Quartiersmanagement

Neukölln? Rixdorf!

Stadtteilarbeit an der Basis ist out, Bezirks-PR ist in. Das nennt sich Quartiersmanagement und will nicht die Armut, sondern nur deren Sichtbarkeit abschaffen.

Abseits der Mitte beginnt die Berliner Depression. Neukölln, Hermannstraße: links und rechts Billigläden, McCash, Tchibo, Lidl, Aldi. Selbst bei den Toten wird gespart. Der Trend auf den Friedhöfen entlang der Straße geht zum billigen Urnengrab, Totenkränze werden kaum noch gekauft. »Die Leute denken: Mein Gott, der sieht's ja eh nicht mehr«, sagt der Besitzer eines nahe gelegenen Blumenladens.

Die Arbeitslosigkeit in dieser Gegend liegt weit über 30 Prozent. Die Mittelschicht, erfasst von Statuspanik, flieht vor der schlechten Situation in den Schulen, vorm sichtbaren Verfall. Aus den Senatsplänen für die Hauptstadt nach dem Mauerfall ist nichts geworden, nichts aus dem Ost-West-Handelszentrum, nichts aus Olympia 2000. Der Regierungsumzug hat die Zunahme der Arbeitslosigkeit gestoppt, nicht aber diese Entwicklung umgekehrt.

Nur scheinbar hat das Land Berlin auf das Scheitern der Wachstumsphantasien reagiert: Quartiersmanagement heißt das Wundermittel. In 15 Gebieten hat es die SPD-geführte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 1999 eingerichtet. Zwei davon befinden sich links und rechts der Hermannstraße: das Altbauquartier Schillerpromenade im Westen, die im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichtete Rollberg-Siedlung im Osten. Andere Gebiete liegen in der Platte (Marzahn), in innerstädtischen Altbauquartieren (Schöneberg-Nord, Kreuzberger Wrangelkiez), Ostberliner Altbaugebieten (Boxhagener Platz in Friedrichshain, Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg) und in weiteren Vierteln des sozialen Wohnungsbaus.

»Aktivierung, Bewohnerbeteiligung, Empowerment«, so formuliert der Berliner Stadtsoziologe Hartmut Häußermann in einem Gutachten die Aufgaben des von ihm angeregten Quartiersmanagements. Bewohner, Vermieter und Geschäftsinhaber sollen an einen Tisch gebracht werden. Denn das Quartiersmanagement soll sich durch die Errichtung tragfähiger Strukturen überflüssig machen, der Kiez sich wieder selbst regulieren.

Bei linken Stadtteilgruppen stieß das Programm von Anfang an auf Kritik; es gebe zu wenig Basisorientierung. Insbesondere am Boxhagener Platz sahen sich die Quartiersmanager heftigen Angriffen ausgesetzt. »Wir stammen von hier und kennen die Probleme der Bewohner«, so eine Aktivistin. Das sei bei den Quartiersmanagern nicht der Fall. Friedrichshain ist eine Ausnahme - Basisstrukturen, die das Quartiersmanagement ersetzen könnten, gibt es in anderen Gebieten kaum.

Auch nicht in Kreuzberg. Die linksradikalen Gruppen hatten die Metropolenträume des Berliner Senats nach dem Mauerfall ernst genommen und dagegen mobilisiert. Auf die Entwicklung Kreuzbergs zum Armutszentrum der Hauptstadt hatten sie keine Antwort. Nun ist der Bezirk so, wie Funny van Dannen es besingt: »Wir stehen alle zusammen - bei Aldi vorm Regal.«

Der Alt-68er Häusermann hatte die Flankierung des Quartiersmanagements durch eine Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik im Sinn. Doch die ist nicht auszumachen - das Quartiersmanagement ist ihr bloßer Ersatz. Nicht die Armut, sondern deren Sichtbarkeit soll zurückgedrängt werden. Der Wechsel von der Basisinitiative zum Quartiersmanagement markiert einen Funktionswandel in der Stadtteilarbeit: Es ist der Übergang zur postmodernen Politik, in der Erfolge nicht mehr durch Protest, sondern durch Imagepolitik als »self-fulfilling prophecy« errungen werden. Wenn nur die negative Berichterstattung durchbrochen und ein positives Bild in der Öffentlichkeit erreicht wird, so hofft man, kehren die Mittelschichten und das Gewerbe zurück oder wandern zumindest nicht weiter ab.

