Rüstungsindustrie fordert mehr Aufträge

Verbraucher in Uniform

Die Rüstungsindustrie fordert mehr Aufträge. Unterstützt wird sie dabei von SPD-Politikern und der IG Metall.

Manchmal, aber nur manchmal offenbaren sich Soldaten als verträumte, weltvergessene Wesen, die mit dem ständigen Hin und Her um sie herum nur schwer zurechtkommen. Die weiche Seite der harten Männer und neuerdings auch der Frauen, die sonst auf Befehl überall hinmarschieren, kann sich dann schon bei den einfachsten Verrichtungen zeigen. Etwa beim Organisieren gemütlicher Abende.

So hatten Offiziere für den 22. Juni zum »Ball des Heeres« über tausend Einladungen an Freunde in Politik und Wirtschaft verschickt. Ein schicker Treff für Balkan-Aktivisten und Somalia-Veteranen, wo man am Freitag nach Dienstschluss wieder mal etwas Spaß, Tanz und Theater an der Heimatfront hätte genießen können. Doch irgendein Gymnasiast in Boss-Uniform musste offensichtlich mit seinem Intelligenzquotienten protzen. Denn der 22. Juni war eben nicht nur der Tag nach dem Sommeranfang, sondern ebenso der 60. Jahrestag des Überfalls der Wehrmacht auf die Sowjetunion. Den Heeresinspekteur Gert Gudera hätte das nicht weiter gestört, doch am Wochenende musste er einräumen, angeblich »erst kürzlich« davon erfahren zu haben, dass dem »Kriegsbeginn« in der Öffentlichkeit besondere Beachtung geschenkt werde. Der Ball soll nachgeholt werden. Vielleicht am 1. September?

Diese Episode aus dem Soldatenleben lässt erahnen, warum die Dinosaurier einst ausgestorben sind. Wie Soldaten reagierten sie auf Veränderungen gefährlich langsam. Allerdings sind sie eine wehrhafte Spezies, die noch heute Bewunderer findet. Vor allem in der deutschen Rüstungsindustrie. Schließlich leben beide Organismen in einer Symbiose. Soldaten brauchen moderne Waffen, Rüstungsproduzenten benötigen Verbraucher in Uniform. Gerät diese Beziehung in Gefahr - beispielsweise in Zeiten wie diesen, ohne richtigen Krieg, ohne militärische Bedrohung, ohne Waffenbestellungen - können beide Seiten ungemütlich werden.

Im April war das sehr schön zu beobachten. Während die Rüstungsunternehmer sich vornehm zurückhielten, waren es auf einmal Politiker, Betriebsräte und Gewerkschafter, die für sichere Arbeitsplätze warben. Ein Reizwort, das wohl den Bundeskanzler auf den Plan rufen sollte, wie im Winter 1999, als die Pleite des Bauunternehmens Holzmann bevorstand. So warnte letzte Woche der Arbeitskreis Wehrtechnik und Arbeitsplätze der IG Metall in einem Positionspapier vor einer neuen Entlassungswelle, sollte der Bund die Gelder für Beschaffungen in der Rüstungsindustrie weiter kürzen. Es müsse mehr Geld in die Qualität des Bundeswehrbestandes investiert werden und nicht in die kostspielige Erhaltung »veralteten« Geräts. Im Klartext heißt das, dass wieder mehr Panzer und Kanonen gebaut werden sollen.

Bereits Ende letzten Jahres hatten Betriebsräte von 48 Rüstungsfirmen behauptet, dass bis zum Jahre 2004 gut 20 000 Stellen gefährdet seien. Die derzeit 90 000 Beschäftigten - bis Ende der achtziger Jahre arbeiteten im Waffenbau allein in Westdeutschland noch 280 000 Menschen - sähen sich einem »staatlichen Würgegriff« ausgesetzt. Nationale Rüstungsprojekte, so die Interpretation der Betriebsräte, würden auf Eis gelegt, andererseits grabe die Bundesregierung der Branche durch »schärfere Exportrichtlinien« das Wasser ab.

Mit der Realität hat das wenig zu tun. Schließlich durfte die überraschte rot-grüne Anhängerschaft dem im Februar veröffentlichten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung entnehmen, dass deutsche Rüstungsfirmen 1999 für 5,9 Milliarden Mark Waffen ins Ausland exportierten. Übrigens mehr als in den Jahren der Kohl-Regierung. Waffen im Wert von 1,5 Milliarden Mark gingen in Staaten, die weder Mitglieder der EU noch der Nato sind. Spitzenreiter war wie immer die Türkei mit 1,9 Milliarden Mark. Offenbar gilt die neue Menschenrechtsklausel in den rot-grünen Rüstungsexportrichtlinien eben doch nur für politisch nicht genehme »Schurkenstaaten«. Und die lassen sich ja an den Fingern einer Hand abzählen.

