Referendum in der Westsahara verzögert sich

Wer ist das Volk?

Marokko verzögert weiter das Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara. Gestritten wird um die Frage, wer überhaupt abstimmen darf.

Am 31. Juli sollte das Referendum über den Verbleib der Westsahara endlich stattfinden. Doch wieder einmal ist es auf Druck Marokkos verschoben worden - auf unbestimmte Zeit. James Baker, persönlicher Gesandter des UN-Generalsekretärs Kofi Annan, warf nach einem gescheiterten Vermittlungsversuch Ende Juni in London beiden Verhandlungsparteien vor, nach dem Motto »the winner takes it all« zu agieren. Kompromissvorschläge habe es von niemandem gegeben, weshalb die Abstimmung in weite Ferne gerückt sei. Genauso ergebnislos verlief ein weiteres Treffen vor zwei Wochen in Genf. Der UN-Sicherheitsrat verlängerte deshalb das Mandat der »Mission für ein Referendum in der Westsahara« (Minurso) vorerst bis zum 31. Oktober.

1975, als sich der Abzug der spanischen Kolonialmacht ankündigte, hatte der damalige marokkanische König Hassan II. 350 000 Freiwillige zum »Grünen Marsch« in die Westsahara mobilisiert und so das südliche Nachbarland weitgehend friedlich besetzt. Nach dem endgültigen Abzug der Spanier begann der Guerillakampf der »Volksfront für die Befreiung von Sagu'a al-Hamra und R'o de Oro« (Polisario). Ursprünglich hatte die spanische Regierung den Sahauris ein Referendum über den Status der Westsahara versprochen, dann aber das Gebiet in einem geheimen Abkommen marokkanischer und mauretanischer Verwaltung überlassen. Nachdem Mauretanien wegen der nicht enden wollenden Scharmützel seine Ansprüche aufgegeben hatte, ging der Kampf gegen die 200 000 Mann starke marokkanische Besatzungsarmee weiter.

Internationale Appelle, ein Gutachten des internationalen Gerichtshofes in Den Haag und verschiedene UN-Resolutionen, die den Sahauris das »Recht auf Selbstbestimmung« zubilligen, konnten Hassan II. lange Zeit nicht zu Verhandlungen bewegen. Auf die Phosphatlager, die Fischbänke an der Atlantikküste, aber auch die Reserven an Wolfram, Chrom, Zinn oder Erdöl, die Experten zufolge in den Wüstenregionen lagern sollen, wollte der Monarch nicht verzichten.

Erst auf Druck der USA und angesichts der hohen Ausgaben für den Wüstenkrieg ließ sich Hassan II. dazu bewegen, seine Taktik zu ändern. 1991 einigten sich beide Seiten auf einen Waffenstillstand und eine Vermittlung durch die Vereinten Nationen. Der UN-Friedensplan sah vor, die Sahauris zu den Urnen zu rufen. Die Regierung in Rabat will damit »die marokkanische Identität der südlichen Landesteile« bestätigen lassen, während Mohamed Abdelaziz, Chef der Polisario, »einen unabhängigen Staat aus der Taufe heben« möchte. Fünf Termine hat es bisher für das Referendum gegeben, abgestimmt wurde jedoch bis heute nicht.

Zwar hat Ende Dezember die Identifizierungskommission ihre Arbeit abgeschlossen, indem sie die Wahllisten vorlegte, auf denen 86 381 stimmberechtigte Sahauris registriert sind. Aber Marokko bestand nun darauf, alle abgelehnten Bewerber erneut zu überprüfen, von denen die meisten ursprünglich Migranten aus dem marokkanischen Kernland sein dürften. Rund 400 000 vermeintliche Sahauris betrifft das, von denen bisher 140 000 Einsprüche eingingen. Diese Einsprüche soll die Identifikationskommission nun, so will es Marokko, erneut überprüfen. UN-Generalsekretär Kofi Annan ließ sich auf den Kuhhandel ein und setzte das Referendum aus.

Im Auffinden von Vorwänden, um das Referendum immer wieder zu verschieben, haben sich Marokkos Delegationsführer in den vergangenen neun Jahren zu Profis entwickelt. Hassan II., der im Juli letzten Jahres verstorbene marokkanische König, wollte das Referendum ohnehin nie. Für ihn war ein unabhängiger Sahauri-Staat »in strategischer, ideologischer und politischer Hinsicht, als auch im Hinblick auf den Zugang zum Atlantik, undenkbar«. Diese Position vertreten, wenn auch in modifizierter Form, nahezu alle Parteien im Königreich Marokko. Für sie ist der Verbleib der Westsahara aus unterschiedlichen Motiven eine »nationale« Frage.

Hoffnungen, dass sich unter Mohammed VI., dem Sohn und Nachfolger Hassans II., an der Position Marokkos etwas ändern könne, wurden bisher enttäuscht. Zwar hatte Mohammed VI. den langjährigen Innenminister Driss Basri, der sich wiederholt für eine Verschiebung des Referendums eingesetzt hatte, entlassen (Jungle World, 47/99). Die Leitlinien der Westsahara-Politik haben sich trotzdem kaum geändert. Angesichts der marokkanischen Wirtschaftskrise möchte Mohammed VI. wohl nicht auf den Verkauf von Fischereirechten vor der Küste der Westsahara an die EU und die Einnahmen aus den Bergbaulizenzen verzichten. Zudem plant Marokko zusammen mit Mauretanien und dem Senegal einen Trans-Sahara-Highway, der notwendigerweise durch die Westsahara führen würde.

Ohne internationalen Druck von Seiten der Europäer und der UN werde sich an der festgefahrenen Situation kaum etwas ändern, ist sich Polisario-Vertreter Jamal Zakari sicher. Das Vertrauen der Sahauris in die internationalen Organisationen sei bereits erschüttert, und die Stimmen, die für eine Wiederaufnahme des Guerillakrieges plädieren, seien lauter geworden.

Innerhalb der EU scheiterten die spärlichen Westsahara-Initiativen bisher am Widerstand Frankreichs und der ehemaligen Kolonialmacht Spanien, die aus unterschiedlichen Interessen die Hand über Rabat halten. Die UN hingegen haben sich immer wieder auf das Lavieren Marokkos eingelassen, die eigene Resolution neun Jahre später immer noch nicht umgesetzt und damit auch an Ansehen in der Region verloren.

Zudem wurden zentrale Fehler bei der Umsetzung des Referendumsplans gemacht. Weder sind die zentralen Sicherheitsfragen während der Abstimmung, die schließlich im von Marokko besetzen Gebiet abgehalten werden soll, zufriedenstellend geklärt, noch gibt es einen Rückführungsplan für die im algerischen Exil lebenden Flüchtlinge. Wie wichtig derartige Vorbereitungen allerdings sind, hat das Beispiel Ost-Timor gezeigt, wo nach einem vergleichbaren Referendum Todesschwadronen durch die Straßen zogen.