Ägypten nach der Wahl

Stimmen aus dem Grab

Bei den Parlamentswahlen in Ägypten hat sich die NDP Mubaraks erneut die Mehrheit gesichert. Die Muslimbruderschaften folgen auf Rang zwei.

Wenn Wahlen wirklich etwas ändern würden, dann wären sie verboten. Doch im Zeitalter der globalisierten Demokratie bedient man sich regelmäßig anderer Mittel, um zum erwünschten Ergebnis des Machterhalts zu gelangen. Dies gilt insbesondere für autoritäre Staaten wie Ägypten, wo sich der seit fast 20 Jahren regierende Präsident Husni Mubarak bislang auf eine Mehrheit von 94 Prozent für seine allein regierende National-Demokratischen Partei (NDP) stützen konnte.

Auch bei den Parlamentswahlen in der vorigen Woche hat sich daran nur wenig geändert. Zwar musste die NDP nach Auszählung der letzten Stimmen einige Verluste hinnehmen. Doch mit 388 von insgesamt 444 Abgeordneten ist ihr erneut die absolute Mehrheit im Parlament sicher. Die Oppositionsparteien, die ohnehin nur über einen schwachen Rückhalt in der Bevölkerung verfügen, schnitten erwartungsgemäß schwach ab. Die liberalen Wafdisten stellen künftig sieben, die linken Nationalisten der Tagammu sechs, und die Nasseristen zwei Abgeordnete im neuen Parlament.

Dass die Opposition 21 Parlamentarier mehr als bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren ins ägyptische Abgeordnetenhaus entsenden wird, ist vor allem den Erfolgen der Muslimbruderschaft zu verdanken, die sich als heimliche Siegerin der Wahlen ausgibt. Zwar sind religiöse Parteien nach dem ägyptischen Parteiengesetz nicht zugelassen, dennoch gelang es der verbotenen Islamistenorganisation, über unabhängige Kandidatenlisten genügend Wählerstimmen zu bekommen: Mit 17 Mitgliedern stellen sie das Gros der Opposition im neuen Parlament.

Ein Ergebnis, das viele Wahlbeobachter überraschte. Nicht zuletzt deshalb, weil der Staat vor den Wahlen mit harter Hand gegen die einflussreichste ägyptische Oppositionsbewegung vorging. Nach Informationen der arabischen Tageszeitung Al-Hayat wurden bei Polizeirazzien in Kairo und Giza 51 Muslimbrüder inhaftiert. Die Cairo Times berichtete von weiteren 80 Festnahmen ranghoher Bruderschaftsaktivisten im Verlauf der drei Wahlrunden. Anhänger islamistischer Kandidaten wurden an vielen Orten gewaltsam am Betreten der Wahllokale gehindert. Auffällige Personen mit Schleier oder langen Bärten kamen entweder gar nicht erst an den Wahllokal-Absperrungen der Polizei vorbei oder wurden in zahlreichen Fällen von NDP-Schlägertrupps attackiert.

Zusammengeschlagen wurden auch Wahlbeobachter und ausländische Journalisten, die Gespräche mit Wählern führen wollten, wie der Sender al-Jazira und Reporter ohne Grenzen berichteten. Die Polizei schritt bei den Wahlbehinderungen und Übergriffen des NDP-Mobs kaum ein. In Shubra al-Kheima, einem Stadtteil Kairos, gingen die Sicherheitskräfte mit Tränengas und scharfer Munition gegen protestierende Anhänger der Muslimbruderschaft vor. Auch die Anhänger rivalisierender Kandidaten lieferten sich Straßenschlachten - so in der unterägyptischen Stadt Kafr al-Zaiyet, wo allein 20 Menschen verletzt wurden. Bilanz der Unruhen: insgesamt 12 Tote und über 200 Verletzte im Verlauf der drei Wahletappen.

