Anton Corbijn

Underground Marketing

Der niederländische Fotograf Anton Corbijn fotografiert am liebsten Popstars. Im Laufe der Zeit hat er eine eigene Ikonografie des Tiefsinns entwickelt.

Seit ungefähr 25 Jahren fotografiert der Niederländer Anton Corbijn berühmte Leute. Schriftsteller, Schauspieler und vor allem Musiker. Angefangen hat er mit hart kontrastierten Schwarz-Weiß-Bildern. Steeley Dan mit Sonnenbrillen und Lederjacken in einem gediegenen bürgerlichen Hotelzimmer. Pete Townshend, auch in Lederjacke, blickt aus dem Fenster einer altmodischen Nobelkarosse. Brian Ferry lehnt im nächtlichen Miami an einem Taxi. David Bowie, geistesabwesend, nur mit Lendenschurz angetan, vor einem schmuddeligen Vorhang. Marianne Faithfull, in Unterwäsche, rauchend über einer Kaffeetasse.

Später, Anfang der neunziger Jahre, machte Corbijn auch Farbfotos. Kurt Cobains blutig gekratzter Rücken, REM-Sänger Michael Stipe im Gegenlicht unter einer Stranddusche, U2 im grell bemalten Trabbi. Ende der neunziger Jahre entstand die Serie »Still Lives«. Lars von Trier, nackt, schiebt eine Schubkarre durch einen Garten, Robert De Niro trinkt Kaffee vor einer Fototapete mit Hochgebirgslandschaft. Durch die offene Türe eines Wohnwagens schaut man Mel Gibson beim Liegestützen-Training zu. Die »Still Lives« sind durchweg in diffusen, eher schmutzig-kalten Blautönen gehalten.

Die Abfolge dieser Phasen, die sich sehr schön anhand von Corbijns Lieblingsmotiv, der Band U2, nachvollziehen lässt, gehorchte durchaus dem popkulturellen Zeitgeist. Während die Schwarzweiß-Bilder dem Bedarf nach Substanz und Echtheit folgen, enstanden die grellen Farbfotos gleichzeitig mit der Karriere des Markenzeichens »schrill«, das zu Beginn der neunziger Jahre eine Zeitlang in keiner Musik- und Filmrezension fehlen durfte. Entsprechend stammen die blau grundierten Bilder aus jenen Jahren, in denen sich Hippie-Kneipen reihenweise in coole Neon-Lounges verwandelten.

Corbijn, der 1955 geboren wurde und heute in London lebt, arbeitet für Tagesgagen von 40 000 Mark. Das spricht dafür, dass er seine Jobs gut macht. Neben Musikvideos, von denen er mittlerweile etwa 70 gedreht hat, gestaltete er, u.a. für Depeche Mode, auch Plattencover, Bühnendekorationen und T-Shirts sowie Werbekampagnen für Firmen wie BMW und Nike.

Corbijn ist mittlerweile fast so berühmt wie die Leute, zu deren Prominenz er beigetragen hat, und deshalb ist seine Kunst selbstverständlich ein Gegenstand der Kunstkritik. Anlässlich der aktuellen Düsseldorfer Ausstellung machten die meisten Besprechungen in Corbijns Fotos ein starkes Moment der Verweigerung aus. »Es geht nicht um Image, nicht um Gefälligkeiten«, schrieb die FAZ. »Corbijn sucht die Brüchigkeit des Showgeschäfts, sucht die Narben in den Gesichtern (...), sucht die Anti-Pose. Niemandem wird geschmeichelt.« Das Feuilleton des Berliner Tagesspiegel stellte fest, Corbijn betreibe »Image-Zertrümmerung«. Und im Begleit-Essay des Ausstellungskataloges hält Bernd Skupin fest: »So ist es auch richtig, dass Corbijn immer noch darauf besteht, ein Underground-Fotograf zu sein und nichts mit den Produzenten hermetischen Glamours gemein zu haben - zumindest, wenn man Underground nicht mit Erfolglosigkeit und Nichtbeachtung gleichsetzt, sondern als Synonym für die Subversität der Arbeitsweise nimmt. Denn die Verabredungen des Mediums Fotografie unterläuft er nach wie vor, und einer der Effekte seiner Subversivität ist, dass seine Fotos erstaunlich langsam altern.«

Das klingt ein bisschen so, als würde hier jemand aus Versehen seine eigene Biografie ins Spiel bringen. Corbijns Bilder verhalten sich zum Popbetrieb etwa so wie die SPD-Jungsozialisten in den siebziger und achtziger Jahren zur herrschenden Politik. Man klopfte revolutionäre Sprüche, zelebrierte abweichendes Verhalten und ordnete sich widerstrebend ein, sobald man ernsthaft zur Ordnung gerufen wurde. Im Gegensatz zu seinen wohlwollenden Kritikern beharrt denn auch Corbijn in keiner Weise darauf, Subversion zu betreiben.

