Widerstand gegen das Ausländergesetz

Nichts zu verlieren

Migranten in ganz Spanien organisieren sich gegen das neue Ausländergesetz.

Seit sieben Monaten leben sie nun auf der Straße. Die meisten von den etwa 80 Obdachlosen kommen aus Sierra Leone und Senegal. Im letzten Sommer besetzten sie, aus Protest gegen die katastrophale Situation der Migranten ohne Papiere (sin papeles), den Plaza Cataluña mitten im Zentrum Barcelonas. Später folgten diesem Beispiel illegalisierte Migranten aus Rumänien und Bulgarien. Seitdem das neue Ausländergesetz Ende Januar in Kraft getreten ist, weiten sich die Proteste aus.

Die Aktionen begannen, nachdem Ende Juli vergangenen Jahres die Meldefrist für illegal in Spanien lebende Flüchtlinge abgelaufen war. Wer sich bis zu diesem Termin nicht hatte registrieren lassen, hatte keine Chance mehr auf einen staatlich anerkannten Aufenthaltstatus. Und wer keine Papiere hat, kann ohne Unterstützung kaum ein normales Leben führen.

Genau das wollte die Regierungspartei Partido Popular (PP) mit ihrer Ausländerpolitik erreichen. Immer mehr Migranten verloren in den vergangenen Monaten ihre Jobs und landeten auf der Straße. Besonders die aus anderen EU-Ländern wegen der Legalisierung nach Spanien eingereisten Flüchtlinge fanden sich in prekären Verhältnissen wieder. Dies betrifft vor allem sin papeles aus Pakistan, die sich im vergangenen September den Protesten angeschlossen haben.

Angebote für individuelle Lösungen lehnten die sin papeles ab. »Für die 80 Leute auf den Plätzen hätte man noch notdürftige Unterkünfte gefunden«, erklärt Marco von der Anwaltsschule Barcelonas. Aber darum gehe es nicht. So begannen die sin papeles auf dem Plaza Cataluña, regelmäßige Versammlungen abzuhalten.

Die Aktion fand zunehmende Resonanz. Mitte Januar besetzten etwa 360 Menschen die Kirche St. Maria del Pi und traten in einen unbefristeten Hungerstreik. Besonders Flüchtlinge aus Pakistan, Bangladesch, Indien und Marokko zeigten sich entschlossen. »Wir haben nichts mehr zu verlieren«, erklärt ein Pakistani. Deshalb fordern die Hungerstreikenden Papiere für alle 30 000 sin papeles in Katalonien. Zudem wollen die Migranten sichergehen, dass niemand wegen der Proteste verfolgt wird.

Kurz darauf wurden in Barcelona fünf weitere Kirchen besetzt. Doch besonders die Situation der Hungerstreikenden wurde immer schwieriger. Nachdem einige Teilnehmer ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten, wurde der Streik am vergangenen Freitag abgebrochen. Die Flüchtlinge wollen nun mit der katalanischen Regierung verhandeln. Doch diese verlangt als »Zeichen des guten Willens«, dass vorher auch die Kirchenbesetzungen beendet werden - eine Forderung, die die Besetzer vehement ablehnen. Am Sonntag gingen in Barcelona etwa 40 000 Menschen auf die Straße, um sich mit den »Eingeschlossenen« zu solidarisieren.

In sieben weiteren Orten, darunter Murcia und Valencia, beteiligen sich Migranten seit Jahresbeginn an den Aktionen gegen das am 23. Januar in Kraft getretene Ausländergesetz. Auch in Madrid hielten etwa 50 Migranten aus Ecuador über mehrere Tage hinweg eine Kirche besetzt.

In diesem Fall sind es aber nicht die sin papeles, sondern vor allem Flüchtlinge mit legalem Aufenthaltsstatus. »Es wird Zeit, dem Rassismus dieser Regierung ernsthaft die Stirn zu bieten«, sagt José Reduan von der marokkanischen Migrantenorganisation (AEME). Dem Angebot der Regierung, »gnädigerweise 60 000 Menschen zu legalisieren«, wie es der Ausländerbeauftragte Enrique Fernández-Miranda letzte Woche formulierte, traut Reduan nicht. »Das ist eine Falle, um die Proteste aufzulösen.« Mit der Drohung, alle an den Protestaktionen beteiligten illegalen Migranten abzuschieben, hat Innenminister Jaime Mayor Oreja (PP) bereits deutlich gezeigt, wie er vorzugehen gedenkt.

Oreja will auf jeden Fall einen dauerhaften Aufenthalt der Migranten verhindern. Deshalb nahm seine Behörde auch bilaterale Verhandlungen mit Ecuador auf. Die 150 000 »illegal« in Spanien lebenden Ecuadorianer sollen in ihr Herkunftsland zurückkehren. Sie haben zwar befristete Arbeitsverträge erhalten, aber natürlich nur mit der Einwilligung, nach Ablauf der Frist Spanien zu verlassen. Nach diesem Modell arbeiten jedes Jahr Tausende Marokkaner auf den Plantagen der Kanarischen Inseln.

Außer mit Ecuador verhandelt die spanische Regierung derzeit mit Marokko und Polen über so genannte Einwanderungskontingente. Dabei geht es um billige Arbeitskräfte, die von der spanischen Wirtschaft dringend benötigt werden. In den Gemüse- und Obstplantagen Murcias und Andalusiens sind derzeit 10 000 Stellen frei, da viele Großbauern aus Furcht vor Strafen keine sin papeles mehr einstellen. Denn nach dem neuen Ausländergesetz macht sich nicht nur strafbar, wer illegale Flüchtlinge beschäftigt, auch bloße Hilfeleistungen wie Unterkunft oder Transport werden zukünftig strafrechtlich verfolgt. Zudem müssen Migranten, die ohne gültigen Arbeitsvertrag erwischt werden, innerhalb von 72 Stunden das Land verlassen.

Doch nicht nur die arbeitsrechtliche Situation hat sich mit dem neuen Gesetz dramatisch verschlechtert. Wie die spanische Flüchtlingsorganisation CEAR mitteilte, haben die Behörden kürzlich einem Flüchtling im Hafen von Bilbao jegliche medizinische und juristische Hilfe versagt. CEAR liegen Zeugenberichte vor, nach denen das Innenministerium die lokalen Behörden angewiesen habe, diese Rechte - außer für Kinder und in Notfällen - zu verweigern.

Die Organisation belegt in ihrem Bericht außerdem, dass im Vergleich mit anderen EU-Staaten in Spanien die wenigsten Migranten leben. Doch die PP weiß mit ihrer Anti-Ausländerpolitik nicht nur Wahlerfolge zu erringen und so die Schengengrenze auszubauen, sondern auch den Anforderungen einer globalisierten Wirtschaft gerecht zu werden.

Nach einer Studie der Weltbank benötigt das Land pro Jahr etwa 300 000 Migranten, um die Renten und das Sozialprodukt stabil zu halten. Die Einwanderung müsse jedoch so kontrolliert wie möglich geschehen. Schließlich »bestimme der Rechtsstaat, wer wann und wie ins Land einreist«, erklärte kürzlich Innenminister Oreja.

Wie gut sich diese Politik mit der öffentlichen Meinung verträgt, zeigte die letzte Umfrage des Zentrums für soziologische Studien: 48,6 Prozent der Bevölkerung - dreimal soviel wie 1994 - bezeichnen ihre Haltung gegenüber »Ausländern« als intolerant.