Abtauchen für die Nation

Rechtsterrorismus ist keine Neuigkeit: Seit 30 Jahren organisieren sich militante Neonazis, die bis heute aktiv sind.

Die Gefahr wird unterschätzt.« Mit diesem Statement räumte Deutschlands oberster Verfassungsschützer Heinz Fromm vergangene Woche ein, dass der Rechtsterrorismus zu einem ernsthaften Problem werden könnte. Um dann schnell zwei Gänge zurückzuschalten: Eine »Strategie für einen bewaffneten Kampf« sei nicht zu erkennen; wie gefährlich die Situation tatsächlich sei, »ist schwer einzuschätzen«.

Natürlich ist rechter Terror Alltag in Deutschland. Obdachlose, AusländerInnen, Punks werden Opfer von Straßengewalt, weil sie im Feindbild von Rechtsextremen als »lebensunwert« oder als »politische Gegner« im Sinne der »Anti-Antifa»-Ideologie ausgemacht werden. Auch dieser Aggression geht oft eine gezielte Planung voraus: Brandanschläge auf Flüchtlingsheime werden in der Regel vorbereitet. Und genauso gehört rechter Terror durch willkürliche Attentate auf die Bevölkerung schon seit fast drei Jahrzehnten zum Repertoire einer neonazistischen Strategie der Spannung.

Einige Köpfe dieses Terrors der späten siebziger Jahre sind noch heute aktiv. So war der jetzt 50jährige Ekkehard Weil bereits vor 30 Jahren Mitglied der Westberliner Nationalen Deutschen Befreiungsbewegung, die über ein umfangreiches Waffenarsenal verfügte, enge Kontakte zur NPD pflegte und Anschläge auf Politiker - damals vor allem auf Sozialdemokraten - plante.

1970 versuchte Weil, einen Wachsoldaten vor einem antifaschistischen Mahnmal in Westberlin zu ermorden. Der Mann wurde lebensgefährlich verletzt. Nachdem Weil seine Haftstrafe verbüßt hatte, ging er Ende der siebziger Jahre nach Österreich. Dort setzte er seine Aktivitäten fast nahtlos fort. Das illegale österreichische Nazi-Kampfblatt Österreichischer Beobachter hatte 1980 eine Liste mit 120 potenziellen »Anti-Antifa-Zielen« veröffentlicht: Namen und Adressen von österreichischen Juden und Jüdinnen, jüdischen Einrichtungen sowie AntifaschistInnen. In der Folgezeit detonierten neun Sprengkörper bei Personen, die auf der Liste genannt waren. Eine der Bomben soll Weil vor der Wohnung von Simon Wiesenthal platziert haben.

Schließlich wurde er, mit gefälschten Papieren und einer Pistole im Gepäck, verhaftet. In Wien machte man ihm und einigen Kadern der österreichischen Aktion Neue Rechte in den Jahren 1983 und 1984 den Prozess. Weil hatte Glück: Er kam mit einer Haftstrafe von fünf Jahren davon. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten, wie so oft, schlampig ermittelt.

Anfang der Neunziger kehrte der Kader nach Berlin zurück. Jugendliche Rechtsextreme aus der ehemaligen DDR hatten in der Ost-Berliner Weitlingstraße ein Haus besetzt. Dort fand sich fast die gesamte Führungsriege der bundesdeutschen Neonaziszene ein. Weil, der damals in Berlin-Adlershof unter dem Pseudonym Hans Weber lebte, soll nach Angaben des Neonazi-Aussteigers Ingo Hasselbach mehrere Wehrsportübungen für die Nationale Alternative organisiert haben, die aus der Weitlingstraße operierte. Mit dabei war auch Peter Binder, einer der späteren Hauptangeklagten in einem so genannten österreichischen Briefbombenprozess.

Später zog Weil weiter nach Bochum. Unter dem Namen Karl Schubert tauchte er dort beim Freundeskreis Freiheit für Deutschland (FFD) auf, einer Vorfeldorganisation der militanten »Unabhängigen Freundeskreise«. Der FFD wurde 1993 vom nordrhein-westfälischen Innenministerium verboten, 1994 erhielt Weil eine Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung.

Erneut in die Schlagzeilen geriet er 1998. Bei der Durchsuchung seiner Berliner Wohnung war Bombenmaterial gefunden worden. Weil tauchte noch im selben Jahr unter. Seine Aktivitäten scheint er jedoch fortzusetzen. Wahrscheinlich beteiligte sich der Neonazi an den Sprengstoffanschlägen auf das Grab von Heinz Galinski im Dezember 1998 in Berlin und die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« in Saarbrücken im März 1999.

