Dieter Dehm, PDS

»Antifaschismus heißt Heimatpflege«

Die Parteivorsitzende gab den Startschuss: Seitdem Gabi Zimmer im Oktober letzten Jahres mit ihrem Liebesbekenntnis zu Deutschland »ein Tabuthema der Linken« anpackte, vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein PDSler die Nation für sich entdeckt. Vergangene Woche nun schaltete sich der stellvertretende Bundesvorsitzende Diether Dehm in die Deutschlanddebatte der PDS ein. Der Vorschlag des ehemaligen Songwriters (»Das weiche Wasser bricht den Stein«): Die Linke solle »mit dem Begriff der deutschen Nation produktiv« umgehen und Schluss machen »mit der albernen Verwechslung von ðnationalÐ und ðnationalistischЫ. Stattdessen plädiert Dehm für die Verwendung des Begriffs »nationaler Internationalismus«.

Beginnen wir mit der Frage, ohne die zur Zeit kein Interview mit PDS-Politikern auskommt. Herr Dehm, lieben Sie Deutschland?

Ich hab' Deutschland ganz gern. Eben weil es immer auch ein anderes Deutschland gab und gibt.

Sind Sie stolz, Deutscher zu sein?

Ich bin stolz auf die Antifaschisten in Deutschland, ich bin stolz auf die Klassik, ich bin stolz auf Karl Marx, auf Goethe, Heine und Brecht. Ich schäme mich für deutschen Antikommunismus, Militarismus und dafür, dass die Linke nicht einig genug war, einen Hitler zu verhindern oder einen Adenauer.

Haben Sie zu Ihrer Forderung nach einem »nationalen Internationalismus« schon das passende Lied geschrieben? Wie wär's mit dem Refrain: »Nationalisten aller Länder, vereinigt Euch«?

Nationalisten sind Scheißtypen, mit denen ich nichts zu tun haben will. Genauso wenig übrigens wie Fidel Castro und die kubanischen Literaten, die von patria o muerte, das heißt Vaterland oder Tod sprechen, Nationalisten wären. Es geht einfach darum, dass in der internationalistischen Linken weltweit darüber debattiert wird, wie man den Monopolen entgegentreten kann, die den nationalen Sozialstaat unterhöhlen wollen.

Und dazu führen Sie die Nation ins Feld. Bis zum nationalen Sozialismus ist es dann auch nicht mehr weit.

Die Nazis haben mehrfach grausam gelogen: Sie nannten sich Sozialisten und waren keine. Sie nannten sich Nationale und haben Deutschland in Trümmern hinterlassen.

Sie nennen sich einen Sozialisten und fordern, mit dem Begriff der deutschen Nation »produktiv umzugehen«. Darf ich daraus folgern, dass Sie ein nationaler Sozialist sind?

Ich fordere nicht die Einführung des Begriffs des Nationalen, sondern sage, dass etwa die Nationale Front in der DDR, an der man viel Kritik haben kann, niemals nationalistisch war. Und diejenigen, die sich innerhalb der kommunistischen oder sozialdemokratischen Linken national genannt haben, haben sich nie nationalistisch geäußert. Es gibt doch eine Geschichte von hundert Jahren: Ein August Bebel, der sagt, »wir sind national, das Kapital ist vaterlandslos«, war ja nicht nationalistisch. Und Bertolt Brecht, der gesagt hat, dass ein gutes Deutschland blühe - angesichts von Adenauer und angesichts des zurückliegenden Faschismus - war auch kein Nationalist, sondern Internationalist.

Das heißt, Sie würden sich doch als nationaler Sozialist bezeichnen?

Nein, aber wenn die NSDAP sich Sozialisten nennt, die rote Fahne verwendet und »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit« singt, was alles geschehen ist, dann möchte ich ihnen nichts davon kampflos überlassen. Auch nicht das Wort national. Oder soll ich mich jetzt nicht mehr Sozialist nennen, weil Hitler sich Nationalsozialist nannte? Deshalb gab es in der DDR die Nationale Front und deshalb gab es von Willy Brandt, der vor dem Mahnmal in Warschau niedergekniet ist, 1973 den Satz: »Wir können wieder stolz sein auf unser Land.« Wegen des Kniefalls!

Um bei den Begriffen zu bleiben: Sie wollen nicht nur einen positiven Bezug auf die Nation, sondern sehen auch in der Heimat ein identitätsstiftendes Moment. Seit wann soll das für Linke ein Bezugspunkt sein?

