Druck auf PKK-Dissidenten

Deserteure mit Appell-Komplott

Der Umgang der PKK mit ihren Dissidenten entzweit die deutsche Soli-Szene.

Solidarität - nur mit wem? Das fragt sich zur Zeit mancher in Deutschland. Für Zwistigkeit in der Soli-Szene sorgen Berichte, nach denen eine Gruppe von etwa 30 PKK-Abtrünnigen, die den neuen Kurs ihres zum Tode verurteilten Führers Abdullah Öcalan nicht mittrug, von ihren linientreuen Parteigenossen im Nordirak gefangengesetzt wurde. Öcalan forderte im Parteiorgan Serxwebun die »härteste Bestrafung« der »Verräter»; Teile der Soli-Szene wandten sich daraufhin mit einem Apell zu Gunsten der Dissidenten an die PKK-Führung (Jungle World, 30/00).

Dem von der PDS-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke und dem Herausgeber des Kurdistan-Rundbriefs, Rüdiger Lötzer, initiierten Appell haben sich etwa 80 Einzelpersonen sowie Solidaritäts-, Menschenrechts- und Flüchtlingsgruppen angeschlossen. Sie fordern die Aufklärung des Schicksals der Festgesetzten und deren sofortige Freilassung.

Empörte Reaktionen sowohl seitens der PKK als auch aus der Soli-Szene ließen nicht lange auf sich warten. Der PKK-Präsidialrat sprach in einer Erklärung von »an dem internationalen Komplott beteiligten Kräften«, deren Ziel darin liege, »unsere Partei zu zerstören und die kurdische nationale demokratische Bewegung unter Druck zu setzen«. Dieser Verschwörungston zieht sich durch die ganze Erklärung. Zwar habe sich eine Gruppe unter der Führung von Sait Cürükkaya - dem Bruder des PKK-Dissidenten Selim Cürükkaya - und Ayhan Ciftci zur irakisch-kurdischen PUK abgesetzt. Ansonsten aber beruhe die zusammen mit dem Appell veröffentlichte Namensliste der Festgesetzten auf von »zersetzenden Kräften« lancierten Falschinformationen.

Um dies zu untermauern, druckte die PKK-nahe Tageszeitung Özgür Politika eine von fast allen als gefangen gemeldeten Personen unterzeichnete Erklärung ab. Hier wurde eine Festsetzung heftig dementiert und von »Liquidation und Defätismus« gegen den neuen Friedenskurs geredet. Im kurdischen Fernsehsender Medya-TV bekundeten viele von ihnen telefonisch ihre Loyalität zu Öcalan. Die deutschen Appell-Unterzeichner hätten sich, war zu hören, als Schachfiguren des »Komplotts« der »Deserteure« missbrauchen lassen.

Die Übereinstimmung dieser Erklärungen mit den gegen die Abweichler gerichteten Drohungen in Serxwebun wie auch mit früheren Tiraden gegen Kritiker des neuen PKK-Kurses ist deutlich. In gewohnt autoritärem Stil werden »unser patriotisches Volk« und »unsere Familien«, die durch die »Kampagne« gespalten und verwirrt werden sollten, dazu aufgefordert, »sich unter der Führung unseres Vorsitzenden Apo und unserer Partei noch enger zusammenzuschließen«.

Von Teilen der Soli-Szene wird das geschlossene verschwörungstheoretische Weltbild, nach dem alle, die sich kritisch zur PKK und ihrem inhaftierten Vorsitzenden äußern, Teil eines seit der Entführung Öcalans wirksamen internationalen Komplottes sind, noch getoppt. Die bisher vor allem durch begeistertes Abfahren auf die antisemitische These vom israelischen Mossad als Drahtzieher der Öcalan-Entführung aufgefallene Berliner Informationsstelle Kurdistan (Isku) etwa attackierte den Appell von Jelpke, Lötzer und anderen sowie die in ähnliche Richtung weisenden Artikel von Anna Chondrula in der jungen Welt als »traditionelle westdeutsche linke Besserwisserei«, die Befreiungsbewegungen immer »gerade in entscheidenden Phasen« in den Rücken falle.

