Einzelhändler gegen Demos

Handeln, nicht jammern

Von Protestzügen durch die Innenstadt halten Berliner Einzelhändler nicht viel. Erfolgreich nehmen sie Einfluss auf die Berichterstattung der Medien.
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Ist Berlin eine Metropole? Der Duden weiß die Antwort: Eine Metropole ist a) eine »Hauptstadt mit weltstädtischem Charakter«. Das trifft keinesfalls zu. Oder b) eine »Stadt, die als Zentrum für etwas gilt«. Das passt natürlich immer. Ergo ist Berlin eine Metropole. Eine, die viele Menschen anzieht. Demonstranten zum Beispiel. 2 059 Protestmärsche zählte die Polizei im letzten Jahr in der Hauptstadt, das sind fast sechs pro Tag. Für die Polizei bringen sie durchaus eine gewisse Arbeitsbelastung mit sich, sie sind aber auch eine Form der Existenzberechtigung für die vielen, vielen grünen Männchen.

Doch nicht nur Berlins Ordnungshüter empfinden das hohe Demonstrationsaufkommen als Zumutung, auch die ansässigen Einzelhändler scheinen damit Probleme zu haben. So kann deren Dachverband, die Landesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels, den innerstädtischen Protestzügen nur wenig bis gar nichts abgewinnen. Die aktuelle Nummer der Verbandszeitung Handelsmagazin titelte: »Kann sich der Handel vor Blockaden der Innenstädte effektiv schützen?«

Im Schwerpunkt »Demonstrationen« beklagt sich der Handelsverband über immense Umsatzeinbußen wegen der permanenten öffentlichen Aufzüge, ohne jedoch auch nur annähernd beziffern zu können, wie hoch die vermeintlichen Verluste tatsächlich sind. Bundesweit gingen die Umsatzeinbußen »grob geschätzt übers Jahr in die Milliarden«. Aus Berlin liegen jedoch keine Zahlen vor. Eine Umfrage des Dachverbands unter den Mitgliedsfirmen ergab nämlich keine brauchbaren Ergebnisse, denn kaum jemand beteiligte sich daran. Das Thema interessiert eben nur Unternehmer, deren Geschäfte in unmittelbarer Nähe beliebter Protest-Locations wie Kurfürstendamm, Friedrichstraße oder Alexanderplatz liegen.

Doch die Berliner Einzelhändler jammern nicht nur, sie tun auch etwas. Zwar können sie die unliebsamen Demonstrationen nicht verbieten, doch sie sorgen dafür, dass diese vorher nicht publik werden. Jan Holzweißig, der Sprecher des Berliner Einzelhandelsverbands, bestätigte Jungle World, dass seine Organisation regelmäßig vor größeren Demonstrationen sämtliche Nachrichtenredaktionen der Berliner Radiosender und allen relevanten Tageszeitungen darum bittet, auf Vorberichte zu verzichten.

Die meisten Medien fügen sich. »Es ist unser Verdienst, dass im letzten Jahr Demonstrationen im Vorfeld nicht so publik geworden sind«, erklärt Holzweißig nicht ohne Stolz. Denn schon die Ankündigung einer Demonstration wirke abschreckend auf potenzielle Kunden. Auch würden Verkehrshinweise der Polizei, die zu weiträumigen Umfahrungen der auf der Route liegenden Orte auffordern, ebenfalls dazu führen, dass die Kundschaft wegbleibe.

Wie eine derartige Einwirkung auf die Medienberichterstattung funktioniert, erklärt der Hauptgeschäftsführer der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft, Nils Busch-Petersen. Als er von mehreren geplanten Demonstrationen am 16. Dezember 2000 - mitten im Weihnachtsgeschäft - erfuhr, rief er zwei Tage vorher »alle wichtigen Redaktionen in der Stadt« an. Die meisten Hauptstadtsender »reagierten ausgesprochen positiv, indem sie über die bevorstehenden Demonstrationen nicht oder nur kurz berichteten«. Doch es gab auch Ausnahmen. Aber der Handelsverband ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Eine Radiostation, die erneut von einer stattfindenden 'Großdemonstration' berichtete, veränderte nach einem entsprechenden kurzfristigen Telefonat ihren Nachrichtentext.«

Warum sich Medien von der Lobby der Geschäftsbetreiber dermaßen in ihre Berichterstattung hineinreden lassen, liegt auf der Hand. Beim Einzelhandelsverband handelt es sich nämlich zugleich um den informellen Dachverband der Werbekunden von lokalen Radiosendern und Zeitungen. Und mit denen will man es sich nicht verscherzen.

