WEF-Treffen in Davos

Keep up the dialog

Das World Economic Forum in Davos ist nach den martialischen Sicherheitsmaßnahmen umstrittenener denn je.

Für die Veranstalter ist das World Economic Forum (WEF) in Davos das wichtigste Treffen so genannter globaler Entscheidungsträger. Doch während sich die etwa 3 000 TeilnehmerInnen des WEF Gedanken über die Zukunft der Weltwirtschaft machten, hatten die Schweizer Behörden andere Sorgen. Sie sahen bereits vor der Tagung wegen der angekündigten Proteste das halbe Land in Flammen stehen. Und auch die Polizei wollte sich angesichts so vieler Superlative nicht lumpen lassen.

Die aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen für das Treffen in Davos waren nach Aussagen der Bündner Kantonspolizei die größte Herausforderung für die eidgenössischen Ordnungskräfte seit dem Durchmarsch Napoleons im Jahr 1804. Bahnhöfe und Zufahrtsstraßen wurden gesperrt, Tausende Polizisten aus der gesamten Schweiz sowie Einheiten der Armee waren im Einsatz. Die Bundesregierung in Bern verhängte Einreisesperren gegen 300 AusländerInnen, die angeblich schon bei früheren Anti-Globalisierungsaktionen aufgefallen waren. Bereits einige Woche zuvor hatte das US-Außenministerium von einem Besuch in Davos abgeraten. Die Sicherheitslage sei für US-BürgerInnen zu bedenklich.

Vor allem die angekündigte Demonstration des internationalen Bündnisses WOW! (Wipe out WEF), die bis zuletzt verboten blieb, versetzte die Schweizer Behörden in Angst und Schrecken. Die Polizei appellierte an die Initiative der Bevölkerung. Bauern der Umgebung wurden aufgerufen, Jauchetraktoren für militante DemonstrantInnen bereitzuhalten; »gewaltbereiten Kritikern« des WEF sollten keine Unterkünfte vermietet werden. So gelang es SprecherInnen des Attac-Seminars L'autre Davos beispielsweise nicht, die in Zürich reservierten Hotelzimmer zu beziehen. Adam Ma'anit von der Organsation Corporate Europe Obervatory, die als Referentin auf dem open eye-Gegenkongress sprechen sollte, wurde bereits bei ihrer Anreise inhaftiert. Am vergangenen Samstag wurde der Zugverkehr nach Davos eingestellt.

Tausende DemonstrantInnen versuchten trotzdem, in Buskonvois und Zügen nach Davos zu gelangen. Doch nur einige Hundert konnten die hermetischen Absperrungen überwinden und in dem Kurort demonstrieren. Die Polizei umzingelte bei dichtem Schneetreiben die Gruppe, setzte Wasserwerfer ein und drängte sie dann zum Bahnhof ab.

Alle anderen wurden bereits in der Kleinstadt Landquart gestoppt und blockierten dort für einige Stunden die Autobahn und den Zugverkehr. Protestaktionen von italienischen WEF-GegnerInnen gab es auch an der italienischen Grenze in Chiasso. Nach einem Polizeieinsatz wurde der Übergang geschlossen.

In Zürich versammelten sich am gleichen Abend etwa 3 000 Demonstranten. Anschließend kam es es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die GlobalisierungsgegnerInnen warfen Steine, errichteten Barrikaden und zündeten Autos an. Die Polizei setzte Tränengas, Gummigeschosse sowie Wasserwerfer ein und nahm etwa 100 Personen fest. Auch in Bern und Genf fanden Anti-WEF-Aktionen statt. In Madrid demonstrierten über 5 000 Menschen gegen das Forum in Davos.

In der brasilianischen Stadt Porto Alegre, wo gleichzeitig mit dem WEF das Weltsozialforum stattfindet, kritisierten die etwa 10 000 TeilnehmerInnen das Vorgehen der Schweizer Polizei. Sie zogen am vergangenen Wochenende mit Transparenten durch die Stadt und forderten die »Respektierung der Meinungsfreiheit in der Schweiz«.

