Siemens-AKW für Brasilien

Ein Ei ins Grüne gelegt

25 Jahre Bauzeit, zehn Milliarden Dollar Kosten: In Brasilien ist das erste deutsche AKW ans Netz gegangen. Die Siemens-KWU freut sich schon auf das zweite.

Es ist ein dickes Ei, das die Siemens-Kraftwerksunion (KWU) losgeworden ist - rund 150 Kilometer südlich von Rio de Janeiro. Nach 25 Jahren Bauzeit ist dort im Juni das erste deutsche AKW ans Netz gegangen - just in dem Augenblick, in dem die Bundesregierung ihren Atomausstieg im eigenen Land bejubelt. In der malerischen Küstenlandschaft der brasilianischen Costa Verde hat das Kraftwerk Angra II seinen Betrieb aufgenommen - 17 Jahre später als geplant.

Technische Probleme, widrige politische Umstände und Zahlungsschwierigkeiten haben zu der Rekordverzögerung des Gemeinschaftsprojektes geführt. Und damit auch zu einem Rekordpreis: Gut zehn Milliarden US-Dollar hat Angra II verschlungen und ist damit das teuerste AKW der Welt. Zum Vergleich: Der baugleiche Typ Grafenrheinfeld in der Nähe von Schweinfurt kostete fünf Milliarden Mark - bei einer Bauzeit von sieben Jahren.

Im Juni 1975 hatten Deutschland - Kanzler war damals Helmut Schmidt (SPD) - und die brasilianische Militärjunta unter General Ernesto Geisel ein Nuklearabkommen unterzeichnet. Die brasilianischen Militärs wollten ihr Land ins Atomzeitalter katapultieren, mit deutschem Know-how. Das sorgte seinerzeit für reichlich Trubel: Die USA befürchteten, dass Brasilien mit dem AKW auch an Wissen über die Herstellung von Nuklearwaffen kommen könnte. Hinter dieser offiziellen Haltung verbargen sich wirtschaftliche Interessen: Die USA wollten selbst ins lukrative Atom-Geschäft mit Brasilien einsteigen. Gleichzeitig kündigte Brasilien den Militärvertrag mit den USA. Tatsächlich stellte sich später heraus, dass die brasilianischen Militärs ein geheimes Parallelprogramm führten, um in den Besitz der A-Bombe zu kommen.

Das deutsch-brasilianische Nuklearabkommen sah vor, bis 1990 gemeinsam acht AKW in Brasilien zu errichten. Die USA sollten lediglich einen Reaktor bauen. Der Vertrag mit den Deutschen zum Bau der Kraftwerke Angra II und III wurde noch 1975 mit staatlicher deutscher Hermes-Kreditabsicherung unter Dach und Fach gebracht. Ein Jahr später begannen die Arbeiten für Angra II - und damit auch die Probleme.

Das Gebiet um die Costa Verde gilt als erdbebengefährdet, neue Berechnungen machten ein weitaus stärkeres Fundament nötig als geplant. Zudem erwies sich »Jet Nozzle«, ein spezielles Anreicherungsverfahren, als zu teuer und ineffizient. »Die Deutschen haben uns eine Technologie verkauft, die sie selber nicht benutzen, und wir bezahlen mit Geld, das wir nicht haben«, beschwerte sich der damalige brasilianische Finanzminister Delfim Netto. In Deutschland wiegelte man ab: Ein anderes Anreicherungsverfahren dürfe man nicht liefern, damit die Brasilianer kein atomwaffenfähiges Uran herstellen können.

Ende der siebziger Jahre war von Angra II außer einer Baugrube noch nicht viel zu sehen. Unterdessen war nebenan die US-Firma Westinghouse dabei, Angra I - einen 657-Megawatt-Siedewasserreaktor - fertig zu stellen. Er ging 1984 ans Netz, und schon bald gaben ihm die Brasilianer den Spitznamen »Glühwürmchen«, weil er dauernd ausfällt und dann vom Netz muss. In diesen Wochen befindet sich Angra I wieder einmal in einer dreimonatigenWartungspause.

Als Mitte der achtziger Jahren die Militärs in Brasilien die Macht an eine Zivilregierung übergaben, schwand auch das Interesse an Atomenergie und Nuklearabkommen. Die brasilianische Regierung hatte wegen Hyperinflation und Rezession andere Sorgen. Sie drehte den Geldhahn kurzerhand zu, der Bau von Angra II wurde gestoppt.