Begleitet wurden die Wahlen nicht nur von Krawallen, sondern auch von zahlreichen Manipulationen: Nach Angaben der Oppositionspresse flossen reichlich Schmiergelder zum Stimmenkauf. Auch tauchten wie bereits bei den Wahlen von 1995 wieder alte Wählerlisten auf, mit den Namen Tausender längst Verstorbener. Wieviele Tote dieses Mal zum Urnengang für die Regierungspartei mobilisiert wurden, wird wohl ein Staatsgeheimnis bleiben. Und damit nicht genug. In einigen Bezirken Kairos wurden ganze Busladungen von NDP-Anhängern zu den Wahllokalen gekarrt. Richter, die bei den diesjährigen Wahlen das Abstimmungsverfahren kontrollieren sollten, mussten daraufhin die Wahllokale verlassen und die gesponserten NDP-Wähler in die Kabinen lotsen, hieß es in einem Wahlbericht der Ägyptischen Menschenrechtsorganisation (EOHR).

Trickreich war die Regierungspartei auch im Umgang mit den Kandidatenlisten: Firmierten einige NDP-Größen auf den Wahlbögen zunächst noch als Unabhängige, gaben sie sich dann kurz vor Auszählung der Stimmen als Mitglieder der NDP zu erkennen. Da wirkte es wie ein schwacher Trost, dass eine ganze Reihe von NDP-Notabeln, die für ihre Verschwendungssucht und Korruptionsaffären bekannt waren, diesmal nicht ins Parlament gewählt wurden.

Der stellvertretende oberste Führer der Muslimbruderschaft, Ma'moun al-Hudaibi, äußerte sich trotz der Verfolgung seiner Kandidaten und Anhänger sowie der offensichtlichen Fälschungen zu seinen Ungunsten hoch zufrieden über den Verlauf der Wahlen.

Damit dürfte er Präsident Mubarak aus der Seele gesprochen haben, der allen politischen Parteien faire und demokratische Wahlen versprochen hatte. Um Stimmen aus dem islamischen Mainstream abzuschöpfen, hatten sich einige von Mubaraks Kandidaten im Wahlkampf bewusst einer religiös-nationalistischen Rhetorik bedient: zum Teil islamischer als die Islamisten, gegen eine Normalisierung der Beziehungen zum Staat Israel sowie gegen die koptische Bevölkerungsminderheit.

Vor dem Hintergrund der Gewalteskalation im Nahost-Konflikt und der anti-israelischen Proteste in mehreren ägyptischen Städten schlug sogar die ansonsten moderate Regierung einen härteren Ton gegenüber Israel an. In seiner Eröffnungsrede auf dem Sondergipfel der Arabischen Liga in Kairo bezeichnete Präsident Mubarak Israel als »kriegslüstern« und wies der israelischen Führung die Hauptverantwortung an der Eskalation der Gewalt in den Palästinensergebieten zu. Auf der EU-Mittelmeerkonferenz in Marseille vergangene Woche versuchten mehrere arabische Länder, von der Europäischen Union eine Parteinahme für die Palästinenser zu erreichen, wobei Ägypten der Wortführer war.

Trotz einseitiger Verurteilungen der israelischen Politik ist die ägyptische Regierung dennoch bemüht, den Friedensprozess am Leben zu halten. Die arabischen Länder hätten »eine historische Verantwortung, erneut zu versuchen, den Friedensprozess zu retten«, erklärte Mubarak. Bereits im Vorfeld des letzten Gipfeltreffens der Organisation der islamischen Staaten (OIC) in Katar hatten Ägypten und Jordanien den von Hardlinern wie Syrien und Iran geforderten totalen Handelsboykott sowie den Abbruch diplomatischer Beziehungen zu Israel strikt abgelehnt. Den beiden arabischen Staaten, die Friedensverträge mit Israel abgeschlossen haben, gelang es, eine ausgewogene Resolution zu verabschieden. Damit konnte den radikalen Sanktionsbefürwortern in der arabischen Welt vorerst ein Dämpfer verpasst werden.

Trotzdem befindet sich die ägyptische Regierung mit ihrem Festhalten am bisherigen außenpolitischen Kurs auch nach den Wahlen auf einer schwierigen Gratwanderung: Einerseits will sie an der pragmatischen Politik gegenüber Israel festhalten, andererseits muss sie den wachsenden anti-israelischen Ressentiments sowie den wachsenden Islamisierungstendenzen im eigenen Lager Rechnung tragen.