Regierung sucht Bündnis mit Islamisten

FLN minus Sozialismus

Der algerische Präsident versucht eine Neuauflage der alten FLN-Allianz aus Nationalisten und Islamisten.

Nach einem Jahr der Ungewissheit und des Abwartens stand es am Mittwoch vergangener Woche fest: Es wird keine Legalisierung des Versuchs geben, den offen auftretenden, radikalen Islamismus als politische Partei in Algerien wiederzubeleben.

An diesem Tag antwortete der algerische Innenminister, Yazid Zerhouni, auf eine parlamentarische Anfrage von 40 Abgeordneten der algerischen Nationalversammlung APN. Sie wollten wissen, was aus dem seit mehreren Monaten anhängigen Antrag der Partei Wafa (Treue) auf administrative Zulassung geworden sei. Es handele sich, so der Minister, bei dem Zulassungsantrag der Wafa-Partei um einen Versuch, die islamisch-fundamentalistische Massenpartei Fis neu zu gründen.

Der Fis war 1992 - am Vorabend des blutigen schleichenden Bürgerkriegs - verboten worden. Nachforschungen der Innenbehörden zufolge sollen 60 Prozent der Mitglieder in den nationalen Führungsgremien der Wafa und ein noch größerer Anteil in der Leitung der lokalen und regionalen Sektionen als ehemalige Fis-Aktivisten bekannt sein. Es sei ausgeschlossen, stellte der Minister klar, dass eine Partei, die in der Folge der Krise von Anfang 1992 für ein solches Blutvergießen verantwortlich sei, heute erneut auf der politischen Bühne tätig werden könne.

Die Gründung von Wafa geht auf die Präsidentschaftskandidatur von Ahmed Taleb Ibrahimi zur letzten Wahl des Staatschefs am 15. April 1999 zurück. Der Mann, der nach der Unabhängigkeit von 1962 über 25 Jahre lang an verschiedenen Regierungen der Einheitspartei FLN (Nationale Befreiungsfront) beteiligt war, hatte damals vor allem für die »Wiederherstellung der Moral« und der arabo-islamischen »Authentizität« des Landes geworben (Jungle World, 16/99).

Mehr Glück mit seinen politischen Plänen hatte hingegen ein anderer hochrangiger Kader der früheren nationalistisch-antikolonialen Einheitspartei: Abdelaziz Belkadem, der als Sympathisant zu den Teilnehmern des Wafa-Gründungskongresses vom Dezember 1999 in Algier zählte, amtiert seit Ende August als Außenminister. In ihrer Ausgabe vom 24. Oktober schrieb die laizistische algerische Tageszeitung Le Matin, dass der damalige Parlamentspräsident Belkadem im Januar 1992 - einen Tag vor dem Abbruch des Wahlprozesses durch das Militär - eine Unterredung mit dem iranischen Botschafter in Algier gehabt habe.

Die Zeitung, eine der größten des Landes, publizierte auf drei Seiten das Protokoll der Unterredung, das bis dahin in den Archiven der Nationalversammlung verschlossen war. Demnach entschuldigte sich die damalige Nummer zwei im Staate beim diplomatischen Vertreter der Islamischen Republik Iran für Slogans, die von Gegnern der Islamisten gerufen worden waren, und für kritische Berichte über den Iran in algerischen Medien. Er stellte eine Allianz zwischen »den beiden Fronten« (dem antikolonial-nationalistischen FLN und dem islamistischen Fis) und einen gezielten Ausbau der Beziehungen zum Iran und zum Sudan in Aussicht.

Einen Tag später enthüllte Le Matin, dass Präsident Bouteflika Ende August Belkadem zum neuen Regierungschef ernennen wollte, nachdem er den damaligen Premierminister Benbitour aus dem Amt getrieben hatte. Die Ernennungsurkunde sei bereits von Bouteflika unterschrieben worden, als der Generalstab der algerischen Armee sein Veto eingelegt habe. Somit reichte es für den Islamistenfreund Belkadem »nur« zum Posten des Außenministers.

