Entschädigung und Zukunftsfonds

Investitionen in die Zukunft

Politischer Fortschritt oder historischer Schluss-Strich? Die Verhandlungen um Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter sind vorerst abgeschlossen.

Kurt Goldsteins Urteil ist eindeutig: »Der deutschen Obrigkeit - Graf, Gentz, Schröder und wie sie alle heißen - geht es nicht darum, den Opfern etwas zu geben. Das Wichtigste ist für sie der Zukunftsfonds und dass der deutsche Stern am Mercedes in der Welt glänzen kann.« Im Gespräch mit der Jungle World zeigte sich der Vize-Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees einen Tag nach den letzten Verhandlungen um die Aufteilung der Entschädigungszahlungen recht illusionslos. Und dennoch: Dass von diesem Geltungsbedürfnis der Deutschen diesmal die Opfer des Nationalsozialismus profitieren, sei natürlich ein Lichtblick.

Doch es wird noch eine ganze Weile dauern, bis sie das erste Geld bekommen. Nichts wurde aus den großspurigen Versprechungen, dass die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter die ersten Entschädigungszahlungen Anfang dieses Jahres erhalten. Inzwischen ist die Rede davon, dass frühestens Ende 2000 das erste Geld überwiesen werde. Für die individuelle Entschädigung früherer NS-Zwangs- und Sklavenarbeiter sind 8,1 Milliarden Mark vorgesehen, für Vermögensschäden eine Milliarde. Dieses Geld soll sowohl für Opfer von so genannten Arisierungen verwendet werden, als auch für Klagen, die in den USA gegen deutsche Versicherungen, allen voran die Allianz, anhängig sind. Das wurde letzte Woche festgelegt. Mehr aber auch nicht.

Ein Gesetz, das regelt, wer wann wieviel Geld bekommt, existiert nicht. Erst letzte Woche verabschiedete das Bundeskabinett im zweiten Anlauf den Gesetzentwurf zur Errichtung einer Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«. Im ersten Entwurf war mit allen Mitteln versucht worden, den Kreis der Anspruchsberechtigten so klein wie möglich zu halten. Nach der dritten Lesung könnte der neue Gesetzesvorschlag dann Bundestag und Bundesrat passieren. Was vielleicht - wenn sich alle Beteiligten sehr anstrengen - noch vor der Sommerpause geschehen wird.

Und dann ist es endlich soweit. Dann passiert das, was der deutschen Industrie bei den Entschädigungsverhandlungen am wichtigsten war, was sie überhaupt dazu gebracht hat, sich darauf einzulassen: Die US-Regierung wird den Unternehmen Rechtssicherheit garantieren. Dadurch sollen alle deutschen Unternehmen vor weiteren Klagen der Opfer des Nationalsozialismus geschützt werden. Erst wenn diese juristische Sicherheit für deutsche Unternehmen rechtskräftig vereinbart ist, wird es zur Auszahlung der ersten Gelder kommen, wiederholte letzte Woche der Chefunterhändler der deutschen Industrie, Manfred Gentz. Bis dahin sterben jeden Monat ein Prozent der Anspruchsberechtigten.

Das Warten auf einen garantierten ökonomischen Schluss-Strich erlaubt der deutschen Seite, weiterhin auf Zeit zu spielen. Alfred Hausser, Sprecher der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter, geht davon aus, dass letzte Woche nur ein kleiner Schritt nach vorne getan worden sei. »Nicht einmal die Anmeldestellen, wo sich die Betroffenen die Anträge holen können, sind bekannt«, bedauert Hausser. Und die Industrie hat ihre zugesagten fünf Milliarden Mark noch nicht einmal annähernd zusammen. Nur 600 der 200 000 angeschriebenen Unternehmen sind bis jetzt dem Stiftungsfonds beigetreten.

Neben der Rechtssicherheit war der so genannte Zukunftsfonds das zweite Anliegen der Industrie. Immer wieder mussten die Verhandlungen unterbrochen werden, weil die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft darauf bestand, eine Milliarde Mark - zehn Prozent der Gesamtsumme - dem Fonds zuzuschlagen, ohne konkret sagen zu können oder zu wollen, was mit dem Geld geplant sei. Die offizielle Version lautet, dass damit Projekte finanziert werden sollen, die die »Völkerverständigung« vorantreiben. Humanitäres Esperanto für alle?

Nach den Ergebnissen der letzten Verhandlungsrunde wurde der Zukunftsfonds auf 700 Millionen Mark begrenzt. Davon bilden 100 Millionen eine Reserve für unerwartete Klagen gegen Versicherer, die Policen von NS-Opfern einbehalten haben. Der Zukunftsfonds soll wie eine privat-rechtliche Stiftung behandelt werden. Das heißt, dass nur die Zinsen aus dem Fonds ausgezahlt werden können. Bei fünf bis acht Prozent Zinsen stehen jährlich 40 bis 50 Millionen Mark zur Verfügung. Die 700 Millionen sind auf Dauer angelegt und können nach zehn bis zwanzig Jahren ausgelöst werden. Ob die Gelder dann wieder an die Industrie zurückfließen, ist noch nicht entschieden.