Angesichts der martialischen Sicherheitsmaßnahmen änderte sich auch die öffentliche Stimmung in der Schweiz. Während zuvor vor allem von gewaltbereiten Chaoten die Rede war, heißt es nun, das Image des Touristenortes Davos sei durch ein Klima von Angst und Militarisierung gefährdet. Die polizeistaatlichen Anordnungen seien übertrieben, kommentieren viele Reporter in Zeitungen und Fernsehsendungen. Der Ferienort Davos sei zu klein, um ein Ereignis wie das WEF veranstalten zu können. Zudem werden auch Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des sicherheitspolitischen Vorgehens laut. Nach einer Umfrage des Wochenmagazins Facts sind 58 Prozent der Bevölkerung der Meinung, es sei gut, wenn sich die GlobalisierungskritikerInnen in Davos versammeln.

Eine solche Resonanz hatten sich die Organisatoren des WEF wohl kaum vorgestellt. Obwohl sie mit einer ungewöhnlich aufwendigen Pressekampagne für das angeblich philantropische Anliegen des Forums warben, gelang es dem breiten Bündnis aus christlichen bis autonomen Gruppen, die öffentliche Akzeptanz des Treffens empfindlich zu mindern. Denn die 3 200 TeilnehmerInnen des WEF waren nicht nur selbst von den Sicherheitsmaßnahmen betroffen. Die mediale Aufmerksamkeit mussten sie fast vollständig an ihre Gegner abtreten, denn fast alle Berichte widmeten sich überwiegend den Protesten.

Geradezu akrobatisch mutete in dieser Situation der Versuch des Bundespräsidenten Moritz Leuenberger an. In seiner Eröffnungsrede des WEF am 25. Januar unternahm er es, das Tagungsmotto »Brückenschlagen« mit einem Zitat von Marx zu retten, den er als einen »frühen Vertreter der Globalisierung« und somit »Urahnen des WEF« darstellte.

Der weltweiten Kritik kann sich mittlerweile auch das WEF nicht mehr verschließen. Die Proteste seien »auch Ausdruck einer gewissen Unsicherheit über die Entwicklung der Weltwirtschaft«, erklärte der Schweizer Josef Ackermann, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und Präsident des WEF, in einer Radiosendung. Das Forum müsse die Kommunikationspolitik ändern und deutlich machen, »dass nicht alle dieselbe Meinung vertreten über Globalisierung und darüber, wie man arme Länder ins Welthandelssystem integrieren soll«. Auch der deutsche Außenminister Joseph Fischer äußerte in seiner Rede vor den WEF-Teilnehmern Verständnis für die KritikerInnen der wirtschaftlichen Folgen der Globalisierung.

Die Gunst der Stunde wussten auch Produktentwickler zu nutzen: »Spotme«, ein computergestütztes Networking-System, hilft Neueinsteigern in Davos bei der Identifizierung wichtiger Kongressteilnehmer und alarmiert sie, sobald sich die gesuchte Person in einem Umkreis von zehn Metern befindet. Der Zürcher Medienproduzent Gees reagiert mit dem von swissinfo finanzierten Projekt »hellomrpresident« auf die Demokratie-Defizite des WEF. Über Internet oder per SMS können 160 Zeichen lange Mitteilungen gesendet werden, die abends mit Laser auf eine Skipiste in Davos projiziert werden. »Keep up the dialog«, war dort beispielsweise zu lesen.

Das Zusammenspiel von Mitsprachemöglichkeit, Kommunikationstechnologien und Macht war sowohl auf dem Gegenkongress von open eye als auch bei dem von den französischen Globalisierungskritikern attac organisierten Seminar das zentrale Thema. Die Nichtregierungsorganisationen klagten über das »Dilemma«, einen »Dialog« innerhalb und außerhalb des WEFs führen zu müssen. Die Entscheidungsstrukturen von Institutionen wie etwa dem Internationalen Währungsfonds müssten demokratisiert werden, forderten die TeilnehmerInnen. In der Wahl der Mittel, mit denen dieses Ziel durchgesetzt werden soll, war man sich weitgehend einig. Der globalisierte Markt soll durch Lobbying und politischen Druck auf die Regierungen in seine Schranken verwiesen werden. Attac wiederholte zudem die Forderung nach einer internationalen Besteuerung des frei fluktuierenden Finanzkapitals.

Wenig Gelegenheit, auf inhaltliche Fragen einzugehen, hatten hingegen die Gruppen, die sich an dem Bündnis WOW! beteiligten. Sie waren vor allem mit der Durchführung der Demonstration und den polizeilichen Gegenmaßnahmen beschäftigt.