Die Ablehnung der Wiederzulassung einer Fis-Nachfolgepartei, aber auch der gleichzeitige Aufbau einer Figur wie Belkadem deuten an, in welche Richtung sich die Politik in Algerien unter Führung Bouteflikas entwickeln soll. Er selbst hatte in den siebziger Jahren ebenfalls das Außenministerium zu Zeiten des FLN bekleidet und stammt damit auch aus dem Kaderapparat der früheren Einheitspartei.

Der FLN bestand aus einem heterogenen Bündnis, das von der Gegnerschaft zunächst zum französischen Kolonialismus und später, nach der Unabhängigkeit, zum Imperialismus zusammengehalten wurde und zweitens von der Tatsache, dass es im Rahmen einer Art Entwicklungsdiktatur etwas zu verteilen gab. Gestützt auf die Erdöleinnahmen wurde der Aufbau einer von Frankreich unabhängigen Ökonomie sowie eines Verteilungsmechanismus zugunsten der unteren Schichten versucht, wovon heute noch letzte Überreste - wie ein vorbildliches und kostengünstiges Gesundheitswesen - vorhanden sind.

Durch den autoritären Staatssozialismus wurden unterschiedliche Strömungen zusammengeführt. Das reichte von Marxisten, die in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit Experimente mit Selbstverwaltung und der kollektiven Bewirtschaftung des Bodens betrieben - 1965 durch einen Militärputsch gestoppt - bis hin zu Quasi-Islamisten. Diese hielten die Entkolonialisierung für gleichbedeutend mit der Verteidigung der Religion und der angestammten »Identität«.

Heute fehlt dem alten FLN-Bündnis die Grundlage, da es nichts mehr zu verteilen gibt. Stattdessen muss die soziale Regression verwaltet werden. Die reaktionärsten Aspekte des alten Einheits-Nationalismus haben sich daher in den neunziger Jahren verselbstständigt. In Gestalt des Islamismus hatte sich der Identitäts-Diskurs von seiner einstigen materiellen Grundlage abgelöst und war zur Halluzination geworden, die ihre militantesten Anhänger - notfalls auf blutige Weise - der wirklichen Gesellschaft aufzudrücken suchten. Aber eine gesellschaftliche Mehrheit schreckte vor ihren Plänen und Methoden zurück und wandte sich ab. Daraus resultierte die Niederlage des Islamismus in seiner radikalen, auf Umsturz der bestehenden - von der alten FLN-Staatsbürokratie ererbten - Ordnung ausgerichteten Form.

Das politische Projekt von Bouteflika besteht nun darin, als nationale Führungsfigur am Ausgang des schleichenden Bürgerkrieges die Scherben zusammenzukitten. Kern seines Programms ist es, die alte Allianz aus politischen Nationalisten und identitär-religiös motivierten Islamisten wiederherzustellen, wie sie im zunehmend nach rechts driftenden FLN der siebziger und achtziger Jahre bestand.

Daraus resultiert die Zusammensetzung »seiner« Regierung, die eigentlich unversöhnliche Gegensätze vereint - von den legalen Islamisten der Parteien Hamas/MSP und En-Nahda bis hin zu den laizistischen und zunehmend wirtschaftsliberalen Republikanern des RCD. Langfristig wäre es Bouteflika erklärtermaßen recht, wenn nur mehr eine oder zwei große politische Organisationen übrig bleiben würden.

Wie lange diese Allianz aber überleben wird, ist fraglich. Denn das maßgebliche Fundament des Populismus der siebziger Jahre fehlt ihr - das wohlfahrtsstaatliche Element. Die heutige Regierungstätigkeit ist eingebettet in einen Kontext der Zerschlagung öffentlicher Wirtschaftssektoren, der Privatisierung und des Versuchs, westliche Investoren anzulocken.