Rezepte gegen Rechts

Grüner Ernstfall

Gefährliche Orte CXVIII: Die Öko-Partei hat ein neues Rezept gegen den Rechtsextremismus entwickelt - mehr Verfassungsschutz, Videoüberwachung und etwas Populismus.

Regina Michalik, die Chefin der Berliner Grünen, ärgert sich. Und zwar über die taz. »Bei aller Solidarität«, sagt sie, »aber das war überzogen.« Sie meint einen Bericht über die Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen, die vorletztes Wochenende in Kreuzberg stattgefunden hat. »Grüne gegen rechte Jugendclubs«, lautete eine Schlagzeile des Blattes. Der Journalist Uwe Rada kritisierte die ehemalige Bürgerrechtspartei: »Wenn es gegen rechts geht, korrigieren die Berliner Grünen im Ernstfall auch den eigenen Kurs.«

Eigentlich ist es keine Neuigkeit, dass die Grünen »im Ernstfall« so einiges korrigieren. Was aber hatten sie auf ihrer Konferenz beschlossen? Angesichts der anhaltenden rechten Gewalt in Deutschland forderten sie das übliche breite gesellschaftliche Bündnis und die allseits beschworene Zivilcourage. Ein Verbot der NPD lehnten die Delegierten zwar ab, hielten es aber für »unausweichlich«, wie Renate Künast, die Bundessprecherin der Partei, einräumte.

Dafür wollen sie die »Aktion Noteingang« wieder beleben. Mit gut sichtbaren Aufklebern sollen Geschäfte oder Gastronomiebetriebe künftig signalisieren, dass sie Schutz vor rechter Gewalt bieten. Bleibt nur zu hoffen, dass der entsprechende Text nicht wie beim letzten Mal allein in deutscher Sprache verfasst ist. Ein einfaches »You are leaving the German sector« dürfte international verständlich sein.

Brisanter war dagegen die Forderung der Delegierten, Jugendclubs, in denen sich die rechte Szene breit macht, vorübergehend zu schließen. Der Vorschlag wurde kontrovers diskutiert, und am Ende betonten die Basisvertreter, dass eine Schließung nur die ultima ratio sein solle. Trotzdem: Wenn die ersten rechten Jugendclubs im Ostteil der Hauptstadt geschlossen werden, dürfte nicht lange zu warten sein, bis Innensenator Werthebach auch den einen oder anderen linken oder vielleicht türkischen Jugendclub in Kreuzberg schließen lässt. Schließlich ist man ja gegen Gewalt und Extremismus im Allgemeinen. Und irgendwann im nächsten Jahr ist ja auch wieder 1. Mai.

Außerdem lösen sich die Nazi-Jugendlichen nicht in Luft auf, bloß weil ihr Club mal ein paar Wochen zu hat. Und was macht man, wenn dieselben Jugendlichen zurückkommen, kaum dass der Laden wieder aufmacht? Was tun, wenn in manchen Gegenden einfach die Mehrheit der jungen Leute extrem rechts eingestellt ist? Die Sache ist problematisch - auch wenn man es mancher Glatze wünscht, dass ihr im Winter der kalte Berliner Wind um die Ohren pfeift.

Die Berliner Grünen setzen im Kampf gegen Rechts mehr und mehr auf den Staat. So gehört zu ihrem Maßnahmenbündel auch die Forderung, der Verfassungsschutz solle den Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf die Beobachtung des Rechtsextremismus legen. Der Verfassungsschutz? Das war der Verein, den die Grünen vor kurzem noch abschaffen wollten. Aber so kennt man sie ja: Auf dem Papier wollten sie sogar die Bundeswehr abschaffen.

