Debatte um Islamunterricht

Warten auf Allah

Der Religionsstreit geht weiter: Mit juristischen Tricks versucht der Senat, die Islamische Föderation aus Berliner Schulen herauszuhalten.

Ginge es nach der Islamischen Föderation, dann unterrichteten Islam-LehrerInnen schon heute an zwei Berliner Grundschulen. Bereits 1998 hatte das Berliner Oberverwaltungsgericht der Organisation das Lehrrecht zugesprochen, und im März bekräftigte auch das Bundesverwaltungsgericht das Urteil. Nur wenig später legte die Föderation der Schulverwaltung Rahmenpläne für einen deutschsprachigen Islam-Unterricht vor - die von der Stadt noch im Mai als »wasserdicht« bezeichnet wurden.

Doch das Einverständnis zwischen Christen und Muslimen währte nicht lange. Im Juli wies die Schulverwaltung die Vorlagen zurück. Begründung: »pädagogische Defizite«. Innensenator Eckart Werthebach (CDU) hatte andere Bedenken. In einem Brief an Schulsenator Klaus Böger (SPD) wies er auf »Anhaltspunkte für den Verdacht der Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele durch die Islamische Föderation« hin.

Neu ist der Vorwurf nicht. Immer wieder war der Föderation, die seit diesem Jahr wieder vom Verfassungsschutz beobachtet wird, inhaltliche und personelle Nähe zur islamistischen Milli Görüs vorgeworfen worden. Ein alter Hut, meint Burhan Kesici, der dem Verwaltungsrat der Föderation vorsitzt. Zwar gebe es Leute, die sowohl bei Milli Görüs als auch bei der Islamischen Föderation tätig gewesen seien, doch »ernsthaft redet darüber niemand mehr«.

In der Schulverwaltung klingt das etwas anders. Leider seien die Beurteilungen des Verfassungsschutzes »keine Hilfe«, erklärt die pädagogische Beraterin Bögers, Angelika Hüfner, auch wenn ihr die Informationen ein »mulmiges Gefühl« bereiten würden. Vorerst aber hat die Stadt andere Möglichkeiten, die Islamische Föderation vom Unterricht abzuhalten. Während Kesici behauptet, die Rahmenpläne bedürften lediglich einiger Erläuterungen, fordert Hüfner größere Änderungen. Weder sei die Geschlechterfrage in der Vorlage der Föderation ausreichend berücksichtigt, noch gebe es Regelungen für den Umgang mit SchülerInnen, die den Islamunterricht verlassen oder von anderen Glaubensgruppen dazustoßen wollen. Im Vorwort des Rahmenplans seien zwar einige dieser Fragen grundsätzlich geklärt, bei der didaktischen Vermittlung hapere es jedoch.

In den kommenden Tagen wollen die Föderation und der Verband Islamischer Kulturzentren - die beiden sind inzwischen eine Kooperation eingegangen - ihre Ergänzungen des Rahmenplans an die Schulverwaltung schicken. Der Verwaltungsratsvorstand Kesici hofft, vielleicht noch in diesem Jahr, spätestens aber im Februar 2001, endlich starten zu können.

Doch Böger versucht, sich auch rechtlich abzusichern. So erstellten in seinem Auftrag zwei Juristen der Humboldt-Universität ein Gutachten, wie die Islamische Föderation rechtlich zu stoppen sei. Eine engere Definition jener Religionsgemeinschaften etwa, die Unterricht anbieten dürfen, könnte im Schulgesetz verankert werden.

Sollte Böger diesen Weg einschlagen, müsste er aber nicht nur mit dem Widerstand des Humanistischen Verbandes rechnen, der zur Zeit Lebenskunde-Unterricht an Berliner Schulen anbietet und bei einer Neudefinition ausgeschlossen werden könnte. Auch im Senat stoßen Bögers juristische Tricks nicht auf ungeteilte Zustimmung. Erst im September hatte Manfred Becker, Referatsleiter der Senatskulturverwaltung, vor derartigen »Schnellschüssen« gewarnt. Mittlerweile verzichtet Becker auf öffentliche Stellungnahmen - das Thema sei »zu brisant«.