Im Gegensatz zu den Anschaffungen der Bundeswehr. Erst im April übernahm die Bundesmarine ihr größtes Schiff von der Bremer Lürssen-Werft. Der 174 Meter lange Einsatzgruppenversorger »Berlin« soll dafür sorgen, dass Marineverbände künftig statt 21 Tagen 45 Tage ununterbrochen auf See operieren können. Größere Reichweiten sind für die Bundeswehr nötig geworden, weil sie künftig in einem großen Zirkel rund um Europa agieren will. Für Landoperationen, etwa in Nordafrika, kann die »Berlin« Munition und Waffen transportieren. Dazu könnten in einem mobilen Krankenhaus bis zu 50 Verletzte versorgt werden. Und im Falle eines Falles wäre auf dem Schiff sicher auch ein Operationsstab für Auslandseinsätze unterzubringen.

Das Schwesterschiff der »Berlin«, die »Frankfurt am Main«, soll schon 2002 auf Jungfernfahrt gehen. Nur für die beiden Schiffe ließ Verteidigungsminister Rudolf Scharping über eine halbe Milliarde Mark springen. Hinzu kommen noch drei Fregatten des Typs 124, die zum Teil schon im Einsatz sind. Nicht zu vergessen das Eurofighter-Projekt, das inzwischen rund 32 Milliarden Mark geschluckt hat. Weiter werden die 73 Airbus-Transportflugzeuge vom Typ A400M mit etwa 20 Milliarden Mark, der Kampfhubschrauber Tiger oder auch die 3 000 Transportpanzer GTK mit mindestens acht Milliarden Mark zu Buche schlagen.

Für dieses Programm will Verteidigungsminister Scharping sogar weitere zwei bis vier Milliarden im Jahr locker machen. Finanziert werden soll es durch den Verkauf geschlossener Liegenschaften und alten Materials. Gedacht ist beispielsweise an 741 Leopardpanzer. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) soll das Projekt zunächst vorfinanzieren, bis die Verkaufserlöse fließen. Allerdings gehen die fettesten Happen - 75 Prozent aller Aufträge - an die Luftfahrtindustrie. Neue Kriege in Krisengebieten verlangen eben nach hochmobilen Truppen und nicht mehr nach Panzerarmeen.

Kein Wunder, dass die kollektive Klage heute vor allem in den Chefetagen der Panzerfabriken formuliert wird. Erst vor einem Monat trafen sich 200 Vertreter von IG Metall, Bundeswehr-Verband, Betriebsräten, Militär und Politik in Berlin zum gemeinsamen Forum: »Die deutsche heerestechnische Industrie - eine strategische Industriesparte für Deutschland und Europa«. Geladen hatte der Förderkreis Deutsches Heer unter dem früheren Brigadegeneral Franz Lanz. Der verlangte dann auch prompt, bisherige Investitionsschwerpunkte bei Marine und Luftwaffe »mindestens temporär zugunsten des Heeres« zu verlagern. Zudem müsse Rüstungsexport auch als Mittel der Diplomatie stärker genutzt werden - zur »positiven außen- und industriepolitischen Einflussnahme«.

Scharfe Kritik übten die Rüstungslobbyisten außerden an der Exportsperre für die 1 000 Leopard-2-Panzer, mit denen sich die türkische Armee ausrüsten will. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Helmut Wieczorek (SPD), fragte deshalb die traute Runde, ob denn Rüstungsproduzenten und -partner wie die USA oder Frankreich moralisch weniger integer seien als »wir Deutschen«. Mit Panzern aus diesen Ländern konkurrierte der Leopard auf Übungsplätzen in der Türkei. Dass der CSU-Abgeordnete Kurt Roßmanith zweifelte, ob die Panzer im Gebirge überhaupt gegen PKK-Kämpfer eingesetzt werden können, verwundert nicht. Schließlich geht es nicht um das Leben der kurdischen Rebellen, sondern um Arbeitsplätze bei Krauss-Maffei-Wegmann in Deutschland.

Diese Argumentation unterschlägt natürlich, dass sich die deutschen Rüstungsfirmen auch an den strengsten Rüstungsexportbeschränkungen vorbeimogeln. So werden gut 70 Prozent aller Rüstungsprojekte längst mit Partnern im Ausland realisiert. So wird beispielsweise der deutsch-französische Kampfhubschrauber »Tiger« bei einem negativen Bescheid vom Bundessicherheitsrat einfach aus Frankreich in die Türkei geliefert. Und selbst wenn die USA das Panzerrennen in der Türkei mit ihrem M1 gewinnen sollten, stammt der Dieselantrieb im Heck immer noch vom deutschen Konsortium MTU/Renk.