Das ist der Bezug, den Ernst Bloch aufgemacht hat, als er immer wieder dafür warb, dass die Linke den Begriff der Heimat nicht den Rechten überlässt.

Wen wollen Sie mit Ihrem neuen Verhältnis zu Nation und Heimat ansprechen? Kameraden wie Horst Mahler oder Bernd Rabehl?

Das sind meine Todfeinde, denen wir die Begriffe Heimat und national nicht überlassen dürfen - und noch viel weniger die in ihnen widergespiegelte Realität.

Die Begriffe selbst sind doch reaktionär.

Das ist Ihre Meinung. Ich sehe mich mit meiner Position in der Tradition der Arbeiterbewegung, die sich auf das Nationale im Sinne eines Internationalismus und des Antinationalistischen bezieht. Bei Brecht findet dieser internationalistische Heimatbezug den Satz: »Dies Land, lieben wir es, so wie andere Völker ihres.«

In der NPD existiert schon seit längerem die Arbeitsgemeinschaft »Sozialisten in der NPD«. Gibt es da Kontakte?

Nein, für mich wären solche - freundlichen - Kontakte auch ein Ausschlussgrund aus der PDS ...

... warum ist Christine Ostrowski dann noch in der Partei?

Die hat doch keine Freundschaft zu Nazis gesucht. Die Frage ist: Kämpft man ideologisch gegen Nazis und zwar gerade dort, wo diese Rattenfänger Jugendliche einfangen wollen? Es steht fest, dass es sozialistische Demagogie schon immer bei den Rechten gibt, so wie es auch die Düsseldorfer Linie der Nazis gegeben hat, die so genannten Nationalbolschewisten, und auch in der Jungen Freiheit schreiben so genannte linke Rechte, was ich für einen Widerspruch in sich halte.

Aber Ihr Vorschlag läuft doch auf eine Querfrontstrategie hinaus.

Das Gegenteil ist der Fall. Schon von der Konzeption her ist es antinationalistisch, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie ein rationaler Umgang mit Heimatbezügen gefunden werden kann. Prinzipiell geht es um neue Wirtschaftskreisläufe, die sozial abgehängte Regionen stärken, Arbeit und Kulturinvestitionen dorthin bringen - anstelle auch von Metropolenprotz und Cityprunk. Und national, im Sinne Brechts, heißt auch: radikal friedlich sein. Nationalistisch ist kriegerisch. That's the difference!

In einem Beitrag für den Freitag zitieren Sie zustimmend eine Passage aus dem Buch »Imperialismus heute«, in der das »spekulative Kapital« als »Parasit am Körper der Arbeit« beschrieben wird, das am »Kapital, das durch direkte Ausbeutung der Arbeitskraft« geschaffen wird, »schmarotzt«. Das ist eine typische Argumentation der antisemitischen NS-Ideologie.

Was soll daran denn antisemitisch sein? Das ist doch Unsinn. Und ich verwehre mich auch dagegen, dass die kubanischen Autoren in ihrem von mir rezensierten Buch über Transnationalisierung und Entnationalisierung irgend etwas mit dem Strasser-Flügel in der SA zu tun hätten. Wenn sozialdemagogische Nazis ausschließlich gegen das spekulative Kapital herumtönen, ohne die NS-Sponsoren wie Krupp und Daimler zu erwähnen, ist das doch kein Grund für internationalistische Linke, auf das Erwähnen der Aktien- und Spekulationsblase zu verzichten. Andernfalls würden wir ja denen von rechts überlassen, welche Begriffe, welche Kampfforderungen, welche Lieder

denn auch hier haben sich die Nationalisten kräftig bei der Linken bedient - wir künftig noch verwenden dürfen. Nur weil die NPD gegen den Krieg in Jugoslawien plakatiert hat, sind wir doch auch nicht auf einmal für den Krieg.

Die PDS wird ihren Pro-Deutschland-Kurs also noch verschärfen?

Professor Berger von der Humboldt-Uni hat vor kurzem im Neuen Deutschland ausführlich dargelegt, dass der Antifaschismus wirkungsvoller wird, wenn er Heimatpflege zu seiner Sache macht. Das heißt, materielle Konzepte gegen die monopolkapitalistische Ausplünderung der Regionen und gegen das Unterpflügen kultureller Traditionen.