»Baise-moi«

Exzess ohne Alibi

»Baise-moi« handelt nicht von Rache, von Frauensolidarität oder von einer emanzipativen Aneignung des weiblichen Körpers: Es geht um maß- und ziellose Gewalt.

Zwei Frauen fahren durch die französische Provinz, Nadine heißt die eine, Manu die andere. Sie haben Sex mit Männern, die sie in Bars auflesen, sie töten, wenn sie Geld brauchen oder wenn sie Lust dazu haben. Manchmal trifft es die Männer, mit denen sie gerade geschlafen haben, manchmal eine Frau, die am Geldautomaten steht, manchmal einen Polizisten. Die expliziten Sexszenen wechseln mit Sequenzen, in denen viel Blut fließt, durchbrochen wird der harte Rhythmus von ruhigeren Einstellungen, in denen die Heldinnen in Hotelzimmern abhängen oder im Auto unterwegs sind. Dann tauschen sie Dialoge wie diesen: »Scheiße, wir bringen's nicht. Wo sind die guten Sprüche? Immerhin sterben Leute, da sollte der Dialog schon mithalten.« - »Wir können ihn aber nicht vorher schreiben.« - »Ja, das wäre total unethisch.«

Wenige Tage nach dem französischen Kinostart im Juni dieses Jahres wurde »Baise-moi« die Freigabe entzogen. Zwar beabsichtigte die autonome Zensurkommission, das französische Pendant zur hiesigen FSK, den Film von Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi für ein Publikum ab 16 Jahren zugänglich zu machen. Doch auf Betreiben besorgter Eltern und des Promouvoir-Bündnisses rund um den rechtsradikalen Politiker Bruno Mégret schaltete sich der französische Conseil d'État ein und kam nach Sichtung des Materials zu der Einschätzung, der Film bestehe »aus einer Abfolge von Szenen extremer Gewalt und nicht simulierten Sexszenen, ohne dass die übrigen Sequenzen die von den Regisseurinnen bekundete Absicht vermitteln würden, die auf die Frauen von der Gesellschaft ausgeübte Gewalt zu denunzieren«. »Baise-moi« wurde xifiziert. Da in Frankreich eine Altersfreigabe ab 18 nicht existiert, bedeutete dies, dass der Film nur in Pornokinos gezeigt werden durfte.

Die Begründung des Conseil d'État beruhte halb auf einem Missverständnis, halb auf Anmaßung. Denn hatten Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi tatsächlich im Sinn, Gewalt gegen Frauen anzuklagen? Worauf stützten die Zensoren diese Annahme? Implizit gingen sie davon aus, dass ein Film, der Frauen und Gewalt thematisiert, aus der Opferperspektive erzählt werden müsse. Werden weibliche Figuren brutal, so die Logik, ist das nur legitim, wenn die Gewalt ein Mittel ist, Gewalt zu verurteilen - wenn also etwas herauskommt, was mindestens so erbaulich ist wie »Thelma und Louise«.

Wendete man diese Argumentation - Filme, die Gewalt zeigen, müssten Gewalt verurteilen - auf Takeshi Kitanos Yakuza-Filme an - man müsste sie alle verbieten, egal ob »Sonatine«, »Violent Cop« oder die jüngste Genre-Variation, »Brother«, denn sie alle zehren von einer Brutalität ohne Maß, ohne dass diese Brutalität in irgendeiner Form denunziert würde.

Vermutlich hat die Zensur »Baise-moi« erst populär gemacht. Die Ästhetik des Schocks, der Grenzüberschreitung, des Tabubruchs, der sich die Regisseurinnen verschreiben, schielt immer mit einem Auge auf die Zensur. Erst wenn sie Empörung und Verbotsforderungen hervorruft, erfüllt sie ihren Zweck - wobei sich die Bürger heute nicht mehr so leicht schrecken lassen wie zu Batailles Zeiten. Wie sollen Sex und Gewalt provozieren, wenn tagtäglich auf allen Kanälen Sex und Gewalt gezeigt werden oder darüber geredet wird? Despentes und Trinh Thi müssen sich fast glücklich schätzen, dass ihre Revue aus pornografischen und gewalttätigen Szenen einen Gegner gefunden hat. Denn der Akt der Zensur hat eine Diskussion angestoßen, die der Film vermutlich nicht bewirkt hätte. Plötzlich stand die Freiheit der Kunst auf dem Spiel, gab es Solidaritätsadressen und Unterstützung von Filmemachern wie Catherine Breillat, Claire Denis und Jean-Luc Godard. Aber ist es eine Frage der künstlerischen Freiheit, wenn in eine Vergewaltigungsszene eine explizit pornografische Aufnahme hineingeschnitten wird? Es könnte sich genauso gut um einen Trick handeln, der - der medialen Reizüberflutung zum Trotz - funktioniert, weil er die Provokation für sich gepachtet hat.

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. »Baise-moi« ist mehr als ein schlecht gemachtes, vor Anschlussfehlern strotzendes, mit mäßigen Schauspielern besetztes Stück Kino, das noch dazu einer simplen Dramaturgie folgt. »Baise-moi« hat etwas, das formale Kriterien gleichgültig werden lässt. Der Film erzählt konsequent von weiblicher Täterschaft statt von weiblichem Opfertum. Er handelt über Gewalt von Frauen, ohne Maß, Rechtfertigung oder emanzipatorischen Mehrwert. Sein Wesen besteht gerade darin, dass er amoralisch ist, und erst das macht ihn verstörend - nicht die vordergründige Provokation durch die Nahaufnahmen von Genitalien in Aktion.

