Die Medien und der Kosovo-Krieg

Wandertag auf dem Amselfeld

Krieg ist auch Schule: Die Medien ziehen viele nützliche Lehren aus dem Kosovo-Einsatz der Nato. Beispiele nachhaltiger Kriegsberichterstattung.

Ungefähr 56 Wochen sind seit Beginn des Nato-Bombardements vergangen. Die letzten vier davon waren, beginnend mit dem Jahrestag der Angriffe am 24. März, dem Rückblick auf den Krieg gewidmet. In diesen Rückblicken - Motto: Lehren aus dem Kosovo-Krieg - geht es mal besinnlich, mal analytisch, mal zukunftsorientiert und auch mal selbstkritisch zu. Oder kitschig: Die Süddeutsche Zeitung (SZ) brachte eine große Reportage über deutsche Tornado-Piloten, die ziemlich enttäuscht darüber sind, dass ihnen niemand so richtig für ihren Einsatz gedankt habe. Sie sind frustriert, obwohl bei ihrer Rückkehr Rudolf Scharping und der Luftwaffeninspekteur einen Empfang mit Buffet in der Berliner Julius-Leber-Kaserne abhielten, »aber ohne Presse«.

In den USA hat das Pentagon über längere Zeit eine ganzseitige Anzeige in einem Flieger-Fachblatt geschaltet. »Gut gemacht, Jungs!« stand dort in Riesen-Buchstaben, so etwas müsste doch in Deutschland auch möglich sein. Überhaupt, so lautet eine wichtige Lehre aus dem Kosovo-Krieg, muss dem Militär mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Frankfurter Rundschau hat beobachtet, dass die Bundesregierung während der Kosovo-Kampagne »Anschauungsunterricht über die eigenen Defizite auf dem Gebiet der Krisenreaktion« erhalten habe. Es sei eine Blamage für die Bundeswehr, dass die Tornado-Piloten in »geliehenen Uniformen in die Cockpits mussten«, weil das eigene Material nicht in den Nato-Tarnfarben, sondern in Grau gehalten ist.

Nicht nur das: »Die Defizite, sie waren mit Händen zu greifen. Satellitenaufklärung - ungenügend. Kommunikationstechnik - mangelhaft.« Dem Verteidigungsminister sei jetzt immerhin klar, »dass der investive Anteil am Verteidigungsetat erhöht werden muss, um die gröbsten Technologielücken zu stopfen.«

Die FAZ sieht das ähnlich: Vor der »nächsten Intervention« müsse neben anderen Dingen auch für »eine massive Vergrößerung der militärischen Fähigkeiten der europäischen Mitglieder von Nato und EU« gesorgt werden, »die auf dem Amselfeld als Ritter ohne Rüstung dastanden«.

Im gleichen Atemzug erledigte man in der FAZ noch eben eine andere Illusion: »Unerfüllt blieben die Hoffnungen der kritischen Friedensforschung und der Denkschule des Institutionalismus, in einer vom System-Antagonismus befreiten Welt ließen sich Konflikte allein durch zivile 'Prävention' und staatliche Integration vermeiden (...).« Miesere Motive kann eine - anderweitig absolut berechtigte - Kritik am Präventions-Idealismus gar nicht haben: Jahrelang hat die FAZ-Redaktion in ihren Kommentaren keinen Zweifel daran gelassen, dass eine antiserbisch orientierte, auch militärische Eskalierung des Kosovo-Konfliktes im deutschen Interesse sei.

Während über die Notwendigkeit forcierter Aufrüstung weitgehend Einigkeit herrscht, zeigt man sich hinsichtlich der Zukunft des Kosovo eher ratlos. Allein die FAZ ist (bisher) davon überzeugt, eine Separation sei die einzig richtige Lösung. Anknüpfend an eine Vielzahl gleichlautender Kommentare schrieb dort der Bonner Politikwissenschaftler Carsten Giersch Ende März in einer umfangreichen Analyse: »Die Auffassung, dass eine Minderheit, die der fortgesetzten Unterdrückung ihrer inneren Sebstbestimmungsrechte ausgesetzt ist, schließlich das Recht auf äußere Selbstbestimmung erwerben kann, hat sich bislang nicht durchzusetzen vermocht.« Was nicht ist, kann noch werden. Die aktuelle Lösung, die Errichtung eines konfliktgeschüttelten internationalen Protektorates, jedenfalls könnte sich als Teil einer Eskalationsdramaturgie entpuppen, die in Bonn und Berlin entworfen wurde. Während die USA lange Zeit lediglich die Durchführung von luftgestützten militärischen Strafaktionen gegen Milosevic beabsichtigten, verfolgte die Kohl-Regierung wie dann auch die rot-grüne Koalition mit allem Nachdruck eine Strategie, die auf eine bewaffnete Besetzung des Kosovo hinauslief. Detailliert nachzulesen ist das übrigens in Matthias Küntzels Studie »Der Weg in den Krieg« (Berlin 2000).

