Präsidentschaftswahlen in Rumänien

Nationale Amnesie

Den hiesigen Medien dient Rumänien vorwiegend als Fundgrube für Gruselgeschichten aus der postkommunistischen Welt. Seit den allgemeinen Wahlen Ende November, aus denen nach der Stichwahl am vergangenen Sonntag wie erwartet Ion Iliescu von der Partei der sozialen Demokratie (PDSR) als neuer Staatschef hervorgegangen ist, gibt es eine neue Serie von Horrormeldungen, die um dasselbe Thema kreisen: den Erfolg des erklärten Antisemiten und Ultranationalisten Corneliu Vadim Tudor, der als Zweitplatzierter des ersten Wahlgangs gegen Iliescu zur Stichwahl antrat und dessen Großrumänienpartei (PRM) nach der PDSR die zweitstärkste parlamentarische Kraft sein wird.

Tudor macht vor allem mit autoritär-rassistischen Sprüchen auf sich aufmerksam. Er will die Todesstrafe wieder einführen, Lager für die ungarische Minderheit in Rumänien, für Homosexuelle und Roma sowie für »Arbeitslose und Vagabunden« einrichten und möglicherweise das Parlament abschaffen. Schuld an seinem Aufstieg sind - so der nahezu einhellige Tenor in der Presse - die Wirtschaftskrise und die drastisch anwachsende Armut.

Doch die These von der Armut, die den Faschismus befördere, stimmt nicht. Denn zu den Hochburgen der PRM gehören vor allem das vergleichsweise wohlhabende Transsilvanien und der Banat. In Transsilvanien leben nicht nur ebenso viele Ungarn wie Rumänen, es existiert sogar eine Art Mittelschicht aus Romagemeinschaften. Vor allem gegen die relativ starke Lobby dieser Gruppen wenden sich Tudors aktuelle Hetztiraden. So ist es auch nicht widersprüchlich, wenn er sich zugleich als Wohltäter präsentiert und armen Romafamilien die Einrichtung von Suppenküchen verspricht. In Timisoara, einer als wirtschaftlich gut gestellt und weltoffen geltenden Stadt im Banat, an der Grenze zu Jugoslawien und Ungarn, lag Tudor in der ersten Wahlrunde sogar vor Iliescu. Dort ist seine Wählerschaft überwiegend jung, sie verfügt über ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau und gehört der urbanen Mittelschicht an, die sich wegen der Wirtschaftskrise ihrer Aufstiegschancen beraubt sieht.

Die Popularität der Vision eines ethnisch reinen Großrumänien liegt stattdessen vor allem in der konsequenten Verdrängung des rumänischen Faschismus begründet. Von 1940 bis 1944 regierte eine mit Hitler verbündete militärfaschistische Diktatur unter Marshall Ion Antonescu. Obwohl Rumänien erst im August 1944 auf die Seite der Alliierten wechselte, »stand das Land immer schon an der Seite der siegreichen Sowjetarmee«, wie bis heute in rumänischen Schulbüchern zu lesen ist.

Dass die PRM einen regelrechten Antonescu-Kult betreibt, verwundert kaum. Aber auch so genannte demokratische Politiker setzen sich für eine »Normalisierung« des Verhältnisses zu dem faschistischen Diktator ein. Bereits 1991 - zwei Jahre nach dem Sturz Ceausescus - ehrten die Abgeordneten des Parlaments Antonescu mit einer Gedenkminute. 1999, unter der insbesondere im Westen als fortschrittlich gefeierten Regierung des »Demokratischen Konvent« (CDR), wurde die Gedenkminute zur Feierstunde ausgedehnt.

Iliescu, der bis 1996 schon einmal Präsident war und damals mit der Großrumänienpartei als Juniorpartner regierte, hat mehrfach versichert, er werde nicht erneut mit der PRM koalieren. Das hat er auch nicht nötig. Denn sowohl Tudor als auch Iliescu haben als ehemalige Zöglinge Ceausescus die gleichen guten Kontakte zum Militär sowie zum formell aufgelösten, aber nach wie vor omnipräsenten Apparat des Geheimdienstes Securitate.