieb zuvor die linksliberale Tageszeitung Libération: »Korsika: Ein Gesetz, das zubetoniert.« Demnach würde das Autonomiegesetz der ökologischen Zerstörung auf der Mittelmeerinsel Tür und Tor öffnen. Diese Erwartung wird sowohl vom konservativen Figaro als auch von der KP-nahen Humanité geteilt.

Während die Kommentare in der französischen Presse kaum unterschiedlicher hätten sein können, verlief die Parlamentsdebatte weit weniger kontrovers. Mit seiner Ankündigung, einige Bestimmungen des neuen Korsika-Statuts bald auf alle französischen Regionen auszudehnen, ging der Innenminister Daniel Vaillant am vergangenen Donnerstag auf Einwände und Forderungen vor allem der liberalen Opposition ein. Diese träumt von regionalen Wirtschaftszentren, die zumindest in ökonomischer Hinsicht von zentralstaatlichen Hemmnissen befreit werden sollen. Nach Angaben von Libération geht dieses Zugeständnis Vaillants auf eine Vereinbarung zwischen Premierminister Jospin und dem früheren konservativen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing zurück.

Deshalb waren dem sozialistischen Innenminister die Stimmen eines Teils des christdemokratisch-liberalen Parteienbündnisses UDF sowie der wirtschaftsliberalen Partei Démocatie Libérale (DL) sicher. Der neogaullistische RPR war im Hinblick auf den Regierungsentwurf gespalten. Während eine Gruppe von Abgeordneten, die in der etatistisch-nationalistischen Tradition des Gaullismus stehen, den Gesetzesentwurf kritisierte, schien am Wochenende auch die Zustimmung einiger führender RPR-Politiker festzustehen.

Die heftigste Opposition kam erwartungsgemäß vom früheren Innenminister Jean-Pierre Chevènement, dem Vorsitzenden der nationalistischen Kleinpartei Mouvement des Citoyens (MDC). Diese so genannte Bewegung der Staatsbürger lehnt die Maastrichter Verträge ab und hat sich deshalb seinerzeit von den französischen Sozialdemokraten abgespalten. Chevènement war nach Vereinbarungen, die die Regierung mit den korsischen Separatisten im Juli 2000 in Ajaccio geschlossen hatte (Jungle World, 34/00) und die einen Autonomiestatus in Aussicht stellten, von seinem Amt zurückgetreten. Weil er im Frühjahr 2002 als »aufrechter Republikaner« für die Präsidentschaft kandidieren will, wandte sich der linksnationalistische Politiker nun vehement gegen den neuen Status für Korsika. Sein Antrag auf Nichtbefassung mit der Gesetzesvorlage wurde am vergangenen Mittwoch allerdings vom Parlament mit deutlicher Mehrheit abgewiesen. Nur einige gaullistische Abgeordnete stellten sich hinter Chevènement.

Die Zugeständnisse resultieren aus Verhandlungen, die die Regierung Jospin bereits seit dem Dezember 1999 führte. Sie ist nicht die erste, die versuchte, durch teils offene, teils geheimeVerhandlungen mit den korsischen Nationalisten die Gewalt auf der Insel in den Griff zu bekommen und eine »Normalisierung« zu erreichen.

Seit dem Abkommen vom Juli 2000 unterstützte eine breite Mehrheit des korsischen Parlaments in Ajaccio das Projekt. Getragen wird diese Mehrheit im Wesentlichen von einer Allianz der radikalen Wirtschaftsliberalen um José Rossi (Démocratie Libérale), den Präsidenten des Inselparlaments, und der korsischen Nationalisten von Corsica Nazione.

Radikale Wirtschaftsliberale und korsische Nationalisten vereint die Idee, durch die »Entwicklung einer korsischen Ökonomie« den Zugang zu Investitionen zu erleichtern, Steuern und andere (sozial)staatliche Lasten zu senken und anderweitige Anreize für potenzielle Investoren zu schaffen.

Den Nationalisten wie auch den traditionell über die Insel herrschenden Clans und Großfamilien geht es vor allem darum, illegal erzielte Profite in den normalen Wirtschaftskreislauf einzuspeisen. Solches Geld stammt häufig aus der so genannten Revolutionssteuer, aber auch aus mafiösen Aktivitäten, aus dem Waffenhandel und zwielichtigen Geschäften mit afrikanischen Potentaten. Bei der Pflege seiner Wirtschaftsbeziehungen zu manchen Ländern Afrikas wiederum hat sich der französische Staat oft dieser Clans und ihrer Verbindungen bedient. Als Schlüsselfigur gilt der aus Korsika stammende ehemalige Innenminister Charles Pasqua, der sich ausgerechnet während dieser Woche vor Untersuchungsrichtern wegen seiner Rolle im afrikanischen Waffenschmuggel und im so genannten Angola-Gate zu verantworten hat. Pasqua besitzt auf der Insel dank seiner halb mafiösen und halb politischen »Netzwerke« einen nicht unerheblichen Einfluss.

Im Interesse der Wirtschaftsförderung erlaubt es das neue Autonomiestatut den Korsen ausdrücklich, von den Bestimmungen der französischen Gesetze zum Schutz der Berg- und der Küstenlandschaften abzuweichen. Nicht wenige Beobachter fürchten deshalb eine ökologische Katastrophe, denn bisher wurde Korsika wie keine andere Mittelmeerinsel von den negativen Folgen des Massentourismus verschont. Selbst einige nationalistische Organisationen mobilisieren inzwischen an der Seite lokaler ökologischer Initiativen gegen die neuen Bestimmungen, da sie den autonomen Inselpolitikern in dieser Frage nicht über den Weg trauen.

Das neue Gesetz erlaubt es dem korsischen Parlament zudem, die von der Pariser Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze der eigenen Situation »anzupassen« und eigene Ausführungsverordnungen zu erlassen. In den Jahren 2002 bis 2004 soll eine Übergangsregelung gelten, die im Falle der Änderung nationaler Gesetze nach der Zustimmung des französischen Parlaments verlangt. Am Ende dieser zweijährigen »Experimentierphase« soll Ajaccio eigene Gesetzgebungskompetenzen bekommen. Dafür müsste allerdings, vermutlich per Referendum, die französische Verfassung geändert werden.

Zudem sieht das Korsika-Gesetz vor, dass der Staat in allen Kindergärten und Grundschulen den Unterricht der korsischen Sprache gewährleisten muss. Die Teilnahme ist zwar nicht obligatorisch, sie soll aber im Rahmen der normalen Schulstunden möglich sein.

Um sich auch künftig ihren Einfluss zu sichern, haben sich vier der wichtigsten legalen Organisationen der Nationalisten am vorletzten Wochenende in Corte zur neuen Einheitspartei Independenzia zusammengeschlossen. Der Name verrät deutlich, dass das vorgesehene Autonomiemodell für viele der nationalistischen Aktivisten nur eine Vorstufe zur Unabhängigkeit bildet, zur uneingeschränkten Souveränität in einem »Europa der Regionen«.

Umgekehrt hoffen die Koalitionsregierung in Paris und Teile der konservativen Opposition, dass der Autonomie-Status den korsischen Nationalisten »das Wasser abgraben« werde, wie es der wirtschaftsliberale Politiker Alain Madelin formulierte. Es könnte bei der Hoffnung bleiben.