Skandal um Tom Kummer

Miss Stone in der Bärenkralle

Tom Kummer hat die Authentizitäts-Falle aufgestellt. Jetzt ist sie zugeschnappt.

Ein Mann soll Realität und Fiktion verwechselt haben, Reportage und Roman, Innen und Außen, Süddeutsche und Hollywood. Starreporter Tom Kummer hat sich nicht in den Kopf irgendeines Diktators begeben, dessen geheimste Wünsche kopiert, unter dessen Namen einen Plan veröffentlicht, Krieg gemacht, sich in dem Moment, als sein Being-Slobodan-Milosevic aufflog, hingestellt und gesagt, war nur ein Film, aber der Plot war korrekt. Sondern ist vorgedrungen ins Zentrum kollektiven Begehrens, hat sich Zutritt zur Suite 703 in einem Hotel in Los Angeles verschafft, die Phantasien Sharon Stones gescannt und diese an die Presse gegeben. Betrüger, Arschloch, Psychopath!

Miss Stone lehnte sich zurück. Dann spreizte sie ihre Beine, beugte sich nach vorn und stützte ihre Hände auf die Knie. Sie zog das Mikrophon näher an sich heran und sagte zu ihren Erfahrungen mit DeNiro: 'Zuerst war alles wie eine Halluzination' (...)«. Als der Scan beendet war, verschwand Sharon Stone im Schlafzimmer. Leise schloß sich die Spiegeltür hinter ihr. (Kummer, »Good Morning, Los Angeles«) Der Riesenskandal hat eine banale Dimension; hier wurde aufgedeckt, dass das literarisch veredelte Versprechen des Upper-Boulevards - Miss Stone geht ins Bett und unser Autor war dabei - nicht eingelöst werden konnte.

Hätte Kummer seine Starschnitte einige Etagen tiefer platziert, in Bild oder Bunte, der Schrecken wäre keiner, und niemand redete gleich von einem Anschlag auf das »Ethos des Journalismus« (Christian Kämmerling, SZ-Magazin), sondern allenfalls von Schmuddelpraktiken, juristischen Folgen und davon, dass man in Zukunft besser aufpassen werde. Der Treppenwitz ist natürlich, dass Fakten-Focus die Manipulation aufgedeckt hat, wo offensichtlich ist, dass in jedem Kummer-Star-Phantasma mehr Lebendigkeit drinsteckt als in hundert Focus-generierten Interviews zusammen.

Die Stone-Begegnung z.B. ist die mehrfach ineinandergespiegelte Phantasie, die auf die Sex-Neurotikerin in »Basic Instinct« reagiert. Mit seiner fragilen Künstlichkeit in der Nähe zur Parodie, ist dies ein tolles Feature, das einem erspart, todlangweilige Statements von Star und Agent lesen zu müssen, in denen es doch bestenfalls mal wieder um die Herausforderung der nächsten Rolle ginge und schlimmstenfalls um eine Schublade, in die jemand sich völlig zu Unrecht hineingestopft glaubt.

Kummer hat eben genau nicht das Leben mit einem Roman verwechselt, wie ein pathologisierendes Erklärungsmuster nahelegen will, sondern er handelt von und mit Fiktionen als Platzhalter des Wirklichen.

Bei der im Buch »Good Morning, Los Angeles. Die tägliche Jagd nach der Wirklichkeit« abgedruckten, stark überdrehten Version des Interviews ist der Text klar als das Phantasma des Autors zu identifizieren. In der vergleichsweise konventionelleren, im SZ-Magazin veröffentlichten Fassung dagegen war das nicht ohne Weiteres möglich.

Der Stand der Dinge: Die Intrige des Focus-Journalisten, der die Kummer-Fakes hat auffliegen lassen, hat ihr Ziel erreicht: Seit vergangener Woche tanzt Ulf Poschardt den Arbeitslosenblues. Er hatte das Prinzip des »Borderline-Journalismus« bis zum Schluss propagiert, Christian Kämmerling dagegen hatte sich noch eilig distanziert und neue »Sicherheitsstandards« eingefordert. Letzten Dienstag wurde bekannt, dass beide Chefs von der Spielwiese des Süddeutschen Verlags vertrieben wurden. Kummer erhielt bereits vor einem Jahr Schreibverbot, nachdem erste Gerüchte über den Montage-Charakter seiner Interviews kursierten. Er geht aber davon aus, dass seine Auftraggeber von Anfang an von seinen Methoden wussten.

