»Zerbrochene Fenster«

Den Spaß vermiesen

Ratlosigkeit unter Sozialarbeitern. »Zerbrochene Fenster« widmet sich der Frage: Was tun mit Hooligans?

Alle Linken wissen es ganz genau: Hools sind Scheiße. Skins sollen das Maul halten. Nazis raus. Stimmt alles. Verwunderlich ist allerdings, dass alle, die am 30. April die kleineren Randale rund um den Berliner Mauerpark beobachteten, feststellen konnten, dass sich gegen den mächtigen Gegner Polizei einige der linken Flaschenwerfer mit den wenigen Nazi-Hools verbrüderten, die sich hergetraut hatten.

Vor dem Feind sind alle gleich? In gewisser Weise schon. Als 1997 der damalige Berliner Innensenator Jörg Schönbohm ankündigte, das amerikanische »Zero Tolerance«-Konzept für die Hauptstadtpolizei übernehmen zu wollen, wandte er sich zugleich gegen Rechtsextreme, Linksradikale und Verarmte. Mit eisernem Besen sollten all die weggefegt werden, die nicht ins Stadtbild zu passen haben. Die Befürworter der »Zero Tolerance« behaupten, dass eine eingeworfene Fensterscheibe weitere kaputte Scheiben nach sich ziehe, das Haus verwahrlose, dann der Straßenzug, und dass schließlich die gesellschaftliche Situation im gesamten Viertel eskaliere. Raub, Mord, Vergewaltigungen seien die Folge. Daher müsse man alles daransetzen, potenziell ordnungsgefährdende Individuen zu verhaften oder zu vertreiben, damit es zur ersten zerbrochenen Scheibe erst gar nicht kommen könne.

Tatsächlich erreichte der Berliner Senat mit seiner Ausgrenzungspolitik, dass sich die »Ratten« und das »Gesindel«, wie der CDU-Hardliner Klaus-Rüdiger Landowsky sie nannte, nun vornehmlich jenseits der Innenstadtbezirke aufhalten. Auch andere Städte übernahmen dieses Prinzip und verdrängten die sozial Schwachen in die Randbezirke. Dort dürfen die einen für die NPD demonstrieren und - in Maßen - Ausländer jagen, den Punks und den Obdachlosen bleibt meist nicht viel mehr, als sich vor ihnen zu verstecken. Und dann ist da noch die große Masse der Dumpfos, Hools und Prolls, die keine ausgeprägte politische Meinung haben, auch wenn sie eher zur Rechten tendieren. Für die offizielle Politik sind sie alle das Gleiche.

In ihrem Buch »Das zerbrochene Fenster« beschäftigen sich Andreas Buderus, Gerd Dembowski und Jürgen Scheidle, die allesamt in Fanprojekten und der Sozialarbeit tätig waren, mit der Frage, wie mit den Hools und Skins vernünftig umzugehen sei. Denn auch wenn es einem nicht passt, dass diese zumeist männlichen, gewaltbereiten Typen überhaupt da sind, muss die Linke doch einräumen, dass Wegsperren nicht der richtige Weg ist. Im Gegenteil, es entspricht der Gewaltlogik des staatlichen Repressionsapparates, wenn man diese Leute einer hochgerüsteten Polizei überlassen will. Abgesehen davon, dass bislang noch jedes Verbot und jede gesetzliche Beschränkung, die damit gerechtfertigt wurde, dass sie sich gegen den braunen Terror wende, dazu diente, binnen kürzester Zeit und mit doppelter Härte linke Demos und Artikulationen zu verhindern.

Was tun also? Das Buch zeigt, dass die Frage nach dem richtigen Umgang mit Hools nicht zu beantworten ist. Denn die Linke agiert aus einer Minderheitenposition heraus. Ihr bleibt wenig mehr, als aus der Deckung die Verhältnisse zu kritisieren. Denn auf der Ebene des individuellen Handelns läuft sie Gefahr, sich schmutzig zu machen. Wenn sie mit Hools und Skins arbeiten, setzen sich SozialarbeiterInnen schnell der Gefahr aus, sich mit ihnen gemein zu machen - vor allem bestärkt man diese Menschen in ihrem Weltbild, da man sie für ihre Gewalttaten immerhin indirekt mit Projektgeldern und Jugendheimen belohnt.

Verweigert man ihnen jedoch die »Sozialfeuerwehr« und belegt diese Typen stattdessen mit sozialer Ächtung, unternimmt man nichts gegen das Problem und hilft so genau den Zustand beizubehalten, der den Hools und Schlägernazis dabei nützt, sich einerseits als »Elite der Armen« und als Rächer zu gerieren und andererseits der Legislative permanent Argumente für einen wehrhaften autoritären Staat zu liefern. Eine Parole wie »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft«, die Jürgen Elsässer den Autoren in einem Interview entgegenhält, klingt zwar verlockend, ist jedoch zur Zeit in der Praxis ohne die Hilfe der Polizei nicht umsetzbar.

So bleibt das Buch ambivalent. Buderus und Dembowski beschreiben sehr konkret, in welchen gesellschaftlichen und geschlechtlichen Verhältnissen sich Hools bewegen, wie ihre Definition von Männlichkeit und ihr autoritärer Charakter funktioniert, und dass sie gerade im Umfeld von Fußballvereinen auf eine öffentliche Sanktionierung ihrer Anliegen treffen. Wenn die Bild von »nationaler Schande« deliriert, dann haben die Hools allen Grund zu glauben, sie seien die Avantgarde des deutschen Wollens. Wenn eine Regierung für einen Krieg geltendes Grund- und Völkerrecht bricht, wenn in der freien Wirtschaft ständig mit den Gegensatzpaaren: Sieger / Verlierer, Kämpfer / Weichei oder »Hooligans« / »Muckefucktrinker« (VW-Vorstand Klaus Kocks) gearbeitet wird, ist es seitens der Hools klar, dass auch sie - gerade als Männer - kämpfen können und müssen.

Mehr als diesen Leuten den Spaß zu vermiesen, sie permanent bloßzustellen und ihre potenziellen Opfer zu schützen, vermag die Linke nicht. Ein Anlass, wie Jürgen Scheidle den Hools verständnisvoll und messianisch entgegenzutreten, kann dies jedoch nicht sein. Denn bei aller gesellschaftlichen Abhängigkeit: Das Individuum ist mehr als ein Opfer der Verhältnisse. Wenn die Hools ein reines Objekt der Sozialarbeit bleiben, hilft das nichts. Malkurse für Hools machen keinen Sinn, solange die Schützlinge weiterhin ihre Dummheit pflegen. Dummheit nämlich heißt vor allem: dumm bleiben wollen.

Andreas Buderus, Gerd Dembowski, Jürgen Scheidle: Das zerbrochene Fenster. Pahl-Rugenstein, Bonn 2001, 240 S., DM 29,90