In einem Interview mit der taz umriss er seine Arbeit vor einigen Wochen wesentlich profaner: »Du verlässt morgens mit deiner Kamera das Haus, trinkst eine Tasse Tee mit jemandem und kommst mit einem Foto nach Hause (...). Das ist der Vorteil, wenn man mit berühmten Leuten arbeitet: Man muss sie nicht vorstellen. Es gibt eine öffentliche Wahrnehmung, die man entweder konterkarieren oder auf die Spitze treiben kann. Sonst hat ein Foto doch keine Funktion: Wozu ein Bild machen, das die Leute bereits kennen?«

Auch wenn Corbijn feststellt, »eine gewisse Underground-Einstellung« habe er »definitiv beibehalten«, hat das nichts mit Kritik an der Branche zu tun. Im Gegenteil: Er hat auf eine virtuose Art und entscheidend dazu beigetragen, den Popbetrieb zu perfektionieren. Seine Inszenierungen zeigen Helden, die keine sein wollen. Im Gegensatz zur traditionellen Starfotografie und im Gegensatz zu Autogrammpostkarten, Kino- und Konzertplakaten blendet Corbijn den Aspekt des Marktes und der dazu gehörenden Konkurrenz vollständig aus. Seine Porträts erzählen nichts von Erfolg oder Popularität, sondern handeln von Melancholie, Leere, Geheimnis und Einsamkeit. Die Feststellung der FAZ, Corbijns Bilder seien eine Antwort auf die »Homestories« der Hochglanzmagazine, »die private Nähe vortäuschen«, trifft in einer sehr speziellen Weise zu: Auch Corbijns Bilder symbolisieren sehr nachdrücklich den intimen Blick hinter die Fassaden.

Während aber die Homestory als Dokumentation des wirklichen Lebens auftritt und den Anspruch auf Echtheit erhebt, dient bei Corbijn das Authentische lediglich als Projektionsfläche. Seine inszenierten Momente sind für vielerlei Assoziationen offen, in einem allerdings sind sie als Angebot ziemlich uniformiert: Sie repräsentieren und verlangen Sinn, Tiefsinn. Corbijn porträtiert seine Musiker fast durchweg ohne ihre Instrumente. Der kreative Kniff, die Fotografierten von ihren Arbeitsgeräten und damit vom Popgeschäft zu trennen oder sie in ein ungewohntes Ambiente zu platzieren, zerstört keine Images, sondern ergänzt sie. Im Zweifel an den hergebrachten Rollen der Stars entsteht eine Ikonografie, die Pop und Menschsein in eins setzt und damit den allgegenwärtigen Entfremdunsgverdacht gegenüber der Kulturindustrie außerordentlich elegant dementiert. Insofern ist die These, Corbijn dekonstruiere das Showgeschäft, glatter Unfug.

Durch die Düsseldorfer Ausstellung kann man mit einem Gerät schlendern, das auf Knopfdruck Corbijns eigene Kommentare zu einzelnen Bildern abspielt. Hier wird deutlich, dass der Fotograf großen Wert auf Bedeutung legt und seine Aufnahmen gerne als Chiffren verstanden wissen will. Auf einem Bild, das die britische Band Joy Division zeigt, gehen drei der Musiker nebeneinander vom Betrachter weg. Der vierte, der Sänger Ian Curtis, bleibt einen halben Schritt zurück und blickt nach hinten über die Schulter in die Kamera. Er habe, so Corbijns Kommentar, darüber nachgedacht, ob diese Formation vielleicht ein vorweggenommenes Sinnbild für die Tatsache sein könne, dass Curtis sich 1980 in seinem Haus in Macclesfield erhängte. Eine Antwort gibt es nicht. Die Frage ist alles.

Ausstellung: Anton Corbijn, Werk 1976-2000, NRW-Forum für Kultur und Wirtschaft, Ehrenhof 2, Düsseldorf (bis 13. Mai 2001). www.nrw-forum.de

Katalog: Anton Corbijn, Werk, Schirmer/Mosel, 170 S., DM 78