Wahlen und Wohlstand in Rumänien

Eishockey in der Wüste

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen setzt die EU Rumänien auf den letzten Rang der osteuropäischen Beitrittskandidaten. Die prekäre wirtschaftliche Lage nützt vor allem den antiwestlichen Kräften.

Schlimmer hätte es nicht kommen können: Was Günter Verheugen der Regierung Rumäniens Anfang November bescheinigte, ist das schlechteste Zeugnis, das die Protagonisten der kapitalistischen Modernisierungslogik ausstellen können. »In Rumänien gibt es keine Marktwirtschaft«, stellte der EU-Kommissar für die Ost-Erweiterung in seinem jüngsten »Fortschrittsbericht« fest und setzte das Land damit auf den letzten Rang der zehn osteuropäischen Beitrittskandidaten. Wenig tröstlich dürfte für Rumäniens Premierminister Mugur Isarescu sein, dass sich selbst die Anwärterstaaten der so genannten ersten Runde - Polen, Tschechien, Ungarn, Estland und Slowenien - kaum Hoffnungen machen können, bei der für 2003 geplanten Erweiterung der EU dabei zu sein. Und das, obwohl ihre Wirtschaftsnoten weitaus besser aussehen.

Kurz vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 26. November könnte der EU-Bericht nicht nur das Image des ehemaligen Nationalbankchefs Isarescu, des Präsidentschaftskandidaten der regierenden christdemokratisch-neoliberalen Allianz Demokratischer Konvent (CDR), schwer beschädigen, sondern auch das Ende des stark angeschlagenen Bündnisses bedeuten. Bereits im September hatte Präsident Emil Constantinescu vor der Korruption in den eigenen Reihen kapituliert und von einer erneuten Kandidatur abgesehen.

Dabei hatte der CDR die Wahlen von 1996 vor allem deshalb gewonnen, weil Constantinescu versprach, »endlich eine reelle Marktwirtschaft« einzuführen. Die schnellstmögliche Integration in die EU und die Nato nannte er sein wichtigstes außenpolitisches Ziel. Vor allem die kleine urbane Mittelschicht Rumäniens feierte Constantinescus Wahlsieg über den amtierenden so genannten Neokommunisten Ion Iliescu als »demokratische Revolution«.

Seither kämpft die ehemals breite antikommunistische Regierungskoalition mit den vom Internationalen Währungsfonds (IWF) auferlegten rigiden Sparmaßnahmen, den harten Konvergenzkriterien der EU und der chronischen Wirtschaftskrise. Schon 1997 und 1998 wurden einige bedeutende staatliche Unternehmen verkauft. Die Rom Telecom ging an die griechische OTE, die Bance Romana pentru Dezvoltare an die französische Société Générale und der Automobilhersteller Dacia an Renault.

Die geforderte Privatisierung oder Liquidation der veralteten, defizitär arbeitenden staatlichen Industriekombinate ist dagegen nie richtig in Gang gekommen. Einerseits, weil die Gewerkschaften nach 1989 sehr einflussreich geworden sind. Massenentlassungen oder Lohnkürzungen führen regelmäßig zu sozialen Protesten. Die Schließung zahlreicher Kohlegruben im westrumänischen Schil-Tal beispielsweise löste im Winter 1998/99 einen Aufstand nationalistischer Bergarbeiter aus.

Zum anderen halten sich ausländische Investoren stark zurück, die erhofften Exporterfolge bleiben aus. Die gesamte Region gilt wegen der Kriege in Jugoslawiens Nachfolgestaaten als politisch instabil, das Steuersystem als intransparent, die Bürokratie als schwerfällig und korrupt.

So ist das Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent gesunken, die Industrieproduktion schrumpfte auf die Hälfte. Die Zinsen aus 2,2 Milliarden Dollar Schulden bei IWF und Weltbank mussten 1999 teilweise aus den Devisenreserven der Nationalbank beglichen werden.

Der durchschnittliche Monatslohn für die wenigen, die sich in einem offiziellen Beschäftigungsverhältnis befinden, beträgt derzeit 120 Mark. Ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Ganze urbane Viertel überleben nur dank der Subsistenzproduktion von Verwandten auf dem Land.

Trotzdem entschied der Europäische Rat - nach wiederholten Ablehnungen - im Dezember 1999 in Helsinki, Beitrittsverhandlungen mit Rumänien aufzunehmen und platzierte das Land zusammen mit Bulgarien, Litauen, Lettland und der Slowakei in die zweite Runde der osteuropäischen Anwärterstaaten.

