Bürgermitbestimmung in Mexiko

61 zu 189

»Somos el pueblo«, »wir sind das Volk« - so lautet die Antwort aller Einwohner der Ortschaft Francisco I. Madero (Gemeindebezirk Tepatepec) im mexikanischen Bundesstaat Hidalgo auf Fragen nach ihrem Namen. Verständlich, dass sie anonym bleiben wollen, immerhin haben diese »anonymen Helden« am 19. Februar ihrem »Volkswillen« deutlich Ausdruck verliehen und den Machtkampf gegen die Behörden - bisher zumindest - auch noch gewonnen.

Ein seltenes Bild bot sich an diesem Wochenende in Tepatepec: 61 Polizisten knieten, die Hände hinter dem Kopf festgebunden und ausgezogen bis auf die Unterwäsche, auf dem Marktplatz, umringt von der örtlichen Bevölkerung. Die 61 Polizisten gehörten zu einer Spezialeinheit, die am 19. Februar die örtliche Hochschule Escuela Normal Rural de El Mexe geräumt hatte, die seit dem 5. Januar von Hunderten von Studierenden und Familienangehörigen besetzt gehalten worden war.

Diese Bildungseinrichtungen sind Hochschulen in ländlichen Gegenden, in denen vorwiegend Landschullehrer ausgebildet werden. Oft stellen sie die einzige Möglichkeit der Weiterbildung für die ärmsten Bevölkerungsschichten dar. Ein Reformplan der Zentralregierung sieht nun die Schließung oder Umstrukturierung zahlreicher dieser Hochschulen, darunter auch El Mexe, in sieben verschiedenen Bundesstaaten Mexikos vor.

Am 19. Februar stürmten am frühen Morgen 300 bis 400 schwer bewaffnete Polizisten die Hochschule und schlugen brutal auf die Studierenden und einige vor dem Gebäude stehende Männer, Frauen und Kinder ein. 169 Studierende und 20 Einwohner von Francisco I. Madero wurden mit Gefangenentransportern in Haftanstalten des Bundesstaates verlegt.

Als die Räumung bekannt wurde, sammelten sich etwa 2 000 Angehörige und Einwohner und führten eindrücklich vor, was das in Lateinamerika beliebte Wort »Volksmacht« - was sich deutlich von den hier favorisierten Konzepten der Bürgermitbestimmung unterscheidet - in der Praxis bedeutet: Sie blockierten mit Barrikaden aus Baumstämmen und Steinen die Zufahrtsstraßen zu der kleinen Ortschaft, umzingelten die Hochschule mit den darin befindlichen Polizisten und errichteten brennende Barrikaden, um die Einheiten der Polizei an der Flucht zu hindern. In den umliegenden Straßen wurden sieben Polizeifahrzeuge niedergebrannt und weitere elf beschädigt.

61 Polizisten fielen in die Hände der aufgebrachten Menge, die ihnen Uniformen und Schuhe auszog und sie auf den zentralen Platz des Ortes schleppte. Halbnackt, gefesselt und auf Knien wurde ihnen »ein Prozess gemacht«. Die angesichts der brutalen Übergriffe empörte Bevölkerung forderte die Freilassung der 189 Inhaftierten und drohte ansonsten, die Polizisten »zu verbrennen oder aufzuhängen«. Nach fünf Stunden Verhandlungen einigte man sich mit den offiziellen Autoritäten auf einen Gefangenenaustausch. Die 189 Inhaftierten wurden gegen Kaution freigelassen, und im Gegenzug ließ die Bevölkerung die 61 Polizisten laufen.

Für die Machthaber der seit über 70 Jahren uneingeschränkt herrschenden Staatspartei PRI stellen die Geschehnisse in Hidalgo ein Eigentor dar: Zehntausende Studierende und Mitarbeiter weiterer normaler Landschulen in vier Bundesstaaten kündigten einen eintägigen Streik und Aktionen zur Unterstützung von El Mexe an. Was nach der Räumung der Unam in Mexiko-Stadt das Ende einer Studentenbewegung sein sollte, könnte sich als Anfang einer breiteren Bewegung entpuppen.