Die KWU machte sich daran, Lagerhallen neben der ewigen Baustelle zu errichten: Die bereits aus Deutschland gelieferten Reaktorkomponenten mussten vor der tropischen Hitze und Feuchtigkeit geschützt werden. Verpackt lagerten sie dort ein ganzes Jahrzehnt. Erst als Fernando Henrique Cardoso 1994 zum Präsidenten gewählt wurde, änderte sich die Lage: Um das angeknackste Image bei den europäischen Wirtschaftsfreunden wieder zu verbessern, erklärte er Angra II zur Chefsache und gab grünes Licht für die Fertigstellung. »Brasilien braucht Strom«, rechtfertigte der neoliberale Präsident die Entscheidung.

Ganz egal, wieviel Strom Angra II produzieren wird - das Projekt ist ein Reinfall. Zum einen wirtschaftlich: Amortisieren wird sich das AKW nicht, dafür reicht die geplante Laufzeit von 40 Jahren nicht aus. Zum anderen sicherheitstechnisch: Der Evakuierungsplan für einen möglichen Gau ist mangelhaft. Die einzige Ausfahrtsstraße aus der Küstenkordillere befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Was mit den verbrauchten Brennelementen geschieht, weiß noch niemand: In Brasilien gibt es kein Endlager. Erst einmal wird der Atommüll auf dem Angra-II-Gelände zwischengelagert. Bis 2004, dann gibt es keinen Platz mehr.

Hinzu kommt das Alter der Anlage. Vorwürfe, Angra II sei schon jetzt veraltet, weist die KWU zurück. Die lange Lagerungszeit habe den Reaktorkomponenten nicht geschadet, sagt Sprecher Wolfgang Breyer. »Und in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich da technisch auch nicht viel geändert. Die Computer-Hardware ist sogar auf neuerem Stand als in einigen deutschen Atomkraftwerken.« Sie sei erst Mitte der neunziger Jahre geliefert worden.

Ganz so einfach, wie man es bei der KWU gerne darstellt, ist es mit der Technik allerdings nicht. Das zumindest wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt: Spätestens in zwanzig, vielleicht auch schon in zehn Jahren werden Probleme bei der Ersatzteilbeschaffung auftauchen. Die Anlage könnte dann längst nicht so gründlich gewartet werden, wie es dem Alter entsprechend nötig wäre.

Einen Erfolg hat mit Angra II unterm Strich wohl nur die KWU gelandet. Ihre Rechnungen haben die Brasilianer stets bezahlt. Im Gegenzug musste sich Brasilien in harter US-Währung verschulden: Das Projekt wurde aus der Staatskasse bezahlt, zehn Prozent der öffentlichen Auslandsschulden Brasiliens macht das heute aus.

Derweil Sorgenkind Angra II ans Netz geht, kämpft man bei der KWU noch um eine Hermes-Bürgschaft von drei Milliarden Mark - zur Restfinanzierung von Angra III. Die Bundesregierung hat Bürgschaften für dieses Projekt definitiv abgelehnt, heißt es aus dem Auswärtigen Amt und von der Bundestagsfraktion der Grünen. Die Bundesministerien Wirtschaft und Finanzen, im Interministeriellen Ausschuss ebenfalls an der Hermesvergabe beteiligt, wollen dies jedoch nicht bestätigen.

Die KWU ist generell auf das Auslandsgeschäft mit der Atomkraft angewiesen, da in Deutschland keine neuen AKW mehr gebaut werden. Schon jetzt, so Breyer, mache das Auslandsgeschäft mehr als 50 Prozent ihres nuklearen Bereichs aus. Dafür hat sich die Siemens-KWU eine gute Position geschaffen: 1999 legte sie ihr Geschäft mit dem französischen AKW-Bauer Framatome zusammen und wurde damit zum Weltmarktführer. Sie kann trotz des so genanntem Atomausstiegs gelassen in die Zukunft schauen. Gelassen gibt sich die KWU auch in Sachen Angra III. Der Vertrag, der 1975 geschlossen wurde, beinhalte auch das zweite deutsche AKW, sagte Breyer. »Es ist somit nur eine Frage der Zeit, bis Angra III grünes Licht hat.«