Das Quartiersmanagement agiert in weiten Teilen als PR-Agentur. Nicht die Gespräche mit Anwohnern stehen im Vordergrund, sondern Fassadensanierungen und der Kampf gegen den Müll. Die Quartiersmanager, viele davon mit linksbewegter Vergangenheit, schrecken dabei weder vor Bündnispartnern noch Argumenten zurück, die für Basisinitiativen undenkbar gewesen wären. So verhinderte das Quartiersmanagement an der Neuköllner Schillerpromenade im Frühjahr die Eröffnung eines Kontaktladens für Fixer, um Drogenabhängige aus dem Kiez zu halten.

Auch die Grenze zum Rassismus ist fließend. So schreibt ein Anwohner in der Zeitung des Schillerpromenaden-Kiezmanagements: »Klar, dass Leute, die es sich irgendwie leisten können, aus so einem vergammelten Gebiet wegziehen. Zuziehen werden dann noch mehr Ärmere. Oder Menschen aus den armseligsten Ländern dieser Erde, für die der Schillerpromenadenkiez bereits eine Art Paradies darstellen muss und denen der deutsche Ordnungs- und Sauberkeitsfimmel zutiefst fremd ist und die auch kein nachvollziehbares Interesse haben, sich hier zu integrieren.«

In der Rollberg-Siedlung unterstützt das Quartiersmanagement die Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, die lieber Wohnungen leer stehen lässt als sie an Ausländer zu vermieten (Jungle World, 27/00). Begründung: Die Ausländerquote darf nicht erhöht werden, damit keine deutschen Mieter wegziehen, »wenn sie immer wieder ausländische Namen auf Klingelschildern sehen«. Doch letztlich sind die Möglichkeiten der Imagepolitik beschränkt. Ein Beispiel: Neben den Müllräumaktionen sind derzeit vor allem »Kunst-statt-Leerstand«-Aktionen en vogue. Künstler stellen in leer stehenden Gewerberäumen aus, um Mieter zu werben. Eine Methode, deren Aufmerksamkeitswert schnell abnimmt, die mangels Alternativen aber dennoch gerne benutzt wird. An der Hermannstraße hat es nicht viel gebracht - in einen der beworbenen Läden zog ein weiterer Discounter ein, das angrenzende Fachgeschäft schloss Ende Dezember nach 50 Jahren und zog nach Mitte, in die Friedrichstraße. Andere Ladenräume stehen leer.

Kein Wunder, dass die Quartiersmanager mit zehn Jahren rechnen, bis das Programm wirksam werde. Ursprünglich sollte es nur drei Jahre dauern. Hinter diesen Prognosen steht auch Eigeninteresse. Die Armutsentwicklung hat Berlin, wo in den neunziger Jahren auch die Stellen für Akademiker rar wurden, immerhin zwei Wachstumsbranchen für Sozialwisssenschaftler beschert: Schuldnerberatung und Quartiersmanagement. Manche, die nun die Problemkieze bearbeiten, sind nur knapp dem Sozialamt entgangen. »Ich habe mich nach dem Politologiediplom zwei Jahre bei Zeitarbeitsfirmen durchgeschlagen«, berichtet eine ehemalige Kommilitonin. Jetzt habe sie ihren ersten Vertrag als Quartiersmanagerin, wenn auch vorerst nur halbtags. Im so genannten »Chancen«-Teil der Zeit, dem Stellenmarkt für Akademiker, wurde das Quartiersmanagement bereits als »neues Tätigkeitsfeld für Hochschulabsolventen« abgefeiert.

Neuköllns Bürgermeister Bodo Manegold (CDU) scheint dagegen von den Erfolgen des Quartiersmanagements nicht überzeugt. Im Rathaus ist man auf eine neue Idee gekommen, wie den (Image-) Problemen des Bezirks begegnet werden kann. Neukölln, so Manegolds Vorschlag, solle einfach umbenannt werden. So ähnlich wie einst Raider. Neukölln heißt jetzt Rixdorf. Keine besonders neue Idee: 1912 wurde das damalige Rixdorf in Neukölln umgetauft, um das miese Image als Arbeiterbezirk loszuwerden.