Daimler-Chrysler- Aktionärsversammlung in Berlin

Fair verdient mehr

In Berlin trafen sich mehr als 10 000 wütende Aktionäre von Daimler-Chrysler zur Hauptversammlung des Konzerns.

Die Stimmung im Internationalen Kongresszentrum war gereizt. Über 10 000 Aktionäre, die meisten davon Kleinanleger, waren am vergangenen Mittwoch in die Hauptstadt gefahren, um dem Vorstand des größten deutschen Unternehmens einzuheizen. Seit der Stuttgarter Autobauer vor zwei Jahren mit der maroden US-Firma Chrysler fusionierte, ist der Aktienwert um die Hälfte gesunken. So mancher der Anleger hat ein kleines Vermögen verloren und deshalb eine »gewaltige Wut im Bauch«, wie Klaus Kessler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) warnte.

Gleichzeitig waren zahlreiche Vertreter des Dachverbands der kritischen Aktionäre nach Berlin gekommen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Daimler-Chrysler kein Wohlfahrtsverband ist. Der Vorstand sollte nach den Morden an argentinischen Gewerkschaftern, nach der Produktion von Anti-Personen-Minen und nach dem Atomgeschäft gefragt werden. Der Vorstandsvorsitzende Chef Jürgen Schrempp wiederum, der gerne als knallharter Manager gelten möchte, wirkte während der Vorstellung seines Geschäftsberichts ziemlich deprimiert. Die miese Jahresbilanz und viele böse Schlagzeilen hatten dem 56jährigen Herrn über gut 416 000 Angestellte und einen Umsatz von 152 Milliarden Dollar sichtlich die Laune verdorben.

Diskussionsleiter Hilmar Kopper drängte die Anwesenden von Anfang an, sich kurz zu fassen. Doch verbissen stellten die Aktionäre Frage um Frage. Gequält antwortete Schrempp, mal ausweichend, mal aggressiv. Die Versammlung zog sich so über zwölf Stunden hin, bis Vorstand und Aufsichtsrat mit einem außerordentlich schlechten Ergebnis entlastet wurden.

Angesichts des unschönen Geplänkels versuchten viele der Aktionäre, sich wenigstens etwas von ihren Verlusten zurückzuholen. Im Foyer griffen sie ausgiebig bei Freibier und Würstchen zu, klemmten sich hinter die Lenkräder blinkender Neuwagen, streichelten die glänzenden Chromteile und fachsimpelten dabei über Einspritzpumpen und die trüben weltweiten Konjunkturaussichten.

Im Saal stand zunächst das Desaster der Fusion mit Chrysler und des Einstiegs bei Mitsubishi im Vordergrund. Weil in den USA und Japan der Verkauf nicht besonders gut läuft, erwirtschaftet der Konzern derzeit trotz der Rekordgewinne von Mercedes in der Gesamtbilanz einen beträchtlichen Verlust. Mit einem Sanierungsplan, den Schrempp nun entworfen hat, soll das anders werden. Bei Chrysler will man 26 000 Stellen, bei Mitsubishi 9 500 abbauen.

Als der Tübinger Aktionär Ekkehard Wenger im vollen Saal Schrempp vorwarf, er habe 1998 bei der Fusion mit Chrysler »80 Milliarden Dollar für Schrott bezahlt«, und ihn zum Rücktritt aufforderte, gab es viel Beifall. In den folgenden Beiträgen formulierten die Mercedesfahrer eine Globalisierungskritik sui generis. »Statt sich auf das beste deutsche Auto zu konzentrieren, will Schrempp weltweit auf niedrigem Qualitätsniveau agieren«, beklagte ein Aktionär die Strategie der Expansion. Ein anderer warnte vor dem US-amerikanischen Notenbankpräsidenten Alan Greenspan, der die Europäer am Gängelband halte, und kam übergangslos auf die jüdischen Organisationen in den USA zu sprechen, die sich an der von Daimler zu zahlenden Zwangsarbeiterentschädigung bereichern wollten. Als er mahnte, nicht zu nachgiebig zu sein und aufmerksam Norman G. Finkelsteins Buch »Die Holocaust-Industrie« zu studieren, erntete er den Beifall des Publikums.

