Auslieferung von Alfred Sirven

Jetzt schlägt’s Elf

Mit Alfred Sirven ist in Manila eine Schlüsselfigur der Skandale des französischen Elf-Konzerns verhaftet worden.

Ein vorgezogenes Valentinstag-Geschenk« seines Landes an Frankreich befinde sich an Bord des Lufthansa-Fluges 751, der am Freitagabend von der philippinischen Haupstadt Manila aus nach Frankfurt/Main startete. Das versprach Ricardo Diaz, Chef des philippinischen NBI, des lokalen Pendants zum US-amerikanischen FBI, vor der internationalen Presse. Um 16.15 Uhr Ortszeit am letzten Freitag hatten NBI-Polizisten Alfred Sirven in einer Villa in Tagay-Tay, rund 60 Kilometer südlich von Manila, verhaftet.

Die Rückkehr des in Frankreich angeblich meistgesuchten Mannes dürfte den einen Freudenschreie entlocken, anderen Angstschweiß auf die Stirn treiben. So zeigt eine Karikatur der Boulevardzeitung France-Soir einen von Polizisten geleiteten Sirven, den Reporter mit vorgehaltenem Mikrophon fragen: »Haben Sie eine Erklärung abzugeben?« Die einstimmige Antwort »Nein« steigt aus den Köpfen einer Reihe von Prominenten, insbesondere Angehörigen der politischen Klasse, der Regierungslinken ebenso wie der bürgerlichen Rechten. Die Schlagzeile dazu: »Die Bombe Sirven«.

So ist es wohl kein Zufall, dass die Suche nach Sirven lange Zeit mit geringem Eifer betrieben wurde, aber umso größere Pannen produzierte. Bereits im August 1996 hatte Sirven einer ersten Vorladung zur Polizeiinspektion für Finanz- und Steuerdelikte nicht Folge geleistet und sich ins Ausland abgesetzt. Seit dem Juni 1997 wurde Sirven mit internationalem Haftbefehl gesucht. Im Januar 1999 berichtete Le Monde, dass der Haftbefehl nur an die dem Schengen-System angehörenden EU-Länder weitergeleitet worden sei, obwohl Sirven sich wahrscheinlich entweder in der Schweiz, wo er lange Zeit als Chef der Genfer Elf-Filiale EAI wohnte, oder aber außerhalb Europas aufhalte. Nach der Enthüllung dieser »Justizpanne« wurde der Haftbefehl an die 177 Mitgliedsstaaten des Polizeiverbands Interpol durchgegeben.

Schließlich machte kein beamteter Ermittler, sondern die Regenbogen-Zeitschrift Paris Match Sirven im August 1999 ausfindig; das Blatt veröffentlichte Fotos seiner damaligen Residenz in Manila. Doch es vergingen nochmals anderthalb Jahre, bis Sirven die Handschellen angelegt wurden.

Eine erneute »Panne« verzögerte die Ankunft Sirvens in Paris am Wochenende. Da die Polizeieskorte des Festgenommenen wegen eines Staus nicht rechtzeitig ankam, wurde er in die nächste Linienmaschine gen Europa gesetzt - ein Flugzeug der Lufthansa auf dem Weg nach Frankfurt/ Main. Die deutschen Behörden hatten den Franzosen ursprünglich zugesagt, Sirven durch die internationale Transitzone am Rhein-Main-Flughafen zu schleusen und gleich nach Paris weiterfliegen zu lassen. Doch bei der Ankunft in Frankfurt, am Samstag früh kurz vor 6 Uhr, hatten die Deutschen es sich bereits anders überlegt. Sie wollten Sirven am Montagvormittag einem deutschen Staatsanwalt vorführen. Möglicherweise steckte dahinter die Erwartung, dass Sirven der deutschen Justiz Aufschlüsse über die Elf-Leuna-Finanzierungsaffäre aus den frühen neunziger Jahren geben könne, in der die deutsche und die französische Politik nicht dieselben Interessen verfolgten (Jungle World, 2/00).

In Paris wurde seine Ankunft mit Spannung erwartet, war doch dort am 22. Januar der Prozess in der Strafsache Dumas / Deviers-Joncours eröffnet worden, in dem es in erster Linie um Aktivitäten des Elf-Konzerns geht. Mitte vergangener Woche wurde die Anhörung von Angeklagten und Zeugen beendet, und just am Montag dieser Woche sollten die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigern beginnen. Der Hauptangeklagte, gegen den in Abwesenheit verhandelt wurde und auf dessen Schultern der Rest der sieben Beschuldigten einstweilen alle Verantwortung ablud: Alfred Sirven, ehemaliger »Direktor für allgemeine Geschäftsangelegenheiten« der Elf. Als die Nachricht von seiner Festsetzung eintraf wurde allgemein mit einer Aussetzung des Prozesses gerechnet.