Einfacher könnte es für Böger sein, die Sache noch grundsätzlicher anzugehen. Schon lange will er den Status des Religionsunterrichts in Berlin ändern und diesen zum Wahlpflichtfach machen. Das hieße, dass nicht mehr wie bisher nur ein Drittel aller SchülerInnen den freiwilligen Weltanschauungsunterricht besucht, sondern dass alle dies tun müssten - und dabei die Wahl hätten zwischen Ethik/Philosophie und evangelischem, katholischem, jüdischem oder islamischem Religionsunterricht.

Das Vorhaben heißt »Begegnungsmodell«, weil - im Geiste eines interreligiösen Dialogs - ab und zu ökumenische Projekte durchgeführt werden sollen. Das Entscheidende in der Auseinandersetzung mit der Islamischen Föderation aber ist, dass dadurch die Religion zum staatlichen Fach würde. Die Schulverwaltung bräuchte die Ansprüche an Lehrpläne und LehrerInnenausbildung nur hoch genug anzusetzen, um LehrerInnen der Islamischen Föderation ohne weiteres ablehnen zu können.

Allerdings steht Böger in der Berliner SPD mit diesem Vorschlag noch ziemlich alleine. Auch seine Beraterin Hüfner meint, nur mit großer Kraftanstrengung sei bis zum nächsten Schuljahr eine Gesetzesänderung zu erreichen. Auf die Unterstützung der CDU-Fraktion kann Böger jedoch rechnen. Deren schulpolitischer Sprecher Stefan Schlede will, dass »Wertevermittlung« auch in Berliner Schulen wieder in einem Pflichtfach stattfindet. Das von Teilen der SPD geforderte »Fenster-Modell« lehnt er ab: In einem konfessionsübergreifenden Unterricht sollten VertreterInnen der verschiedenen Religionen in Blöcken auftreten. Solche »Stippvisiten« aber hält Schlede nicht für ausreichend. Schließlich könnte den restlichen Unterricht dann sogar ein atheistischer Lehrer bestreiten: »Da fehlt doch die Authentizität, das kann's nicht sein.«

Weitaus flexibler gibt sich Metin Kücük, der Vorsitzende des Kulturzentrums Anatolischer Aleviten. Rund 40 000 AnhängerInnen dieser schiitischen Variante des Islam leben in Berlin. Kücük ist dafür, dass auch alevitische Religion an der Schule gelehrt wird. Türkischsprachiger Unterricht im eigenen Gebetshaus, wie ihn 13 sunnitische Moscheen im türkischen Dachverband Ditib organisieren, kommt für ihn nicht in Frage. Mit einem Modell wie in Rheinland-Pfalz aber, wo katholische und evangelische ReligionslehrerInnen in einem drei- bis sechsmonatigen Kompaktkurs in die Grundzüge des Alevismus eingewiesen werden, wäre er zufrieden. »Für den laizistischen Staat reicht diese Form völlig aus.« Solange es in Berlin noch keinen alevitischen Religionsunterricht gibt, schickt er seine Kinder eben in den evangelischen: »Es kann ja nicht schaden, wenn sie etwas über Jesus und das Christentum erfahren.«

Mehr Probleme hat der Vorsitzende mit der Islamischen Föderation. Abgesehen davon, dass diese die sunnitische Variante des Islam vertritt, wirft er ihr Intoleranz und politische Verstrickungen in der Türkei vor. Einen gemeinsamen Entwurf für islamischen Religionsunterricht, wie ihn deutsche Schulbehörden immer wieder fordern, lehnt Kücuk daher ab. Bereits im Mai legte das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten der Schulverwaltung eigene Rahmenpläne vor, die inzwischen überarbeitet wurden. Jetzt wartet das Kulturzentrum auf den positiven Bescheid.

Doch das kann noch eine Weile dauern. »Die alevitische Gemeinde hat sehr spontan reagiert. Von fundierten Rahmenplänen kann da noch keine Rede sein«, meint Bögers Beraterin Hüfner. Zum Trost verweist sie darauf, dass es auch zwei Jahre gedauert habe, bis der jüdische Religionsunterricht eingeführt wurde.