Der Dachverband der kritischen Aktionäre, ein Zusammenschluss, der sich vorgenommen hat, das soziale und ökologische Verhalten des Konzerns zu beobachten, konzentrierte seine Kritik auf den Fall der verschwundenen argentinischen Gewerkschafter (Jungle World, 8/01). Aus Uruguay war eigens die Journalistin Gabriele Weber angereist. Sie hat in den vergangenen Jahren bei intensiven Recherchen herausgefunden, dass in den Jahren 1976 und 1977 nach dem Putsch der Generäle mindestens 13 Gewerkschafter des Mercedes-Werkes in Gonzalez Catán nahe der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires von Militärs verschleppt und ermordet wurden. Die Werksleitung arbeitete dabei eng mit dem Militär zusammen, sagen Zeugen. Seit einigen Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft in Nürnberg-Fürth nach einer Anzeige des Berliner Anwalts Wolfgang Kaleck gegen führende Daimler-Mitarbeiter.

Holger Rothbauer, ein Sprecher des Dachverbands, fragte auf der Versammlung, warum sich der Konzern bisher nicht öffentlich zu den Vorwürfen geäußert habe. »Haben Sie eine interne Untersuchungskommission gebildet, und ist der beschuldigte Manager Juan Tasselkraut noch bei Daimler-Chrysler beschäftigt?« wollte er wissen. Schrempp antwortete, ihm seien keine Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bekannt, in die der Konzern verwickelt sei. Allerdings bestätigte er, dass Tasselkraut noch immer in leitender Funktion für Daimler-Chrysler in Argentinien arbeitet.

Tasselkraut wird von dem ehemaligen Daimler-Arbeiter Hector Ratto beschuldigt, am 12. August 1977 die Adresse des Betriebsrats Diego Nuñez an Militärs weitergegeben zu haben. Nuñez wurde in der folgenden Nacht verschleppt und blieb bis heute verschwunden. Auch Ratto wurde von Tasselkraut den Militärs übergeben, die ihn wochenlang im Folterzentrum Campo de Mayo quälten.

Mit einem Redebeitrag, der im Saal auf große Aufmerksamkeit stieß, lieferte Gabriele Weber zahlreiche Details ihrer Recherchen über die verschwundenen Gewerkschafter. Unter anderem berichtete sie, dass im März drei Zeugen der damaligen Vorgänge vom deutschen Botschafter in Buenos Aires konsularisch vernommen worden sind und ihre Nachforschungen bestätigt haben.

Jürgen Schrempp sah sich ein weiteres Mal zu einer Antwort genötigt. »Wir unterstützen die Staatsanwaltschaft Nürnberg«, behauptete er, obwohl diese bisher überhaupt nicht direkt an Daimler gewandt hat. Dann versuchte der Top-Manager, Webers Argumentation unglaubwürdig zu machen: Der Zeuge Ratto habe Tasselkraut 1985 entlastet.

Gabriele Weber konnte allerdings noch einmal auf die konsularische Vernehmung hinweisen, in der Ratto vor wenigen Tagen seine Aussage bekräftigt hat. Schrempp solle »nicht länger die Karte der Macht spielen und endlich die Wahrheit sagen«. Außerdem kritisierte sie, dass ihre Recherchearbeit behindert werde. »Hören Sie auf, Mitarbeitern, die Auskünfte geben, Verweise zu erteilen«, forderte sie. Der Konzern benutze seine Bedeutung als Anzeigenkunde, um kritische Veröffentlichungen in der Presse zu unterbinden. Der sichtlich genervte Vorstandsvorsitzende erwiderte, dass es ein »schwebendes Verfahren« gegen Daimler-Mitarbeiter gebe. Nur »im Rahmen der zuständigen Institutionen« könnten Fragen an Mitarbeiter gestellt werden.