Stiftungsinitiative verweigert Zahlungen an NS-Opfer

Klage vor Recht

Nach dem Urteilsspruch der US-Richterin Shirley Kram, die Sammelklagen gegen deutsche Banken vorerst nicht zurückzuweisen, erklärte der Kanzler das Thema vorige Woche zur politischen Chefsache. Es mochte auf den ersten Blick amüsant wirken, wie Gerhard Schröder von den Chefs der Wirtschaft anschließend vorgeführt wurde. Statt eine Mahnung vom Kanzler entgegenzunehmen und der staunenden Öffentlichkeit irgendwann den Vollzug zu melden, schalteten sie sich am Tag vor dem Treffen telefonisch kurz und regelten die finanzielle Petitesse im Handumdrehen.

Dem Regierungschef gaben sie dann mit auf den Weg, bei seinem Besuch in Washington Ende März für die Verbesserung ihrer »Rechtssicherheit« zu sorgen. Zugleich wurden sie an einer Arbeitsgruppe beteiligt, die darüber entscheidet, wann der Bundestag die »Rechtssicherheit« festzustellen hat. Damit sind die Wirtschaftskreise an einem Entscheidungsprozess, der dem Parlament vorbehalten war, direkt beteiligt.

Diese neue Variante Berliner Geschichtspolitik zu Lasten der letzten noch lebenden NS-Opfer kommt daher wie ein Stück aus dem Tollhaus, und es ist wahrlich nicht lustig. Deshalb verstummte der Jubel über die Zahlungsbereitschaft der Wirtschaft auch schlagartig, als tags darauf bekannt wurde, was Schröder sich hatte auftragen lassen. Denn die nominelle Garantie der fünf Milliarden Mark ist kein Durchbruch, sondern lediglich ein taktischer Schwenk. Im Kern ging es immer um die Frage, unter welchen Bedingungen »Rechtssicherheit« konstatiert wird, und immer hatte es in dieser Hinsicht Differenzen zwischen Wirtschaft und Politik gegeben. Die einen forderten in ihren vermessensten Formulierungen, es dürften überhaupt keine Klagen mehr gegen sie erhoben werden, die anderen verlangten, alle juristisch relevanten Klagen, die zur Zeit des Berliner Abkommens im Sommer letzten Jahres anhängig waren, müssten entschieden sein, und erhoben diese Sicht auch in den Rang internationaler Verbindlichkeit.

Nun hat es bekanntlich auch immer Widersprüche zwischen der Position der deutschen Wirtschaft und den internationalen Anforderungen gegeben. Sie wurden von der Bundesregierung u.a. durch höhere finanzielle Leistungen ausgeglichen. Jetzt stellt sie sich im Sinne ihrer grundsätzlichen Devise, die Angelegenheiten zum »Schutz der deutschen Wirtschaft« betreiben zu wollen, erneut vollends auf deren Seite. Das bedeutet nicht nur eine Verzögerung, sondern auch die Gefährdung des gesamten Projekts, weil die internationalen Vereinbarungen nicht eingehalten werden. Es ist zugleich ein Vabanque-Spiel nach einschlägiger Machart: alles für die deutschen Interessen, keinerlei Bereitschaft, auf die Opfer zuzugehen.

Insofern liegt die Verantwortung für das Inkrafttreten des Abkommens nicht bei den US-Gerichten oder der US-Regierung, sondern allein bei den Ignoranten in Deutschland. Sie sind offensichtlich bis heute nicht in der Lage anzuerkennen, dass der Grund für ihre Zahlungsverpflichtung nicht aus irgendeiner »Rechtssicherheit« für die deutsche Wirtschaft abzuleiten ist, sondern aus den Verbrechen, die von Deutschen und in diesem Zusammenhang speziell von deren Wirtschaftsführern begangen wurden. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn das Gerede, den Leiden der Opfer wolle man wenigstens heute in der noch möglichen Form entsprechen, beendet würde.