Bekanntlich hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Diese Regel gilt aber nicht unter Vertretern von Großkapital und Rüstungsindustrie im Falle der derzeit vor der französischen Justiz verhandelten Elf-Skandale. Denn nicht zuletzt die Klagen zweier führender Konzerne, die man dem so genannten militärisch-industriellen Komplex zuordnen kann, haben zu den aktuellen Gerichtsverhandlungen geführt.

Zum einen hatte die Elf-Konzernspitze am 6. Mai 1995 den ehemaligen Elf-Generaldirektor Loik Le Floch-Prigent wegen Veruntreuung angezeigt. Ursprünglich ging es dabei um rund 100 Millionen Euro, die Le Floch-Prigent zwischen 1989 und 1993 als amtierender Konzernchef in den maroden Textilbetrieb seines Freundes Maurice Bidermann gepumpt hatte und die für das Firmenvermögen verloren waren.

Im Laufe der Ermittlungen kamen umfangreiche Unterschlagungs-, Schmiergeld- und Bestechungskanäle ans Licht, die insbesondere Alfed Sirven in der Genfer Filiale EAI (Elf Aquitaine International) unterhielt. Auf insgesamt drei Milliarden Franc (500 Millionen Euro) wird heute der Umfang der auf diese Weise abgezweigten Gelder geschätzt. Davon lief allein die Hälfte, folgt man dem helvetischen Untersuchungsrichter Paul Perraudin, über Sirvens Konten in der Schweiz.

Aus diesem Topf wurden bedeutende Teile der politischen Klasse bedient, vor allem aber die Clans um den früheren französischen Staatspräsidenten François Mitterrand und um den national-populistischen Politiker Charles Pasqua. Denn beide Politiker und ihre Umgebung spielen eine führende Rolle in der französischen Afrikapolitik. Dieser Kontinent aber ist eines der wichtigsten Operationsgebiete des Elf-Konzerns, der in einigen Ländern an der Atlantikküste de facto die Regierungsgewalt innehat.

Die andere Klage stammt vom Elektronik- und Rüstungskonzern Thomson. Der war 1996 von einem Schiedsgericht in Genf dazu verurteilt worden, umgerechnet etwa 25 Millionen Euro an die Schweizer Briefkastenfirma Frontier AG Bern, hinter der sich Alfred Sirven verbarg, zu zahlen, und zwar als Provision für die Einfädelung eines Rüstungsgeschäfts mit Taiwan. Sirven hatte in dem Schiedsverfahren als Zeuge ausgesagt, ein Netz von Elf-Informanten habe die Vorbehalte der chinesischen Regierung ausräumen können. Doch der Thomson-Konzern beurteilte die Situation so, dass Sirvens Firma in Wirklichkeit nur selbst abkassieren wollte, ohne dass eine reale Vermittlungstätigkeit in Peking stattgefunden hätte. Und so erhob Thomson im Februar 1997 in Paris Klage wegen Betrugs.

Die beiden Affären sollten sich in der Folgezeit kreuzen. Denn während der Ermittlungsarbeit gegen Le Floch-Prigent stießen die Untersuchungsrichterinnen Eva Joly und Laurence Vichnievsky Ende 1997 auf die vorgebliche Elf-Mitarbeiterin Christine Deviers-Joncours. Sie hatte Überweisungen des Elf-Konzerns in Höhe von zehn Millionen Euro eingestrichen. Diese Gelder dienten dazu, dem damaligen sozialistischen Außenminister Roland Dumas - seit 1988 der Lover von Christine Deviens-Joncours - die Wünsche der Elf-Gruppe nahe zu bringen. Dabei ging es insbesondere um die Lieferung von Fregatten an Taiwan, gegen die er 1990 zunächst sein Veto eingelegt hatte. Im folgenden Jahr gab er dem Export dann aber grünes Licht, und am 31. August 1991 wurde der Vertrag in Taipeh unterzeichnet.

Die bisherige Debatte im Dumas-Prozess drehte sich bislang hauptsächlich darum, wer wen instrumentalisiert habe. War es Dumas, der verdienen wollte und deshalb seine Geliebte als »Vermittlerin« vom Elf-Konzern einstellen ließ? Oder war es der Ölriese, der Dumas einzukaufen suchte? Bisher schoben die Angeklagten die Schuld hin und her, vor allem aber mit vereinten Kräften auf die Schultern Sirvens.

Indes stehen noch brisantere Aspekte auf dem Spiel. Denn dramatischer, aber auch weniger öffentlichkeitswirksam als der Fortsetzungsroman um Dumas und seine Geliebte sind die Elf-Praktiken in Afrika. Hier wären Querverbindungen zu anderen Ermittlungsverfahren, etwa zu den Aktivitäten des Waffenhändles Pierre-Joseph Falcone und seiner politischen Hintermänner (Jungle World, 5/01), von höchstem Interesse.