Auf eine ähnlich fulminante Karriere kann der Wiesbadener Diplom-Chemiker Peter Naumann zurückblicken. Er begann seinen Aufstieg 1970 bei der Jugendorganisation der NPD, den Jungen Nationaldemokraten (JN), entwickelte sich aber schnell zum Sprengmeister der Szene. 1978 verübte er einen Anschlag auf ein antifaschistisches Denkmal bei Rom.

Im gleichen Jahr sprengte er zwei Sendemasten, um die Ausstrahlung der Fernsehserie »Holocaust« zu verhindern. 1981 fanden Ermittler einen Fingerabdruck Naumanns in einem Waffendepot, das in der Lüneburger Heide ausgehoben worden war. Rund 150 Kilo Sprengstoff, 50 Panzerfäuste und 13 000 Schuss Munition waren damals gefunden worden. Ein Jahr später gründete er den Völkischen Bund, eine Rekrutierungsorganisation für den militanten Untergrund. Zuvor wollte er Rudolf Hess aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis befreien, ließ das Vorhaben aber schnell fallen.

1985 brachte es Naumann zum stellvertretenden NPD-Vorsitzenden in Wiesbaden. Nach zwei Jahren in diesem Amt wurde er verhaftet und 1988 wegen sechs Sprengstoffanschlägen in Deutschland, Frankreich und Italien zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Kaum freigelassen, setzte er seine Basteleien fort. In seiner Wohnung fand man 1995 zwei Rohrbomben. Dann trat Naumann scheinbar die Flucht nach vorn an. Er übergab 1996 dem Bundeskriminalamt vor laufenden Kameras dreizehn Waffendepots. Gleichzeitig warf er den Geheimdiensten vor, die rechte Szene »zu einem Kampf provozieren« zu wollen, »der von Anfang an darauf angelegt ist, daß wir ihn verlieren.«

Naumanns Erklärung wurde in der Szene keineswegs als Abkehr vom Terrorismus, sondern als taktisches Signal zum Stillhalten, Waffensammeln und zum Aufbau legaler Organisationen begriffen. Naumann, der sich fortan NPD-Aktivitäten widmete, genießt bei den Freien Kameradschaften noch immer einen Kultstatus.

Doch es sind nicht nur Einzelpersonen wie Weil und Naumann, die für die ungebrochene Strategie des rechten Terrors stehen. In den frühen Neunzigern waren die inzwischen verbotene Nationalistische Front (NF) und ihr Nationales Einsatzkommando aktiv. Heute wächst die Zahl deutscher Anhänger von Combat 18 und Blood & Honour, die eine Strategie des nur scheinbar »führerlosen Widerstands« relativ autonomer Zellen propagieren. Broschüren zum planmäßigen Einsatz von Terror, zum Bau von Bomben und zum Aufbau klandestiner Netzwerke kursieren massenweise in der rechten Szene.

Am Aufbau des braunen Untergrunds arbeiten vor allem Aktivisten von Blood & Honour Deutschland. Mitte Juni wurden in Berlin und Brandenburg die Nationalrevolutionären Zellen ausgehoben, die Anschläge gegen politische Gegner aus der linken Szene geplant hatten. Zwei Aktivisten dieser Organisation, einer davon ist der inzwischen enttarnte V-Mann Carsten Szczepanski, haben Blood & Honour-Konzerte in Brandenburg organisiert und pflegen gute Kontakte zur englischen Terrorgruppe Combat 18 sowie zu schwedischen Gesinnungsgenossen von der Nationalsozialistischen Front.

Im November 1999 trafen sich deutsche, schwedische, englische und norwegische Neonazis aus den Netzwerken von Blood & Honour und Combat 18 in einer Kleinstadt bei Oslo, um sich über Aktionen gegen politische Gegner auszutauschen. Einen Monat später warnte das Landeskriminalamt Niedersachsen den Göttinger DGB-Kreisvorsitzenden und mehrere Wohngemeinschaften vor rechten Briefbomben.

Auch die Sammlung von Daten politischer Gegner wird intensiviert. Anti-Antifa-Listen sind hier nur die bescheidenen sichtbaren Anzeichen. Der gemeinsame Rahmen, in dem militante Rechte agieren, ist der Weiße Arische Widerstand. Dessen Akteure bezeichnen sich als »Wehrwölfe« im Sinne der Strategie, die Joseph Goebbels angesichts der nahenden Niederlage des Deutschen Reichs propagiert hatte: Man will im vom »Feind« besetzten Hinterland mit Terroraktionen für Unruhe sorgen.