Anders als andere Filme, in denen weibliche Figuren zur Waffe greifen, erzählt »Baise-moi« keine Befreiungs- und keine Rachegeschichte. Die Frauensolidarität - in »Thelma und Louise« filmisches Telos - ist brüchig, insofern sie nur für die beiden Protagonistinnen gilt, nicht aber für deren Satelliten. Für die hat der Film nur Verachtung übrig: Nadine (Karen Bach) tötet ihre nervende Mitbewohnerin, Manu (Raffaëla Anderson) fertigt eine Freundin in Not mit rüden Worten ab. Dass den Hauptfiguren Gewalt angetan wurde, ist nur in begrenztem Maße das Motiv für deren gewalttätiges Tun. Die Vergewaltigung, der Manu zum Opfer fällt - wenn man denn überhaupt sagen kann, dass sie Opfer wird, zwingt sie doch letztlich den Vergewaltiger in die Knie -, bedingt nicht die Peripetie. Den Handlungsumschwung löst der Bruder aus, indem er sie »Hure« nennt. Für Nadine gibt es zunächst gar keine Gewalterfahrung, vor deren Hintergrund sich ihr Tun erklären ließe.

Damit lösen sich Despentes und Trinh Thi von Erzählmustern, wie sie etwa das Rape-Revenge-Genre - von Abel Ferraras »Die Frau mit der 45er Magnum« bis zu Todd Morris' »A Gun For Jennifer« - etabliert hat. Offensichtlich orientieren sich die französischen Filmemacherinnen an anderen Vorbildern, an Regisseuren wie Takeshi Kitano, Sam Peckinpah oder John Woo, von denen sie sich die grund-, maß- und ziellose Gewalt abgeschaut haben. Wobei sie das Schießen weniger ästhetisieren, als es die etablierteren Kollegen tun. »Baise-moi« verzichtet auf Effekte, die in »The Wild Bunch«, »Sonatine« und »The Killer« durch Zeitlupe, Choreografie oder Farbdramaturgie erzielt werden. Wenn Manu und Nadine schießen, so geschieht es schnell, ohne Überhöhung, flatternde Tauben, ausgefeilte Pattsituationen. Der einzige Kunstgriff liegt in der Zeitverschiebung: Zunächst bleibt der Schuss ausgespart, man sieht, wie sich die Situation anbahnt und was danach passiert, nicht aber die Tat selbst. Als sekundenkurze Rückblende kommt der Akt des Schießens dann doch ins Bild, ganz so, als werde der lineare Verlauf der Zeit durch den brutalen Akt unterbrochen.

Ein zweiter Orientierungspunkt ist der pornografische Film, Trinh Thi, Anderson und Bach waren zuvor in der Pornoindustrie tätig. Die Sexszenen sind nicht gestellt, der Revuecharakter des pornografischen Films wird weitgehend beibehalten, die Perspektive aber radikal verkehrt. Hier geht es nicht um männlichen Lustgewinn, sondern um dessen Destruktion. Im Interview mit der französischen Tageszeitung Libération sagte Anderson: »Porno bedeutet, dass sich Typen auf Kosten der Frauen rücksichtslos Befriedigung verschaffen. Der Mann fickt die Frau, die Frau hat alles zu schlucken. In ðBaise-moiÐ wird der Spieß umgedreht.« Dies gipfelt in einer Sequenz, die als spiegelbildliche Verkehrung des Cum Shot inszeniert ist. Manu und Nadine suchen einen Swinger-Club auf und richten dort ein Massaker an. Nachdem sie fast alle Anwesenden niedergemetzelt haben, zwingen sie den letzten Überlebenden auf alle Viere. Manu penetriert ihn mit einer Pistole. Schnitt. Sein Gesicht füllt die Leinwand, man hört sein Wimmern und wenig später, wie Manu durchlädt und schießt. Den Schuss selbst sieht man nicht, wohl aber, wie dem Opfer Blut aus dem Mund spritzt. Binnen Sekunden färbt sich die Leinwand rot.

In einer Absichtserklärung zu »Baise-moi« behauptet Despentes, sie wolle mit dem Film den »Frauen endlich ihren ganzen Körper zugestehen, da ihnen das normalerweise nie erlaubt wird. Den Frauen endlich das Recht auf ihre eigene Sexualität zugestehen.« Das klingt nach dem alten, dem Feminismus der siebziger Jahre entlehnten Versprechen der Wiederaneignung einer Lust, die vom Patriarchat geraubt wurde, und beruht auf einer naiven Vorstellung, ist eine utopische Aufladung, die der Film nicht mal einlöst. Was hat der verkehrte Cum Shot mit der Entdeckung einer eigenen Sexualität zu tun? Nichts.

»Je mehr du fickst, umso weniger denkst du nach, und je weniger du nachdenkst, umso besser schläfst du.« So lautet das Motto, das nicht von utopisch konnotierter Lust, sondern von Dumpfheit kündet. Gegen Ende, als die Protagonistinnen bereits zahlreiche Morde verübt haben, sagt Manu: »Vielleicht tun wir es wegen des Geldes.« Nadine weiß es besser: »Wir haben keine Entschuldigungen.« Dieser Satz könnte auch von Despentes und Trinh Thi stammen. Für den Exzess, den »Baise-moi« inszeniert, haben sie kein Alibi. Das ist eine klare Haltung - schön anzuschauen ist es nicht.

»Baise-moi«, F 2000. R: Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi, D: Raffaëla Anderson, Karen Bach, Delphine McCarty. Start: 16. November