Das Verhalten der Appell-Unterstützer und der jW-Autorin Chondrula seien, so Isku, vergleichbar mit der Situation Ende der achtziger Jahre. Damals trug die PKK mit anderen Gruppierungen blutige Konkurrenzkämpfe um die Hegemonie über die türkisch-kurdische Diaspora in der BRD aus; taz, KB und GAL Hamburg positionierten sich auf Seiten der linken türkisch-kurdischen PKK-Gegner. Isku deutet das noch immer als Unterstützung der »Repressionswelle gegen kurdische Revolutionäre im BRD-Exil« und vergleicht das mit der heutigen Diskussion - eine Dolchstoßlegende der Soli-Linken.

Grundlage des jetzigen Streits ist ein kaum überprüfbares Gemenge widersprüchlicher Informationen und Positionen. Emanzipatorisches aber ist darunter selbst mit der Lupe kaum auszumachen. Figuren wie der ehemalige PKK-Führungskader Selim Cürükkaya, auf dessen Angaben sich der Appell und die Artikel über die Dissidentengruppe teilweise stützen, sind aus eigennützigen Motiven und persönlichem Zwist mit Öcalan zu PKK-Kritikern geworden. Die Zweifelhaftigkeit seiner Informationen ist auch den Appell-Initiatoren bewusst: Daher verweisen sie auf die parteioffiziellen Öcalan-Statements in Serxwebun sowie auf »besorgte Anrufe und Bitten von hier lebenden Kurdinnen und Kurden«, die durch die heftige Auseinandersetzung in der PKK ausgelöst worden seien.

Die PKK ist im Nordirak in einer prekären Lage: Die aus der Türkei zurückgezogenen Guerilla-Einheiten werden von der türkischen Armee und den mit ihr verbündeten Milizen von PUK und KDP bedrängt. Nach Aussagen des PKK-Guerillakommandanten Cemil Bayik wird von ihnen ein neuer Waffengang gegen die PKK vorbereitet. Dies hänge mit dem Aufenthalt der Gruppe um Sait Cürükkaya bei der PUK und der »Kampagne« zusammen. Dem stehen wiederum Behauptungen in der jungen Welt gegenüber, nach denen Öcalan Staatsanwaltschaft und Militärs vor den »gegen die Türkei gerichteten« Aktivitäten der bei der PUK befindlichen PKKler gewarnt habe. Der PKK-Chef habe daher vorgeschlagen, dass die PKK die Kontrolle über Teile des kurdischen Nordirak »zum Vorteil der Türkei« übernehmen solle. Ähnliches behauptet Selim Cürükkaya.

Gegenüber ihren deutschen Kritikern ist die PKK inzwischen, nachdem die PDS-Abgeordneten Ulla Jelpke und Carsten Hübner die erste Reaktion des PKK-Präsidalrats als inakzeptabel zurückgewiesen haben, auf eine versöhnlichere Linie eingeschwenkt. Die PKK-Europavertretung hat gar alle in den Nordirak eingeladen, »die den 'Wahrheitsgehalt' der gegen unsere Partei geführten Kampagne überprüfen möchten«. Der frühere Europasprecher Kani Yilmaz bekräftigte in einem an die »liebe Ulla« und »die anderen Freunde« adressierten Brief diese Einladung samt Sicherheitsgarantien. Zudem verkündete er: »Die Todesstrafe ist in der PKK verboten worden.« Jelpke und Hübner wollen die Einladung annehmen.

Eine ganz andere Frage ist es, ob in der Solibewegung nun eine Diskussion beginnt, die den von nationalistischer Kriegslogik bestimmten Diskurs über Loyalität und Verrat durchbricht und den Wandel von Befreiungsbewegungen zu ethno-lobbyistischen Anhängseln der herrschenden staatlichen Machtverhältnisse reflektiert. Bislang haben die neuen PKK-Kritiker aus der Soli-Szene eine Kritik an den der PKK-Politik zu Grunde liegenden völkisch-nationalistischen Mustern ausgeblendet.