Beginn der Berlinale

My Private Stalingrad

Mistelschneider und Wolgasucher über ihren Job beim Stalingrad-Film, mit dem die Berlinale eröffnet wird. Aufgezeichnet

Ein ziemlich authentischer Dreh. Knietief im Matsch und dabei eiskalt. So etwas wie ein Stalingrad-Feeling kam jedoch zu keinem Zeitpunkt auf, es war halt ein Job, bei dem man die ganze Zeit hochkonzentriert sein musste. Um halb fünf steht man morgens auf, nachdem man mit viel Pech die ganze Nacht von der Produktion geträumt hat. Und das über einen sehr langen Zeitraum - fast so lange wie der Kampf um Stalingrad auch in Wirklichkeit gedauert hat.

Aber das war okay, denn der Film hat viel bewirkt. Für die Region Berlin-Brandenburg, weil die Studios bewiesen haben, dass sie internationale Großprojekte ohne Probleme hinkriegen, und für viele Berliner Freaks, die sich mit dem Job für längere Zeit finanziell sanieren konnten.

Die Crew bei »Enemies at the Gate« war international, viele extra angeforderte englische Spezialisten waren darunter, weil in Deutschland kaum jemand Erfahrung mit solchen Großproduktionen hat. Die meisten kamen geradewegs aus Malaysia, vom Dreh des letzten James Bond-Films.

Ein bißchen spleenig waren die Briten dabei schon: Als BMW während der Drehzeit die britische Automarke Rover wieder verkaufte, tauschten sie tatsächlich ihre Leih-BMW sofort in Rover um.

Auf Authentizität wurde sehr viel Wert gelegt, Jean-Jacques Annaud gilt zu Recht als detailfreudiger Regisseur. Für die Großaufnahme eines toten Pferdes wurde z.B. kein Pferde-Dummy verwendet. Nicht nur, weil es viel zu schwer gewesen wäre - an so einem Imitat aus Plastik perlt Wasser einfach ab, es sieht daher niemals echt aus. Stattdessen wurde morgens eine gekühlte Pferdeleiche aus einer Schlachterei angeliefert.

Gerade die Kleinigkeiten machen beim Film aber häufig die größten Probleme. Als z.B. 40 000 Sandsäcke gefüllt werden mussten, erwies sich das als extrem schwierig. Nicht, weil die für die russischen Schützengräben vorgesehenen Säcke aus irgendwelchen Gründen sehr groß und die für die deutschen sehr klein sein sollten. Volle Sandsäcke sind einfach sehr schwer, besonders wenn sie gefroren sind, und daher kaum zu transportieren. Irgendjemand kam dann auf die Idee, sie einfach mit Sägespänen zu füllen, und nun sind diese simplen Sandsäcke wahrscheinlich das einzig Nichtauthentische im ganzen Film.

Sogar die Waffen waren zum größten Teil echt. Nur wenige, wie z.B. zwei T-34-Panzer, wurden wegen der besseren Handhabung extra nachgebaut, mit Originalmotor und -fahrgestell, aber leichtem Chassis.

Auch aus in- und ausländischen Museen wurden Objekte geholt. Und nicht unbedingt gut behandelt. Eine antiquarische Druckmaschine, die für die Ausstattung der Prawda-Druckerei benötigt wurde, stand einfach ungeschützt in einer Halle herum. Als der Beauftragte des Museums das bemerkte, hat er solange gemeckert, bis er die Zusage hatte, dass die Decke wasserdicht gemacht wurde. Ein anderes Mal wurde ein alter Flieger angeliefert, der auf dem Roten Platz als abgestürzte Maschine herumliegen sollte. Als die Eigentümer mit ihrem frisch geputzten Flugzeug ankamen und den ganzen Matsch sahen, sind sie nach einem kurzen Wortwechsel gleich wieder abgezogen. Später scheint man sich aber geeinigt zu haben, denn am Ende spielte der Flieger doch mit.

Für den Film wurde aber auch massiv eingekauft. Durchweg neue Sachen, die dann erst einmal verbrannt, verschmutzt oder zerstört werden mussten. Solche Authentizität kostet zwar viel Geld, aber das war wegen des damaligen günstigen Dollarkurses kein Problem. Wochenlang flog man so z.B. mit Hubschraubern über Ostdeutschland, um etwas Wolgaähnliches zu finden. Da man nicht fündig wurde, nahm man einen gefluteten Tagebau bei Cottbus. Das war schwierig, denn die Szenen konnten nur bei einem bestimmten Wasserstand gedreht werden. Das Wasser fließt übrigens immer noch, in spätestens zehn Jahren werden die Cottbusser einen neuen Badsesee haben.

Beim Film hat man ja immer das Problem, dass man dem Regisseur viel anbieten muss. Das heißt, dass man bis in die kleinste Ecke gut arbeiten und ausstatten muss, alles muss authentisch aussehen. Was der Regisseur davon tatsächlich nimmt, ist eine andere Frage.

Ende Dezember kam z.B. das Sturmdesaster, ein nicht eingeplanter Orkan. Da hat's den detailgetreu nachgebauten Roten Platz gefetzt, kurz vor Drehbeginn. Unter anderem wurde ein sehr schönes Kinderkarussell umgeworfen - das wahrscheinlich sowieso nie ins Bild gekommen wäre.

Auch die Natur musste echt aussehen. So wurden ohne Ende Birken gefällt und dann woanders hingestellt. Ein wirkliches Problem aber waren die Misteln, in ganz Krampnitz hingen die Bäume voll damit. Nun gibt es in Russland aber keine Misteln, deswegen wurde extra jemand damit beauftragt, die Dinger von den Bäumen zu schneiden. Er fuhr dann also mit einem Cherrypicker los, das ist eine benzingetriebene Panzerraupe mit einem bis auf 37 Meter Höhe ausfahrbaren Korb, und entfernte tagelang Misteln. Einmal ging ihm jedoch das Benzin aus, und so musste er bei klirrender Kälte oben im Korb warten, bis ihn jemand fand, Treibstoff nachfüllte und ihn dann herunterließ.

Die Komparsen sahen wirklich furchtbar aus. Vielleicht ein bißchen zu wohlgenährt, aber das mag auch am Catering gelegen haben. Denn während der Drehzeit war die Verpflegung hervorragend.

Die russischen Komparsen waren nicht besonders zufrieden mit der Darstellung der Russen im Film. Sie war ihnen zu klischeehaft, zu typisch. Einer sagte einmal: »Das ist doch zu einfach, Stempel drauf, und fertig ist der Russe. Und dann das ganze Getue um das angebliche Phänomen des russischen Wesens - wir wissen doch selber nicht, wie das wirklich aussieht, wie soll es dann ein Nicht-Russe erfassen?«

Aber man ging gut mit den Komparsen um, solange sie ihren Job machten. Einmal hat einer während der Aufnahmen gelacht, der wurde gleich wieder nach Hause geschickt. So etwas kann schließlich Tausende Dollar kosten, wenn man es nicht rechtzeitig bemerkt.

Jetzt sieht es an den Drehorten so aus, als sei nie etwas passiert. Das meiste am Set ist von Abbruchunternehmen beseitigt worden, während die meisten angefertigten Kostüme, Waffen etc. in den Babelsberger Fundus wanderten. Etliches ist gleich nach Griechenland zu einer anderen Produktion geschickt worden.