Ich bin schon immer der Meinung gewesen, wenn man die Wirklichkeit den Medienmachern überläßt, dann ist das so, als würde man sein Haustier in den Ferien zum Tierpräparator geben. Und weil das eine Tatsache der Medienwirklichkeit geworden war, wollte ich mich wenigstens spirituell von der Bärenkralle segnen lassen. (»Good Morning, Los Angeles«)

Kummer hat die Authentizitätsfalle aufgestellt, und sie ist zugeschnappt Während die Angelegenheit hinter den Kulissen juristisch ausgerangelt wird, eine mögliche Klagewelle wegen Rufschädigung und Schadensersatz auf die Borderliner zurollt, hat sich der eigentlich bescheiden dimensionierte Skandal zu einer schwer philosophischen Debatte ausgeweitet. Zusammengeschnitten mit den ebenso erregten Diskussionen um »Big Brother»-Videoblicke und geklontem Leben in ferner GenTech-Zukunft, ist das große Diskurs-Durcheinander perfekt, und Kummers Jagd nach dem verlorenen Schatz Wirklichkeit muss ersatzweise in der Debatte fortgesetzt werden. Dabei entpuppen sich gerade Argumentationen, die das Authentische unter Generalverdacht stellen, als gewiefte Dekonstruktionsmechanik, die das Authentische nur zu dem Zweck auseinanderbaut, um es auf dem nächsthöheren Level wieder zusammenzufügen.

Über Konzept-Kunst, geklonte Realitäten, Gonzo-Comeback und angewandte Dekonstruktion reden, heißt allerdings, die Kummer-Fakes auf schwindelerregend hohem Niveau verhandeln; zieht man sie wieder runter vom ästhetisch-philosophischen Plateau, geht es sehr viel trivaler um Karrieren, Konkurrenzen, Dumping-Preise, Marktsegmente, Börsenstände, Boom und Bang, um den Star als Großunternehmer und Aktiengesellschaft und den Reporter als Kleinunternehmer und Glücksritter. Was kostet der Star, wer kriegt ihn, und was bekommt man dafür? Bisschen Pressetext oder was richtig Exklusives?

Kummer-Features waren stets hochexklusiv, sie handelten von der fast mystischen Begegnung zwischen introvertiert-sensiblem Star und rüde-charismatischem Star-Reporter mit Bogart-Kerouac-Hunter-Thompson-Appeal und von dem Moment, in dem sich dieser jenem offenbart. »Derjenige siegt, der weniger liebt.« Das war die absolute Wahrheit, die man gewöhnlich von einer Frau in Hollywood erst dann hört, wenn sie eine Flasche Absolut-Wodka in sich hineinschüttet. (über Jane March, »Good Morning, Los Angeles«)

Ein vielleicht wirklich schlagendes Argument bringt Kummers Anwalt zu dessen Verteidigung gegen den Süddeutschen Verlag in Anschlag, wenn er auf die Höhe der gezahlten Honorare verweist; die Summen hätten die für Hollywood-Interviews üblichen Preise deutlich unterschritten, der Verlag habe also wissen müssen, dass dafür die Star-Elite überhaupt nicht zu bekommen war. Und man hätte sich natürlich auch darüber wundern können, dass Kummer, kaum, dass er in die USA gegangen war, einen Star nach dem anderen abräumte.

Scheinheiligkeit muss natürlich im Spiel sein, wenn sich die Auftraggeber im Zuge des Großskandals ahnungslos geben und einen Fall Tom Kummer mit fast schon tragischem privatem Hintergrund konstruieren; das Credo der aus dem Tempo-Umfeld kommenden Borderliner, die sich an 68er-Inhaltismus und bürgerlichem Redaktionsbeamtentum vorbeischrieben, um Text in Design zu überführen, kann ja denen, die die auf Autopilot geschaltete Phantasie heute Betrug nennen, auch nicht erst seit vorgestern bekannt sein.

Gestört hat sich an diesem Medienwunder natürlich nur die Konkurrenz, die nicht glauben konnte, was die Auftraggeber nur zu gerne geglaubt hätten: dass die Hollywood-Hipster Brad Pitt, Kim Basinger und Sharon Stone ganz wild darauf waren, ins SZ-Magazin zu kommen.

Der Run von Tempo-Generation und Joachim-Lottmann-Schule auf die Beletage der Publizistik ist fürs Erste abgebremst; und vielleicht entpuppt sich der Straßenboulevard und die von Wagner angetriebene Krawall-Maschine B.Z. doch als die vorerst bessere Adresse für experimentellen Gonzo-Journalismus.

Tom Kummer: Good Morning, Los Angeles. Die tägliche Jagd nach der Wirklichkeit. dtv, München 1997, 272 S., DM 28