Auch die Haltung zur Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen ist auf dem Parteitag geändert worden. Die flächendeckende Überwachung wird zwar weiterhin klar abgelehnt. Aber im Falle von jüdischen Einrichtungen - die ja, da sie auf Privatgelände stehen, vom Eigentümer schon jetzt mit Kameras bewacht werden dürfen - seien Ausnahmen möglich: »Wenn die Gemeinde das will«, wie Parteivorsitzende Michalik gegenüber Jungle World betont. Das heißt, dass sich die Grünen nicht mehr gegen eine Videoüberwachung des Bürgersteigs vor einer jüdischen Einrichtung wehren würden. Das klingt im ersten Moment verständlich. Und sicherlich täten mehr Fahndungserfolge angesichts sich häufender Anschläge auf jüdische Einrichtungen der Berliner Republik ganz gut. Aber zum einen drohen jüdische Einrichtungen in Berlin dadurch langsam zu Hochsicherheitstrakten zu werden, zum anderen könnte die neue Haltung der Grünen von den Koalitionsparteien SPD und CDU zum Frontalangriff genutzt werden. Schließlich will Werthebach lieber ganz andere Orte unter ständige Überwachung stellen als jüdische Friedhöfe.

Ganz so falsch lag die taz also nicht, als sie den Grünen in diesen Fragen »Populismus statt Realismus« und ein Abweichen von ihren Prinzipien vorwarf. Noch im Beschluss des Landesvorstands vom 14. August ist zu lesen: »Eine Politik, die hauptsächlich auf Verbote, Beschränkungen und Polizeigewalt setzt, kann nur aktionistisch gegen einzelne Vorfälle vorgehen; mittelfristig ist sie nicht erfolgversprechend und beinhaltet zudem langfristig die Gefahr, mit Staatsgewalt demokratische Errungenschaften aufs Spiel zu setzen«.

Aber seit Renate Künast zur Parteichefin auf Bundesebene avancierte, ist der Populismus - gerade in Fragen der Bekämpfung des Rechtsextremismus - zur Methode geworden. Endlich ist ein Thema gefunden, mit dem sich die Grünen wieder als Bürgerrechtspartei profilieren und ihre schlechten Werte in den Meinungsumfragen aufbessern können. Hier mal mediengerecht ein Asylbewerberheim besucht, dort eine Initiative unterstützt. Aber kaum ein Wort zur Abschiebepraxis von SPD-Innenminister Otto Schily.

Künast bekennt sich offen zu diesem Populismus. In einem Interview mit der Berliner Zeitung erklärte sie: »Ich sage immer, jeder muss uns verstehen. Denn die Frage der Zuwanderung zu lösen, wird eine der ganz großen Leistungen sein, die Deutschland und Europa zu gestalten haben. (...) Das müssen wir erklären. Mit einfachen Worten, in einer einfachen Sprache.« Auch Künast will eben »die Gefühle und Ängste der Menschen ernst nehmen«.

Wie ernst die Grünen das Innenleben ihrer potenziellen Wähler nehmen, wird spätestens im nächsten Jahr zu beobachten sein, wenn die Ergebnisse der Zuwanderungskommission vorliegen und folgender Deal verhandelt wird: ein Einwanderungsgesetz im Tausch gegen die endgültige Abschaffung des Asylrechts unterm Vorwand der europäischen Harmonisierung. Heute hört man dazu von den Grünen ein lautes Nein, dem sicher bald ein kleinlautes Jein folgen wird.

So populistisch der Kampf der Grünen gegen den Rechtsextremismus wurde, so zaghaft ist ihr Kampf gegen den staatlichen Rassismus. Wie Regina Michalik angibt, beschränkt er sich in Berlin - wo die Grünen in der Opposition sind und mal ordentlich Wirbel machen könnten - auf Besuche in Abschiebeknästen oder auf parlamentarische Anfragen. Dabei wüsste Michalik es besser. Auf der Homepage der Berliner Grünen ist von ihr zu lesen: »Wer so mit Flüchtlingen umgeht wie unser Staat, nimmt in Kauf, dass fremdländisch Aussehende auf der Straße totgeprügelt werden.«

Aber solche Äußerungen schlagen sich nicht in der grünen Politik nieder. Lieber kungelt man auf parlamentarischer Ebene mit der CDU und erwägt die Möglichkeiten einer zukünftigen Koalition. Und das in Berlin, wo die CDU ein derart rechtspopulistisches Potenzial in sich birgt, dass die Republikaner bei Wahlen so gut wie chancenlos sind.