Damals suchte die EU nach einer Möglichkeit, Bulgarien und Rumänien ruhig zu stellen, da ihre Embargo-Politik gegen Jugoslawien große Löcher in den Haushalten der Nachbarstaaten hinterlassen hatte. Das rumänische Außenministerium beziffert die Einbußen auf 915 Millionen Dollar. Kurz vor der Entscheidung in Helsinki hatte der parteilose Isarescu mit einem ebenso ehrgeizigen wie unrealistischen Sanierungsplan sein Amt als dritter Premierminister der CDR-Regierung angetreten; vor ihm waren schon Victor Ciorbea und Radu Vasile an ähnlich rigiden Restrukturierungsprojekten gescheitert.

Von der desolaten sozioökonomischen Situation und dem wachsenden Unmut großer Teile der Bevölkerung profitieren vor allem die Partei der Sozialen Demokratie (PDSR) und ihr Präsidentschaftskandidat, Ex-Staatschef Ion Iliescu. Beide liegen in den Wahlumfragen der letzten Zeit klar vorn. Isarescu werden etwa 15, dem CDR magere sieben Prozent vorausgesagt.

Die Funktionäre der PDSR rekrutierten sich mehrheitlich aus der zweiten Garde der ehemaligen KP. Iliescu war unter Ceausescu ein mundtot gemachter Vertreter der rumänischen Perestroika-Variante. Er trug zwar während seiner Regierungszeit (1990 bis 1996) zur Durchsetzung eines marktwirtschaftlich orientierten Kurses bei, versuchte aber mit langsamen Reformen, den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten. Notfalls wurden ArbeiterInnen in die technische Arbeitslosigkeit entlassen: Nullstundenwoche bei reduzierter Lohnfortzahlung. Aus dieser Zeit rühren die Hyperinflation und die hohe Staatsverschuldung.

Den Überbau von Ceausescus Nationalkommunismus entkleidete die Iliescu-Regierung seiner kommunistischen Phrasen und seiner aggressiven Selbstbezüglichkeit, der Nationalismus nahm eine neue Form an. Zum Ziel ständiger Hetzkampagnen wurden neben den Roma und den Juden nun vor allem die in Rumänien lebenden Ungarn. Deren radikale politische Flügel drängen ihrerseits seit Jahrzehnten auf Autonomierechte. Vor allem in Transsilvanien, dem relativ wohlhabenden Nordwesten des Landes, kam es seit 1990 immer wieder zu pogromartigen Übergriffen auf Ungarn und Roma.

Zur eigentlichen Gewinnerin der Wahl am 26. November könnte deshalb auch die ehemalige Koalitionspartnerin der PDSR werden, die Groß-Rumänien-Partei (PRM). Ihr Vorsitzender und Präsidentschaftskandidat Corneliu Vadim Tudor weiß die Wirtschaftskrise auszunutzen, um die virulenten Ressentiments großer Teile der rumänischen Bevölkerung gegen Roma, Ungarn und Juden zu mobilisieren. Die PRM hat im Laufe weniger Monate rasant an Zustimmung gewonnen und den CDR inzwischen in der Wählergunst überholt.

Die 1991 gegründete Groß-Rumänien-Partei ist der politische Arm antiwestlicher Teile des berüchtigten Ceausescu-Geheimdienstes Securitate. Ihre Ideologie besteht in einer Mischung aus Nationalismus, Antisemitismus und neofaschistischen Versatzstücken. Sie fordert ein autarkes, christlich-orthodoxes und ethnisch homogenes Rumänien. Tudor war vor 1989 ein bekannter Hofdichter und Mitarbeiter der Securitate-Zeitschrift Saptamina (Die Woche), die seit 1990 unter dem Titel Romania Mare (Groß-Rumänien) erscheint.

Wahrscheinlich wird Iliescu nach dem 26. November erneut Rumäniens Präsident werden. Sollte seine PDSR allerdings nicht die absolute Mehrheit erhalten, muss sie sich diesmal andere Koalitionspartner suchen. Denn unterm Druck der EU sah sich Iliescu in den letzten Monaten gezwungen, sich von der PRM zu distanzieren. Und von der Notwendigkeit des EU-Beitritts ist auch er überzeugt. Deshalb werden die Unterschiede zwischen dem offenen Neoliberalismus des CDR und der postkommunistischen Variante kapitalistischer Politik lediglich in Nuancen bestehen - und die strikt monetaristischen Reformbemühungen weiter einem Eishockeyspiel in der Wüste gleichen.