Alternative Brief-Freundschaften

Dinieren ohne Geld

Neulich beim Italiener: Eine Frau sitzt uns gegenüber. Sie trägt eine Beinschiene. Sie bestellt eine Pizza, einen Weißwein und lässt sich noch eine Schachtel Zigaretten bringen. Sie raucht Kette.

Die Pizza schlingt sie angewidert runter, manche Stücke lässt sie aus dem Mund zurück auf den Teller fallen. Ihre Hand zittert. Sie ist fertig. Mit allem.

Nach dem Essen rührt sie den Wein nicht mehr an. Irgendetwas ist schief gelaufen in ihrem Leben, an diesem Tag. Und irgend jemand ist schuld daran. Als die Kellnerin abkassieren will, sagt die Frau: »Ich habe kein Geld.«

Sie schaut die Kellnerin nicht einmal an, als sie das sagt, schaut nur auf ihre Zigarette. Und nimmt einen Zug. »Haben Sie Ihr Geld vergessen?« fragt die Kellnerin. Und kriegt keine Antwort.

Die Kellnerin wird laut: »Sie können doch nicht kommen, ohne zu bezahlen.« Das interessiert die Frau nicht. Ihre Zigarette ist aus. Um sich eine neue Zigarette anzuzünden, muss sie erst in ihre Tasche greifen. »Und sie haben mich losgeschickt, eine Schachtel Zigaretten zu kaufen«, empört sich die Kellnerin. Dann holt sie die wahre Autorität des Restaurants: den Koch.

Er ist ein großer, kräftiger Mensch. Während die Kellnerin ihm die Situation erklärt, wischt er sich seine fettigen Hände an der Schürze ab. Dann setzt er sich zu der Frau an den Tisch. »Was wollen Sie hier?« fragt er. Sie antwortet nicht, raucht. »Warum kommen Sie hierher?« setzt der Koch nach. »Ich hatte Hunger«, sagt die Frau. Der Koch macht einen Vorschlag: »Sie hinterlassen Ihren Pass, gehen nach Hause und holen Geld. Der Pass gilt als Pfand.« »Der Pass ist kein Pfand«, sagt die Frau. »Dann eben nicht«, sagt der Koch. Er geht zum Telefon und ruft die Polizei.

Die Frau unternimmt keinen Fluchtversuch. Sie raucht eine nach der anderen. Ohne die Schachtel auf den Tisch zu legen. Sie ist nervös. Ihr Gesicht ist rot. Sie bohrt in der Nase. Ein Polizeiwagen fährt am Fenster vorbei. Sie schaut raus und lehnt sich zurück. Jetzt kommen sie. Die Frau wirkt erleichtert. Ein Polizist hat einen Schnauzbart, der andere nicht.

»Sie können nicht bezahlen?« fragt der Polizist. Die Frau nickt. »Als sie hierher kamen und bestellt haben, wussten Sie, dass Sie kein Geld dabei haben?« fragt der Polizist. »Ja«, sagt die Frau. Sie muss es wiederholen, weil es so leise war. »Und trotzdem haben Sie bestellt und gegessen«, schließt der Polizist messerscharf.

»Das nennt man Zechprellerei«, weiß der andere und fordert ihren Personalausweis. Sie gibt dem Mann bereitwillig ihren Ausweis und drückt ihre Zigarette aus. Der Polizist geht nach draußen und überprüft per Funk ihre Daten. Die Zigarettenschachtel ist schon leer.