Deindustrialisierung in Tschechien

Ofen aus in Ostrava

Mit einer Schocktherapie will sich die tschechische Regierung von den Staatsbetrieben trennen.

Selbstverbrennungen haben in der Tschechischen Republik schon Tradition. Begründet wurde sie vom Studenten Jan Palach, der sich 1969 aus Protest gegen die sowjetischen Invasoren am Wenzelsplatz selbst anzündete. Am 28. Mai dieses Jahres dagegen war es nicht der Widerstand gegen ein stalinistisches Regime, das einen anderen Mann zu der Verzweiflungstat trieb, sondern die triste ökonomische Situation in seinem Wohnort Dolny Lutyne in Nordtschechien. Der 39jährige Mann übergoss sich mit Benzin und rannte als lebende Fackel zum Sitz seines Arbeitgebers. Dort, in einer ehemaligen Kohlegrube, hatte er jahrelang gearbeitet. Herbeieilenden Polizisten sagte der Mann noch, die Arbeitslosigkeit habe ihn psychisch ruiniert.

Die Verzweiflungstat wäre vermutlich kaum aufgefallen, wenn der ehemalige Bergmann sich nicht vor den Toren seines Unternehmens getötet hätte. Jetzt wird sie zum Symbol für die trostlose Lage in Nordtschechien und zur Anklage gegen die verfehlte Wirtschaftspolitik der tschechischen Regierungen.

Denn im Dreiländereck zwischen Tschechien, der Slowakei und Polen, rund um die Stadt Ostrava, geht nichts mehr. In den fünfziger Jahren war hier das Zentrum der tschechischen Schwerindustrie. Reiche Kohle- und Erzvorkommen machten die Region zum Stolz der sozialistischen Regierungen. Nordtschechien erhielt den Beinamen »stählernes Herz der CSSR«. Doch diese Zeiten sind schon lange vorbei.

Die beiden größten Stahlhütten, Vitkovice und Nova Hut, sind in enorme Schwierigkeiten geraten. Alleine Vitkovice beschäftigt derzeit 12 000 Menschen, und wenn Vitkovice und Nova Hut eines Tages schließen müssen, treibt dies die Arbeitslosenrate in der Region von derzeit rund 16 auf 27 Prozent.

Viktovice hat inzwischen einen Schuldenberg von rund 14 Milliarden Kronen (400 Millionen Euro) angehäuft. Möglichkeiten, ihn loszuwerden, gibt es wegen des Zusammenbruchs der Absatzmärkte in Ost und West kaum.

Selbst wenn Vitkovice und Nova Hut überleben, so werden dennoch viele Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Regierung in Prag hat gerade ein Konzept zur Sanierung des maroden Hüttenwesens in der Tschechischen Republik vorgelegt. Demzufolge sollen bis zum Jahr 2010 mehr als die Hälfte der insgesamt 53 000 Beschäftigten ihren Job verlieren.

Doch so weit hätte es nach Meinung der Betroffenen gar nicht kommen müssen. Dem ehemaligen konservativen Premier Vaclav Klaus werfen in Nordtschechien viele vor, keine Weiterbildungs-Programme für die Beschäftigten offeriert zu haben. Einmal Bergmann, immer Bergmann. Oder: Einmal Bergmann, immer arbeitslos.

Mit Privatisierungen soll nun behoben werden, was die konservative Regierung verursacht und die sozialdemokratische Regierung von Milos Zeman seit 1998 nicht saniert hat.

In den nächsten vier Jahren werden die tschechische Telekom, die Czech Airways und auch jene Kohlegruben im Norden des Landes privatisiert, die jetzt vor dem Ruin stehen. Insgesamt 500 Milliarden Kronen (14,3 Milliarden Euro) soll der Ausverkauf dem Staat bringen. Oder auch nicht. Denn ausländische Konzerne werden die Betriebe nicht übernehmen, solange diese nur rote Zahlen schreiben.

Die »Überleben um jeden Preis»-Strategie der bisherigen Regierungen hat die Betriebe langsam in den Ruin getrieben. Nun folgt eine Schocktherapie durch Privatisierung. Doch der plötzliche Aktivismus der Prager Regierung könnte gefährliche Folgen haben. »Man kann nicht alle Betriebe auf einmal verkaufen, weil das die Börse ruinieren würde«, gibt der Wiener Wirtschaftsforscher Josef Pöschl zu bedenken.

In ihrer Not, die Privatisierung finanzieren zu müssen, trennt sich die tschechische Regierung nun sogar vom Familiensilber. Prag führt derzeit intensive Verhandlungen mit dem VW-Konzern, um auch die restlichen im Staatsbesitz befindlichen 30 Prozent der Anteile an den Skoda-Werken in Mlada Boleslav loszuwerden. Dabei ist Skoda - zumindest seit der Übernahme durch VW im Jahre 1991 - ein hochprofitables Unternehmen.

Finanzminister Pavel Mertlik ist für den Verkauf, Industrieminister Miroslav Gregr ist dagegen. »Es gibt keinen Grund, die Anteile zu verkaufen«, erklärte er mehrfach. Denn gerade jetzt baut VW in Mlada Boleslav eine Motorenfabrik, der Wert von Skoda Auto könnte nach Fertigstellung des Werkes steigen.

Die eigenartige Wirtschaftspolitik der tschechischen Regierung hat inzwischen auch für Unmut beim Internationalen Währungsfonds gesorgt. Der Fonds wird Ende September in Prag sein Gipfeltreffen veranstalten, zu dem auch zahlreiche Gegendemonstranten erwartet werden.

Und selbst diese Proteste werden in Tschechien inzwischen privatisiert. Eine Prager Firma mietete vom Innenministerium das Strahovsky Stadion, wo die Demonstranten eine Zeltstadt errichten können. Die IWF-Kritiker sollen für ihren Aufenthalt im Stadion 37 Euro an die Firma zahlen.