Was mit dem Geld finanziert werden soll, erläutert Wolfgang Gibowski, Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, ganz staatsmännisch:»Der Zukunftsfonds soll dazu beitragen, dass in Europa nie wieder so etwas wie der Nationalsozialismus passiert.« Kurt Goldstein vermutet allerdings, dass das Geld mehr dazu benutzt werde, Deutschland im Ausland positiv zu vermarkten: »Deutschland soll in aller Welt ins rechte Licht gerückt werden.«

Bleibt die Frage, welche Gründe die Unternehmen denn sonst dazu bewegen könnten, sich an der Stiftungsinitiative zu beteiligen. Gibowski kann darüber Auskunft geben: »Viele Firmen wollen sich nur an etwas beteiligen, das mit der Zukunft zu tun hat und nicht mit der Vergangenheit. Wir brauchen deshalb den Zukunftsfonds, um das humanitäre Anliegen für diejenigen interessant zu machen, die an die Zukunft denken.« Bei der Verhandlung letzte Woche wurde nun, vor allem auf Druck der osteuropäischen Delegationen, vereinbart, dass sich der Fonds in den ersten zehn Jahren vorrangig mit sozialen Projekten für die Opfer beschäftigt.

Der Schwerpunkt des Zukunftsfonds sollte in den Augen der Wirtschaft nicht auf sozialen Projekten liegen. Am Anfang waren Wirtschaftskräfte-Austausch und Joint-Venture-Programme zum Beispiel mit osteuropäischen Staaten vorgesehen. Davon ist in den offiziellen Verlautbarungen inzwischen nicht mehr die Rede. Was die Stiftungsinitiative den Unternehmen allerdings alles verspricht, um ihnen einen Beitritt schmackhaft zu machen, weiß niemand genau.

Eine Nachfrage bei kleinen und mittelständischen Berliner Betrieben zeigt, dass die Gründe, der Stiftungsinitiative beizutreten, unterschiedlich sind. Bei einigen kommt die ökonomische Selbstsorge und das Schluss-Strich-Denken deutlich durch den Telefonhörer.

Die Firma Hopf, Ringleb und Co. ist dagegen dem Entschädigungsfonds beigetreten, weil der Inhaber Paul-Dieter Hopf die Werbung der Stiftungsinitiative im Fernsehen sah und mitbekam, dass »die Deutschen sich nur sehr sparsam an der Stiftung beteiligen«. Von dem Zukunftsfonds hat er noch nichts gehört.

Er fühlt sich zwar nicht in der Verantwortung für das Unrecht, das vor 1945 begangen wurde, meint aber, dass die Wirtschaft sich nicht herausreden kann. »Begangenes Unrecht muss gemildert werden«, darauf besteht Hopf. Er habe einen symbolischen Betrag gespendet, um die Opfer zu unterstützen. Seine Familie sei im NS von Nachbarn als jüdisch angezeigt worden. Nachdem sie eine kirchliche Heirat nachweisen konnten, seien sie in Ruhe gelassen worden.

Hopf weiß, welche Firmen während des Nationalsozialismus Zwangsarbeiter in Berlin beschäftigt hatten. »Ich habe der Stiftungsinitiative dann auch Tipps gegeben, an wen sie sich wenden können«, erklärt er.

Die Firma Bley und Co. ist ebenfalls der Stiftungsinitiative beigetreten. Ihr Inhaber Thomas Bley lamentiert über die schlechte Geschäftslage der mittelständischen Betriebe in der Bundesrepublik. Er hat gehört, dass mit dem Zukunftsfonds den kleinen Unternehmen auf die Beine geholfen werden solle. »Es ist wichtig, dass sich endlich mal jemand um uns kümmert«, freut sich der junge Firmenchef. Erst nach mehrmaliger Nachfrage ist er geschickt genug, seinen selbstbezogenen Wirtschaftsdiskurs zu korrigieren, und verkündet, dass es auch für ihn in Ordnung sei, wenn das Geld aus dem Zukunftsfonds den ehemaligen Zwangsarbeitern zugute komme.

Der Geschäftsführer der Wärmetechnikfirma Aluta insistiert darauf, dass endlich Schluss sein müsse mit der »Vergangenheitsbewältigung«. Mit dieser Aussage liegt er auf einer Linie mit Rolf Breuer, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank. Der fordert, dass nach dem Ende der Entschädigungsverhandlungen endlich ein »finaler Schluss-Strich« unter die deutsche Vergangenheit gezogen wird.