Roma und Sinti in Deutschland

Zweite Mahnung

In Berlin soll ein Denkmal für die toten Roma und Sinti entstehen. Die lebenden werden abgeschoben.

Das kleine Areal zwischen Reichstag und Brandenburger Tor, das der Bezirk Tiergarten jahrelang freigehalten hat, kann endlich bebaut werden. Nach der Blockade durch die CDU scheint der Weg für die Errichtung eines Mahnmals für die verfolgten Sinti und Roma frei. Es soll an jene 500 000 Sinti und Roma erinnern, die in den Todeslagern der Nationalsozialisten ermordet wurden. Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen hat Ende Juli seinen Widerstand gegen den Bau der Gedenkstätte südlich des Reichstages aufgegeben. Das Denkmal müsse aber, so Diepgen, »in seinen Dimensionen vertretbar« sein.

Jahrelang hatte der CDU-Politiker alle Register gezogen, um diese Entscheidung zu verhindern. Zusagen der ehemaligen Senatoren Wolfgang Nagel, Christine Bergmann und Ulrich Roloff-Momin, wonach der Bau bereits 1994 hätte beginnen können, waren für Diepgen nichts weiter als »persönliche Meinungen«. Zuletzt hatte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Berlin Unterschriften für die Errichtung des Mahnmals gesammelt. Zu den Unterzeichnern zählten Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der Schriftsteller Günter Grass und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel.

»Bis heute erinnert in Berlin nur eine kleine Gedenktafel aus der DDR am Rande eines Friedhofs im Außenbezirk Marzahn an die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma«, berichtet Jörg Becken, Vertreter der Roma-Union Berlin. Nach Marzahn wollte Diepgen auch die weitere Erinnerung verbannen. Von dort aus wurden die Berliner Sinti und Roma 1942 in Konzentrationslager deportiert. Schon 1936 hatten die Nationalsozialisten sie am Stadtrand zusammengepfercht, um eine »saubere Olympiade« zu gewährleisten. Während des Krieges wurden Sinti und Roma als Zwangsarbeiter in der deutschen Industrie eingesetzt. Der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie dienten sie als menschliche Versuchsobjekte.

Das qualvolle Sterben einer halben Million Sinti und Roma in den Konzentrationslagern stellt den traurigen Höhepunkt der Verfolgung dar. Doch die Ausgrenzung begann weit früher. Sinti und Roma, seit fast 600 Jahren in Deutschland ansässig, wurden fast immer diskriminiert. Vom 16. bis ins 18. Jahrhundert wurden sie, ähnlich den Juden, als »Heiden« bezeichnet, denen Kindesentführung, Menschenopfer und Kannibalismus nachgesagt wurden. Staatsmacht, Kirche und Pöbel agierten Hand in Hand. Sinti und Roma wurden verbannt, inhaftiert, als Sklaven nach Übersee verschleppt und getötet.

Im 19. Jahrhundert systematisierten die deutschen Länder die Verfolgung und schufen einen »Zigeunernachrichtendienst«. Preußen deklarierte 1906 eine »Verordnung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens«. Das Gesetz, das auch während der Weimarer Republik in Kraft blieb, schränkte die Bewegungsfreiheit der als Zigeuner bezeichneten Personengruppen ein. Die »Zigeunerhorden«, die auch nur aus zwei gemeinsam reisenden Familien bestehen konnten, sollten so zur Sesshaftigkeit in eigens geschaffenen Sonderzonen gezwungen werden.

