Neue Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik

Pflicht zur Arbeit

Mit Kombilöhnen und Leistungskürzungen will die Bundesregierung die Arbeitspflicht für Erwerbslose verschärfen.

Guido Westerwelle ist hocherfreut, denn ausgerechnet ein Sozialdemokrat spricht ihm aus der Seele. Es gebe kein »Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft«, tönte Bundeskanzler Gerhard Schröder in der vergangenen Woche. Die Arbeitsämter sollten daher ihre Sanktionsmöglichkeiten stärker nutzen. Früher wären solche Äußerungen von der SPD als turbokapitalistisches Teufelszeug abgetan worden, meint der FDP-Generalsekretär.

Doch nach den düsteren Konjunkturprognosen für dieses Jahr und den schlechten Daten vom Arbeitsmarkt sieht sich Schröder unter Handlungszwang. Fast vier Millionen sind trotz der günstigen Jahreszeit ohne Job. Um die Zahl der Erwerbslosen dennoch zu senken, will der Bundeskanzler jetzt schärfer gegen »Arbeitsunwillige« vorgehen.

Ludwig Georg Braun, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, nutzte die Gunst der Stunde, um noch über Schröders Vorlage hinauszugehen. »Im Interesse des Wettbewerbs und der Arbeitslosen« hält er es für angebracht, die Lohnkosten »beim derzeitigen Stand einzufrieren«. Schröder hat mittlerweile schon signalisiert, dass er angesichts der schlechten Konjunkturaussichten eine Nullrunde nicht für ausgeschlossen hält.

Sein Wille zum härteren Vorgehen gegen Erwerbslose rief zwar Kritik hervor, und selbst die Arbeitsämter betonten, dass die bisherigen Maßnahmen ausreichend seien. Doch geht es nicht nur um Sanktionen, sondern um eine Neuregelung des Zugangs zum Arbeitsmarkt.

Tatsächlich plant die Bundesregierung schon für diesen Sommer eine Änderung des Sozialgesetzbuches III (SGB III), um so genannte intelligente Systeme der Arbeitsvermittlung einzuführen. Sie folgt damit Modellen der Arbeitsmarktpolitik, die in Großbritannien und Dänemark schon seit einiger Zeit praktiziert werden werden. Welfare to Work, New Deal oder Aktivlinie heißen dort die Programme, die Erwerbslose mit Angeboten konfrontieren, die sie nicht ablehnen können.

Im Laufe eines Jahres will nun auch die Bundesregierung vor allem Langzeiterwerbslosen »maßgeschneiderte Maßnahmen« für den beruflichen Wiedereinstieg anbieten, also Arbeit, berufliche Ausbildung oder Qualifizierung. Jugendliche sollen schon innerhalb eines halben Jahres in den Genuss solcher Angebote kommen.

Für die anschließend vereinbarten konkreten Maßnahmen ist ein individueller Eingliederungsvertrag vorgesehen, und wie bei jedem ordentlichen Vertrag gehört hier zur Leistung des Arbeitsamtes auch die Gegenleistung. Sie heißt: Arbeitspflicht. Vertragsverstöße oder die Ablehnung der jeweils vorgeschlagenen Maßnahmen werden mit rigorosen Leistungskürzungen und Sperrzeiten bestraft.

Angesichts der Lage am Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist kaum zu erwarten, dass die Arbeitsämter sinnvolle oder gar befriedigende tariflich bezahlte Dauerjobs anzubieten haben. Die neue Perspektive der Arbeitsvermittlung gleicht hier vielmehr der alten. Sie setzt auf befristete und ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor oder zweifelhafte Qualifizierungsmaßnahmen wie das allseits beliebte Bewerbungstraining. Und wie bisher wird mit Sperrzeiten und Kürzungen bestraft, wer sich diesen Maßnahmen des Arbeitsamtes verweigert. An dem verbindlichen Eingliederungsplan scheint nur neu zu sein, dass er innerhalb der genannten Zeiträume jedem und jeder Erwerbslosen angeboten werden muss. Bei allein 1,4 Millionen Dauerarbeitslosen im letzten Jahr ist außerdem zu bezweifeln, dass die Arbeitsämter den Plan mit ihren bisherigen Kapazitäten überhaupt erfüllen können.

