Modernisierung der Bundeswehr

Tote Kameraden

Die Mobilmachung läuft auf Hochtouren - ausgerufen von entschlossenen Bürgermeistern, die die langjährigen Gäste in ihren Stadtmauern bis aufs Blut verteidigen wollen. An die Existenz will ihnen der Wehr- und Kriegsminister Rudolf Scharping. Erst letzte Woche verkündete er in der Berliner Julius-Leber-Kaserne, dass im Rahmen einer Streitkräftereform 39 größere und 20 kleine Standorte aufgelöst würden. Erheblich verringert werden soll die Zahl der Soldaten in 40 weiteren Städten und Gemeinden. Rund 55 000 Dienstposten fallen dadurch bis zum Jahre 2006 weg.

Für die Bürgermeister sind das tote Kameraden, Männer, die irgendwann nicht mehr im örtlichen Aldi einkaufen und ihr Bier woanders trinken. »Uns sind die Panzerhusaren sehr lieb geworden«, heißt es allerorts mit Tränen in den Augen. Der Verlust trifft tief ins Herz und ist bereits bis auf den letzten Pfennig ausgerechnet. Beispiel Memmingen: Hier soll das Jagdbombergeschwader 34 mit seinen Tornados verschwinden, was nach Schätzungen von Bürgermeister Ivo Holzinger einen Kaufkraftverlust von 250 Millionen Mark jährlich bedeutet.

Und im hessischen Stadtallendorf, wo vorerst nur eine drastische Reduzierung angesagt ist, soll jeder Soldat pro Jahr immerhin 30 000 Mark ausgegeben haben. Von mittleren Katastrophen, unerwarteten Keulenschlägen, schwarzen Tagen und ausgehenden Lichtern ist auch an den anderen Standorten die Rede. Protest ist angesagt - für den Erhalt von »Arbeitsplätzen«. Selbst die ötv wickelt dafür schon mal die roten Fahnen aus und nagelt Protesttafeln zusammen.

Was ist nur aus der Bundeswehr geworden - in den Köpfen der Deutschen? Ein Arbeitgeber mit dem olivgrünen Band der Sympathie vielleicht? Ein potentes Unternehmen, das in erster Linie Handwerker und Gewerbetreibende im Umkreis von 50 Kilometern mit Aufträgen zu versorgen hat? Eine Wohlstandsmaschine gar, die - warum auch immer - noch nicht im Dax zu finden ist?

Nur unter die Oberfläche der längst vergessenen satten »Friedensarmee« mag niemand gerne schauen. Denn langsam entwickelt sich auch im Detail, was in Umrissen längst sichtbar ist. In Memmingen etwa weiß der Chef des Geschwaders, das für Kriseneinsätze vorgesehen ist, dass man längst nicht mehr im tiefsten Frieden lebt: »Es geht wieder in die andere Richtung.« Auch Ex-Generalinspekteur von Kirchbach stellte in seinen Eckpunkten für die Entwicklung der Streitkräfte fest, dass sich in der Bundeswehr ein Wandel zu »Streitkräften im Einsatz« vollzieht.

Seit dem Angriffskrieg der Nato-Streitkräfte auf Jugoslawien sollte das eine Binsenweisheit sein. Doch es ist nicht zu übersehen, dass vor allem die Bundeswehreinsätze in Somalia und auf dem Balkan einen alten Motor wieder in Gang gesetzt haben. Das unberechenbare Chaos des Krieges schreit nach Perfektion. Und deshalb will Scharping jetzt eine reduzierte Armee mit 285 000 Soldaten, von denen aber 150 000 Männer und Frauen als schnelle Einsatzkräfte in kürzester Zeit an den Rand Europas verlegt werden können, um dort den Frieden in der Festung zu erhalten.

Zusammengestellt wird eine Division für spezielle Operationen, in der Luftlandebrigaden und das Kommando Spezialkräfte schnell mit neuen Transportflugzeugen in Kriegsgebiete verlegt werden können. Scharping braucht bis zum Jahr 2004 Aufklärungssatelliten, die ihm im Berliner Büro den Feind auf den Computerschim zaubern können. Er will nicht mehr abhängig sein von den US-Amerikanern. Deutschland will wie Frankreich seine eigenen Spielchen spielen können - natürlich im Rahmen der Nato, in der man von Jahr zu Jahr mehr zu sagen hat.