Das Polizeiarchiv über die nicht-sesshafte Bevölkerung Deutschlands wurde auch nach 1945 weitergeführt. Einige Bundesländer erließen nach dem Krieg Richtlinien, die den Bestimmungen der »Verordnung zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens« ähnlich waren. Viele der Verantwortlichen für den Genozid an den Sinti und Roma setzten ihre »Zigeunerstudien« auch in der Bundesrepublik fort. Schon in den fünfziger Jahren sahen sich die deutschen Roma einer erneuten Diskriminierungskampagne ausgesetzt. Ihre Pässe und Ausweise, die sie erst nach 1945 erhalten hatten, wurden von den Behörden wieder eingezogen - sie galten offiziell als »Personen ungeklärter Staatszugehörigkeit«. Sie lebten ohne Wahlrecht und ohne die Möglichkeit, aus der Bundesrepublik auszureisen, aber unter der ständigen Drohung, abgeschoben zu werden. Erst in der ersten Hälfte der achtziger Jahre erhielten viele der 80 000 deutschen Roma und Sinti die deutsche Staatsbürgerschaft.

Während der siebziger und achtziger Jahre kamen Tausende Roma nach Deutschland, die vor Verfolgung in Frankreich und Italien geflohen waren. Weitere zehntausende Roma immigrierten in den letzten 30 Jahren als »jugoslawische Gastarbeiter«. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus flohen weitere zehntausende Roma vor zunehmender Verfolgung und Diskriminierung aus ehemaligen Ostblockstaaten, vorwiegend aus Rumänien (etwa 60 000). Die meisten von ihnen besitzen noch immer keinen Aufenthaltsstatus. Viele sind zu einem marginalisierten Nomadenleben gezwungen - und das, obwohl nahezu alle in ihren Herkunftsländern sesshaft waren. Ab Oktober 1992, nach der Unterzeichnung eines Rückführungsabkommens mit Rumänien, begannen Massenabschiebungen in dieses Land - alleine 1993 traf es 38 000 Menschen.

Von der deutschen Politik werden Roma und Sinti nach wie vor diskriminiert. 1992 weigerte sich die Bundesregierung, der UN-Menschenrechtskommission zum Schutz der Roma zuzustimmen. Auch die Umsetzung der Allgemeinen Minderheitenkonvention und der Minderheitensprachen-Charta der EU war mit Schwierigkeiten verbunden. Die Regierung wollte nur »ethnische Minderheiten« mit »territorialer Konzentration« anerkennen.

Nach einigen Auseinandersetzungen wurde den Roma und den Sinti im vergangenen Jahr der Status einer »Streuminderheit« zugebilligt. Damit sollen bestimmte kulturelle und sprachliche Besonderheiten gefördert werden. Allerdings gilt dies nur für deutsche Sinti und Roma, also diejenigen, die vom Zentralrat vertreten werden. Ausgeschlossen bleiben alle, die sich von diesem Gremium nicht repräsentiert fühlen.

Katastrophal ist die Situation für die Roma aus den Republiken des ehemaligen Jugoslawien. Die meisten Roma aus Bosnien, Serbien, Kroatien und Montenegro hatten sich bei ihrer Ankunft nicht als Roma deklariert, sondern als Angehörige der Mehrheitsbevölkerung ihres Herkunftsortes. Roma wurden während der Balkankriege nicht als verfolgt anerkannt. Schon in den Flüchtlingslagern in Montenegro mussten sie sich als albanische Kosovaren bezeichnen, um internationale Hilfe zu erhalten. Auch als sie ihren Asylantrag stellten, mussten sie ihre Identität geheim halten. Roma wurden trotz ihrer Verfolgung als serbische Kollaborateure angesehen, ihre Asylanträge abgelehnt. Auf eine Anfrage der Roma-Union nach der Zahl der aus dem Kosovo stammenden Roma in Berlin erklärten die Behörden daher knapp: »keine«.

Nun sollen viele Roma in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Dort sind sie unmittelbar von Verfolgung bedroht. »Daher besteht eine unserer Aktivitäten darin«, so Kashmir Ribic, bosnischer Roma und Anwalt der Roma-Union in Berlin, »ihre Identität als Roma offiziell anerkennen zu lassen und die Abschiebungen ins Nichts aufzuhalten.«