Zwei Aspekte der Gesetzesnovelle verweisen jedoch auf eine Neuregelung des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Erstens will das Bundesarbeitsministerium mit der Änderung des SGB III die so genannte Jobrotation möglich machen. Arbeitgeber erhalten Zuschüsse, wenn sie Arbeitsplätze, die wegen Schwangerschaftsurlaubs oder Fortbildung vorübergehend frei werden, mit Erwerbslosen besetzen. In Dänemark, dem Vorbild für diese Art der Arbeitsbeschaffung, hat die Post ganze Belegschaftsteile zur Fortbildung geschickt und sich diese indirekt von der Arbeitsverwaltung bezahlen lassen. Hinterher wurde kaum einer der Springer vom Amt übernommen.

Darüber hinaus hat Gerd Andres, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, bei seiner Vorstellung der Regierungspläne von der Einführung spezieller Lohnsubventionen für Dauererwerbslose gesprochen. Alle Indizien weisen darauf hin, dass damit die Einführung des so genannten Kombilohns gemeint ist: Erwerbslosen sollen Billiglohnjobs schmackhaft gemacht werden, indem man entweder den Zuverdienstanteil zum Arbeitslosengeld bzw. zur Arbeitslosenhilfe erhöht oder den niedrigen Lohn zusätzlich subventioniert, etwa über die Sozialversicherungsbeiträge.

Ursprünglich eine Idee der Arbeitgeberverbände, werden Kombilohn-Varianten inzwischen auch von der SPD und den Grünen akzeptiert. Langzeiterwerbslosen bescheren diese Konzepte die schlechtesten Jobs im Niedriglohnsektor, und die Arbeitsämter vermitteln den Einstieg.

Das Entscheidende bei allen Kombilohn-Varianten ist ihre langfristige Wirkung. Der damalige BDA-Präsident Dieter Hundt hat den Kombilohn 1997 als trojanisches Pferd bezeichnet: Wegen des zwingenden Lohnabstandsgebotes in der Sozialhilfe bedeuten staatlich subventionierte Billiglohnjobs automatisch eine Absenkung der Sozialhilferegelsätze. Nach Hundts Auffassung streben die Arbeitgeber Kombi- und andere Niedriglöhne an, die 20 bis 30 Prozent unter den bisherigen Tariflöhnen liegen.

Auch Kombilohn und Jobrotation sind im Rahmen der geplanten Gesetzesänderung verbindlich. Dem Rechtsanspruch auf Eingliederungsangebote stehen eben auch neue Pflichten gegenüber, das sei »nur recht und billig«, kommentiert das Handelsblatt. Staatssekretär Andres spricht von einem »neuen Verhältnis zwischen Sozialpflichten und Sozialrechten« und bringt so den Leitgedanken des »aktivierenden« Sozialstaats der Neuen Mitte auf den Punkt: keine sozialen Rechte und Ansprüche mehr ohne Pflichten, ohne Gegenleistung.

Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums sind die Pläne der Bundesregierung im Bündnis für Arbeit abgesprochen worden. Kein Wunder also, dass Andres' Rede von den Sozialpflichten offiziell nicht auf Kritik stößt. Ursula Engelen-Kefer, die stellvertretende DGB-Vorsitzende, hat gegen den Gesetzentwurf lediglich einzuwenden, dass er unpraktikabel und unnötig sei, da der Sanktionsapparat der Arbeitsämter bereits ausreiche.

Was in der neuen autoritären Pflichtenethik zu verschwinden droht, sind die Reste einer Idee von unbedingten sozialen Grundrechten, von einem Existenzrecht als Menschenrecht, einem Recht auf menschenwürdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, das man sich nicht erst erarbeiten oder verdienen muss. Man kann es auch »Recht auf Faulheit« nennen.