Doch die Beeinflussung der Medien reicht dem Einzelhandelsverband nicht aus. Demos in Innenstädten passen den Händlern grundsätzlich nicht. Im Handelsmagazin fragt ein Autor: »Warum dürfen Demonstranten Zeitpunkt, Ort und Weg ihrer Demo festlegen? Warum verlegt der Staat die Demos nicht auf die grüne Wiese, jedenfalls außerhalb der City?« Ja, warum bloß nicht? Vielleicht, weil die Grüne Wiese bereits mit riesigen Baumärkten und Möbelhäusern vollgebaut ist? Oder auch einfach deshalb, weil es ein Demonstrationsrecht gibt, auch wenn Wirtschaftsvertreter - und nicht nur sie - es gerne aushebeln würden. Demos stören immer. Selbst wenn weit und breit kein Laden in Sicht ist, wie etwa am Brandenburger Tor. Dann sind es eben so genannte nationale Symbole, die geschützt werden müssen, oder es geht um eine Bannmeile, die nicht verletzt werden darf.

Und so kommen Politiker wie der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Georg Lorenz, auf originelle Ideen. Im vorigen Jahr schlug er vor, den Alexanderplatz zu einem »zentralen Versammlungsgelände« zu machen. Wäre mal was Neues: »1. Mai, 18 Uhr, A-Platz«. Doch ob das den Geschäftsinhabern am Alex gefallen würde, Kaufhof zum Beispiel? Burger King hätte bestimmt nichts dagegen. Nicht nur der Fast Food-Kette brächte das vermutlich einen Umsatzgewinn. Schließlich sind Demonstranten auch nur Menschen, also Konsumenten, die essen, trinken und einkaufen müssen. Selbst Autonome sollen schon beim Shopping gesehen worden sein.

In Köln haben die Geschäftsleute die Zeichen der Zeit bereits erkannt. An einem vorweihnachtlichen Samstag, dem 9. Dezember 2000, sollten dort ein Naziaufmarsch und eine Gegendemo der Antifa stattfinden. Dem örtlichen Handelsverband gelang es in Gesprächen mit den Veranstaltern und der Polizei darauf hinzuwirken, dass die Abschlusskundgebungen früher als geplant, bereits um zehn Uhr morgens, stattfanden. Der Käuferansturm - unter anderem 800 Reisebusse aus dem benachbarten Ausland - wurde nämlich erst für zwölf Uhr erwartet. »Die Folge: Zahlreiche Demonstranten aus der Bürgerszene nutzten die Gelegenheit zum Einkauf«, resümierte das Handelsmagazin zufrieden. Erst gegeneinander demonstrieren, dann gemeinsam einkaufen. Der Handelsverband als Schlichter im politischen Streit. Und bisher glaubte man, gelegentliche Schnittmengen von Rot und Braun ergäben sich aus der gemeinsamen Verachtung des Kapitalismus. Nun wissen wir: Es ist das Gegenteil.

Eigentlich ist diese Erkenntnis bereits zum Berliner Einzelhandelsverband vorgedrungen. Zur Toleranz-Demo am 9. November 2000 vor dem Brandenburger Tor rief auch der Dachverband seine rund 1 000 Mitglieder auf. Wer nun glaubt, die Einzelhändler hätten aus Sorge um Leib und Leben etwa von Ausländern ausnahmsweise nicht ans Geschäft gedacht, irrt allerdings. Der Verband mobilisierte seine Mitglieder mit folgender Losung: »Lassen Sie uns gemeinsam handeln, damit wir auch künftig in Freiheit handeln können.«