Endstation Ingelheim

In Rheinland-Pfalz wird eines der größten Flüchtlingslager Deutschlands gebaut. Vom Geduldeten bis zum Abschiebehäftling kriegen die Behörden hier jeden unter.

Der Komplex ist einzigartig in Deutschland: Am Stadtrand von Ingelheim lässt das Land Rheinland-Pfalz ein Sammellager für Flüchtlinge hochziehen, das es in sich hat. Der Abschiebekomplex besteht gleich aus drei Teilen. Bislang getrennte Felder der staatlichen Flüchtlingsfürsorge sollen so an einem Ort konzentriert und miteinander vernetzt werden.

Noch wird fleißig gebaut: Denn das Kernstück der Landesunterkunft Rheinland Pfalz (Lurp) - das Abschiebegefängnis - dürfte erst gegen Ende des Jahres fertig werden. Ab Januar 2001, so plant es zumindest die Mainzer SPD/FDP-Koalition, sollen hier bis zu 150 Flüchtlinge eingesperrt werden, deren Asylanträge von den deutschen Behörden abgelehnt wurden. Die Plätze in der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige (GfA) sind begehrt. Allein 50 Betten sind schon jetzt für Flüchtlinge aus dem Saarland reserviert. Und um auch die Nachbarländer Hessen und Baden-Württemberg am zweifelhaften Genuss zentraler Hafteinrichtungen teilhaben zu lassen, hält man beim Innenministerium in Mainz die Erweiterung des Komplexes auf 400 Abschiebeplätze für denkbar.

Einsam jedenfalls müssen sich die Abschiebehäftlinge dann nicht fühlen. Auf dem Gelände der im Dezember 1998 geschlossenen zentralen Aufnahmestelle für Asylsuchende (Afa) befinden sich bereits die Landesunterkunft für Ausreisepflichtige (Lufa) und die Notunterkunft für Kommunen mit 300 Plätzen. Städte und Gemeinden, die mit der »Unterbringung« von Flüchtlingen überfordert seien, heißt es in einem Schreiben des rheinland-pfälzischen Innenministeriums vom September 1999, können ihre Zöglinge nun hier auslagern. Allerdings nur im Falle einer Notsituation: Die sieht Mainz dann gegeben, wenn »vorübergehend untergetauchten oder auch ausgereisten mehrköpfigen Familien nach Stellung eines erneuten Asylantrags nicht unmittelbar adäquater Wohnraum zur Verfügung gestellt werden kann«.

Sorgen sich die rheinland-pfälzischen Abschiebehörden plötzlich um menschenwürdige Lebensbedingungen für MigrantInnen? Die Zustände in der Notunterkunft in Ingelheim sprechen dagegen: Der »adäquate Wohnraum« für eine zehnköpfige Familie etwa wird mit gerade einmal 35 bis 40 Quadratmetern angesetzt. Und auch das gesetzlich definierte Existenzminimum errechnet sich anders als für Deutsche: Statt Geld erhalten die Flüchtlinge im Sammellager Ingelheim Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Selbst frei bewegen dürfen sie sich nicht. Ohne offizielle Duldung ist es ihnen nicht gestattet, mit ihrem Hausausweis die Grenzen des Landkreises Mainz-Bingen zu überschreiten.

Bereits in Betrieb ist neben der Notunterkunft die Landesunterkunft für Ausreisepflichtige - ein Modellprojekt, in dem derzeit 21 Menschen hausen müssen. Zwar sind die Bedingungen hier weniger repressiv als in den meisten Abschiebegefängnissen - die Flüchtlinge erhalten immerhin eine Duldung -, doch ist diese mit der Pflicht verbunden, sich dreimal wöchentlich beim Sozialdienst der Anstalt zu melden. Die von den Behörden als »Alternative zur Abschiebehaft« bezeichnete Unterkunft hat eine Kapazität von 100 Plätzen; die Dauer der Zwangsunterbringung ist unbefristet und endet mit der »freiwilligen Ausreise«.

Diese »Freiwilligkeit«, kalkuliert das Innenministerium, soll mit einer Kombination aus psychosozialer Betreuung und ausländerrechtlicher Zwangsberatung durch die Beamten in der Einrichtung erzeugt werden: Auf die Bereitschaft der MigrantInnen, »bei der Passbeschaffung mitzuwirken«, kommt es an. Das Ziel ist, Flüchtlinge jederzeit für »behördliche Maßnahmen« verfügbar zu machen, wie es in dem Schreiben des Innenministeriums heißt.

Kaum verwunderlich, dass diese Beratung individuelle Fluchtursachen ignoriert: Die Flüchtlinge sollen schnell von dem Gedanken an eine Lebensperspektive in Deutschland abgebracht werden. Wem diese Option nicht passt, der landet eben im benachbarten Abschiebeknast. »Durch die Struktur des Komplexes soll der Weg vom Asylantrag bis zur Abschiebung vereinfacht und die Isolierung von Menschen sichergestellt werden«, kritisiert auch die Aktion Kein Abschiebeknast in Ingelheim (Akai).

Die Initiative erwartet, dass Spannungen unter den Insassen durch das »enge Zusammenleben von bis zu 550 Menschen mit unterschiedlichem Status und ohne Lebensperspektive in diesem streng reglementierten Bereich« erst produziert werden. Nicht ohne Grund: Eine der Lufa vergleichbare Einrichtung im nordrhein-westfälischen Lübbecke wurde erst vor kurzem geschlossen. Die Situation unter den Insassen, monierten nicht etwa Flüchlingsgruppen, sondern die Gefängnisleitung, sei unhaltbar geworden.