Besondere Aufmerksamkeit widmen die Rückblicke auf den Kosovo-Krieg natürlich der Abteilung Agitation und Propaganda, allein schon deshalb, weil nur noch selten bestritten wird, dass - nicht nur der deutsche - Journalismus bestens in diese Abteilung integriert war. Das zeigt sich auch im Nachhinein. Als jüngst die Vermutung zur Gewissheit wurde, dass Milosevics »Hufeisenplan« zur endgültigen Vertreibung der Kosovo-Albaner, der von Rudolf Scharping bis heute als Kriegsgrund behandelt wird, gar nicht existiert, gab es neben Gelächter auch erstaunliche Reaktionen. Richtig sauer war SZ-Kommentator Stefan Kornelius: »Weil nun ein paar Konspirationstheoretiker Zweifel an der Echtheit des Plans hegen, zweifeln sie auch an der Legitimation des Einsatzes. Um es kurz zu machen: Es ist für die Entscheidung der Nato irrelevant, ob der Plan existiert oder nicht. Keine andere Nation lässt Zweifel an der moralischen Berechtigung des Einsatzes gegen Milosevic aufkommen.« Man kennt ja den deutschen Hang zum Nörgeln.

Der gleichen Meinung war die taz. Unter der schönen Überschrift »Unnötige Propaganda« stellt Kommentator Rüdiger Rossig fest: »Um den verbrecherischen Charakter des Milosevic-Regimes zu belegen, braucht es keinen 'Hufeisenplan'.« Scharping solle sich künftig an Fakten halten, »im Falle Exjugoslawien reichen die völlig aus« - um einen kleinen Krieg zu führen. Man muss nur wollen.

Weniger handfest, aber dafür tiefsinniger, werden die Rückblicke, wo das Thema feuilletonisiert ist. In der Zeit konstatiert Jens Jessen mit Verweis auf den gefaketen Hufeisenplan und auf die Rambouillet-Verhandlungen, in denen Jugoslawien den Nato-Truppen Bewegungsfreiheit im gesamten Staatsgebiet einräumen sollte, zu den »geistigen Kollateralschäden« des Krieges habe offensichtlich auch die »Urteilskraft der Öffentlichkeit« gehört. Der seinerzeit nahe liegende Gedanke, »auf Demagogie beider Seiten zu schließen, ging in dem allgemeinen Getöse unter«. Im Rückblick auf die »Fehlschläge, Irreführungen und diplomatischen Versäumnisse« spreche nun manches dafür, »dass der Westen weniger durch den Notstand auf dem Balkan alarmiert war als vielmehr durch den Notstand in seiner eigenen Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit, über jede Gräueltat aus dem Fernsehen informiert, wollte nicht weiter tatenlos zuschauen. Um ihr Erleichterung zu schaffen, aus innenpolitischer Sorge um den Gemütszustand der alliierten Völker wurde eingegriffen, nicht aus Sorge um die Albaner.« Die Militärs als Exekutive der Psychotherapie: Diese Interpretation mag kritisch gemeint sein, aber so verwegen ist ein Kriegsanlass selten erklärt worden.

Diese Verwegenheit hat allerdings Methode. Wie nach dem Golf-Krieg gingen die Vertreter der Presse auch jetzt wieder mit sich selbst ins Gericht und gelobten, man werde sich künftig weniger von Politikern und Militärs missbrauchen lassen. Während einer prominent besetzten Diskussionsveranstaltung in Hamburg unter Beteiligung von Spiegel, ARD und dpa stellte man selbstkritisch fest, vor allem die These vom »Völkermord« im Kosovo vorschnell und wahrheitswidrig verbreitet zu haben. Das ist ein Witz. Die Medien haben diese These nicht nur verbreitet, sie haben sie mit Scharping und Joseph Fischer erfunden. Als diese Diskussionsveranstaltung stattfand, Ende März, hatte der nächste erfundene Völkermord, der in Tschetschenien, seine Karriere bereits fast hinter sich. Der Nächste bitte.