EU stellt neue Asylrichtlinien vor

Harmonisch blockieren

Die EU schränkt mit ihren neuen Asylrichtlinien die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen ein.

Wenn es um ein einheitliches Asylsystem in der Europäischen Union geht, gilt Otto Schily eindeutig als »Blockierer«. Dennoch forderte auch der deutsche Bundesinnenminister wiederholt die Harmonisierung des Asylrechts in der EU. Zuletzt am Donnerstag vergangener Woche, als Schily die neuesten Asylzahlen vorstellte. Bis Ende März hätten 21 042 Personen in Deutschland Asyl beantragt, das sind 11,2 Prozent mehr als in demselben Zeitraum des Vorjahres. Das beunruhigt Otto Schily, der »ein europäisches Konzept« forderte. Allerdings: »Die spezifische Lage in den Mitgliedstaaten muss dabei berücksichtigt werden.«

Sein Ruf wurde offensichtlich in Brüssel gehört. Die Kommission legte in derselben Woche einen Vorschlag für eine »Richtlinie über Mindestnormen für die Aufnahme von Asylsuchenden« vor, in dem sich auch Schily wiederfinden kann. Und Flüchtlingshilfsorganisationen: »Wir haben unsere Positionen in den verschiedenen Verhandlungsstufen mit eingebracht«, sagt Dorothee Starck vom European Council on Refugees and Exiles.

Tatsächlich enthält die neue Richtlinie Vorschriften, die die Situation der Asylsuchenden in manchen Ländern entscheidend verbessern könnten. Alle Mitgliedstaaten, so heißt es im Text der Kommission, müssen Asylsuchenden »ein menschenwürdiges Lebensniveau« garantieren und ihnen ein Mindestmaß an Unterstützung zukommen lassen. Diese Hilfe soll den Flüchtlingen für die gesamte Zeit des Asylprozesses zugute kommen. Den Umfang der Unterstützung will die Kommission den EU-Staaten nicht vorschreiben. Es müsse aber gewährleistet sein, dass die Asylsuchenden und ihre Angehörigen »nicht in Armut absinken«. Minderjährige sollen sofort die Landessprache lernen können und denselben Zugang zum Bildungswesen haben wie einheimische Kinder und Jugendliche.

»Die Standards, über die hier diskutiert wird, sind für manche Länder zweifellos als Fortschritt zu bewerten«, sagt der Europareferent von »Pro Asyl«, Karl Kopp. In Portugal, Italien oder Frankreich etwa werden Flüchtlinge derzeit nur für begrenzte Zeit finanziell unterstützt. Die Kommission will zudem garantieren, dass alle Flüchtlinge das Recht auf eine medizinische Grundversorgung haben. Auch das Recht auf Arbeit soll verankert werden. Künftig dürfen EU-Staaten Asylsuchenden nicht länger als sechs Monate lang den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehren.

In vielen Punkten ist der Text bewusst vage gehalten. Ob Asylsuchende in Hotels, Heimen oder in privaten Wohnungen untergebracht werden, soll gesetzlich ebenso wenig festgelegt werden wie die Form der materiellen Unterstützung. Essenspakete, Gutscheine oder Bargeld - die Länder sollen selbst die Form wählen, »die am ehesten ihrer nationalen Situation entspricht«. Ähnliches gilt auch für die Bewegungsfreiheit der Asylsuchenden.

In diesem Punkt hat sich der deutsche Innennminister stets besonders echauffiert. Nach Angaben der Kommission war es »eine der Fragen, in denen es am schwierigsten war, eine Einigung zu erzielen«. Das Ergebnis war ein Kompromiss, mit dem auch Schily leben kann. Prinzipiell wird Asylsuchenden im Gastgeberland zwar die individuelle Bewegungsfreiheit gewährt. Praktisch kann diese Freizügigkeit jedoch in einigen Fällen sehr stark eingeschränkt werden. Ist etwa eine genauere Prüfung »der Identität oder sonstiger Fakten« notwendig, dürfen Asylbewerber in Gewahrsam genommen werden.

Mit anderen Worten: Abschiebeknäste an Flughäfen sind auch weiterhin erlaubt. Die Reisefreiheit kann zudem »auf ein Teilgebiet« beschränkt werden, »wenn das Verfahren dies erfordert oder dadurch beschleunigt werden kann«. Womit gewährleistet ist, dass auch künftig Asylbewerber in Deutschland ihren Landkreis nicht verlassen dürfen.

»Diese Einschränkung geht eindeutig auf die deutsche Situation zurück«, erklärt Dorothee Starck. Derzeit gebe es außer Deutschland keinen EU-Staat, in dem die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge eingeschränkt sei. Die Maßnahme »kriminalisiere die Flüchtlinge«, sagt Starck. Sie weist auf ein weiteres Hintertürchen in der Direktive hin: Asylsuchenden, »die sich negativ verhalten«, kann die Unterstützung gestrichen werden. Zum Beispiel, wenn sie »ohne Grund verschwinden«, nicht zu Gesprächsterminen erscheinen oder Informationen verweigern. »Es ist seltsam, die Grundversorgung eines Flüchtlings an Verfahrensregeln zu binden«, kritisiert Starck.

Die Staaten der EU besitzen allerdings eine weitere Möglichkeit, die materielle Unterstützung einzustellen. Drei Monate nachdem einem Asylsuchenden der Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt wurde, darf die Hilfe eingeschränkt oder gestrichen werden. Egal, ob der Betroffene nun Arbeit gefunden hat oder nicht.

Das Kommissionspapier wird in den nächsten Wochen in den Ministerrunden für Diskussionen sorgen. Auch die Flüchtlingsorganisationen, denen der endgültige Text erst am Wochenende vorlag, werden sich eingehend damit befassen. Erst dann könne man den Vorschlag genauer kommentieren, betonten Dorothee Starck und Karl Kopp. Ihr Einwirken habe aber auf den ersten Blick zumindest in Teilbereichen Schlimmeres verhindern können.

Die Kommission wollte beispielsweise zunächst die Standards nur für Flüchtlinge gelten lassen, die sich keiner Zulässigkeitsprüfung unterziehen müssen. Das hieße, dass alle diejenigen, bei denen erst einmal geprüft werden muss, welches Land für ihren Antrag auf Asyl zuständig ist, zunächst nicht unterstützt werden. Diese Einschränkung ist aus dem jetzt vorliegenden Entwurf verschwunden. Wenigstens hier war die Lobbyarbeit der NGO erfolgreich.

Insgesamt haben nach Angaben des Flüchtlingsrates der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr rund 390 000 Flüchtlinge einen Asylantrag in einem der 15 EU-Staaten gestellt. In der Bundesrepublik erreichte die Zahl der Asylbewerber mit 78 564 Anträgen im vergangenen Jahr den niedrigsten Stand seit 1987. Auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion teilte die Bundesregierung am vergangenen Donnerstag weitere Zahlen zur Asylrealität in Deutschland mit: Im letzten Jahr wurden 32443 Personen auf dem Luftweg aus Deutschland abgeschoben. Die meisten seien nach Jugoslawien und in die Türkei geflogen worden.