Kehraus in Quito

Was in Ecuador als Revolte begann, endete mit einer Entscheidung aus dem US-State Department: Vizepräsident, übernehmen Sie!

Die Enttäuschung stand vielen der Indigenas im Zentrum Ecuadors am vergangenen Sonnabend ins Gesicht geschrieben. Verraten und verkauft fühlten sich viele von ihnen durch den Armeechef und Verteidigungsminister Carlos Mendoza. Der hatte wenige Stunden nach der Gründung einer »Junta zur nationalen Rettung«, der er selbst angehörte, diese wieder aufgelöst - gegen den Willen seiner Mitstreiter, die ihm nun Verrat vorwerfen.

Wie konnte es dazu kommen? Der Kollaps der bisherigen Regierung von Präsident Jamil Mahuad begann am Freitagmorgen. Da marschierte die Indigena-Bewegung zum Kongress in Quito. Eine Militäreinheit sollte das Gebäude schützen, aber einer Gruppe von Indigenas gelang die Besetzung. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Pulsar gaben einige hundert auf gepanzerten Fahrzeugen anrückende Soldaten aus der Militärakademie den Besetzern Rückendeckung. Kurz darauf erklärte Napole-n Saltos, Abgeordneter der Indio-Partei Pachakutik, dass man die drei Mächte des alten Staatsapparates nicht mehr anerkenne: Präsident Mahuad sei hiermit abgesetzt. Der Chef der Indigena-Organisation Conaie, Antonio Vargas, kündigte die Bildung einer »Junta der nationalen Rettung« an - bestehend aus ihm selbst, dem Juristen Carlos Sol-rzano und Oberst Lucio Gutiérrez, als Repräsentant der mittleren Ränge des Militärs und verschiedener Einheiten, die mit der aufständischen Bewegung sympathisieren. Die Indios erklärten, in Kürze die Zentralbank, das Oberste Gericht und den Regierungspalast einzunehmen.

Als immer mehr mittlere Ränge des Militärs sich landesweit der Rebellion anschlossen, legte das Oberkommando der Streitkräfte einen Kursschwenk hin: Nachmittags forderte General Mendoza den Präsidenten zum Rücktritt auf - um »eine soziale Explosion« in Ecuador zu vermeiden.

Die folgenden Stunden sind bislang kaum zu rekonstruieren. Nach Angaben von Pulsar von 19.15 Uhr erklärte Conaie-Chef Vargas im besetzten Kongressgebäude, das ecuadorianische Volk habe gesiegt. Oberst Gutiérrez kündigte eine Ablösung der Oberkommandierenden der Streitkräfte und des Heeres sowie des Generalstabs-Chefs an.

Kurz vor Mitternacht, so schreibt die New York Times, tauchte nach einigen Stunden Verhandlungsdauer mit Vargas, Gutiérrez und deren Unterstützern, General Mendoza auf, um die neue Regierung durch ein »Triumvirat« zu ersetzen. Er selbst werde Gutiérrez ersetzen, während Vargas und Sol-rzano weiter beteiligt seien.

Nach Angaben von Pulsar von Samstag, 00.00 Uhr, wurde Gutiérrez zum Minister der Regierung ernannt. Um 3.10 Uhr meldete Pulsar, das Oberkommando der Streitkräfte habe mit Rückendeckung von General Mendoza entschieden, als Nachfolger von Präsident Jamil Mahuad den Ex-Vizepräsidenten Gustavo Noboa zu installieren.

Über den Rundfunk erklärte der starke Mann Mendoza, dass er sich der Revolte nur angeschlossen habe, um ein Blutvergießen im Kampf um die Regierungsgebäude zu vermeiden. Anschließend verkündete er seinen Rücktritt aus dem Triumvirat.

Am nächsten Morgen um acht Uhr wurde Oberst Gutiérrez nach Angaben seiner Ehefrau von einem achtköpfigen Kommando, das erklärte, dem militärischen Geheimdienst anzugehören, gefangen genommen. Die Menschenrechtsorganisationen fordern nun, dass der neue Präsident Noboa sich für die physische Integrität von Gutiérrez und anderen, ebenfalls am Samstagmorgen verhafteten Offizieren einsetzt. So endete das kurze Experiment des Alternativ-Parlaments.

Im Rückblick scheint es klar zu sein, dass das militärische Oberkommando den populären Staatsstreich nie wirklich unterstützen wollte. Offen ist momentan, ob die den Coup unterstützenden mittleren Ränge des Militärs von Mendoza über den Tisch gezogen wurden oder aber Zweifel bekamen, für eine erfolgreiche Ausführung des Putsches über genügend Unterstützung im Militär zu verfügen, und daher klein beigaben.

Ausschlaggebend dürften aber auch die internationalen Reaktionen gewesen sein. Peter F. Romero, stellvertretender Staatssekretär und verantwortlich für die US-Politik in der Region, drohte gegenüber Radio Quito unverhohlen mit der Blockierung von IWF-Krediten für Ecuador durch die USA, wenn die Armee sich nicht zurückziehe. Ein Treffen für die kommende Woche in Paris zur Freigabe von Krediten über eine Milliarde US-Dollar sei angesichts der Situation in Quito bereits abgesagt worden.

Angesichts des Drucks aus Washington, aber auch von Seiten der EU und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), dessen Präsident César Gaviria den Putsch umgehend verurteilt hatte, ging die Regierungsgewalt auf den Vizepräsidenten Gustavo Noboa über. Der gelernte Jurist unterzeichnete wenige Stunden später im Verteidigungsministerium seine Antrittsurkunde und wurde auch vom Kongress bestätigt. In seinem ersten öffentlichen Auftritt sicherte der als integer geltende neue Präsident den Indigenas zwar zu, den Kampf gegen die Korruption in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen. Aber an den von seinem aus dem Amt geputschten Vorgänger Jamil Mahuad eingeleiteten Reformen, so auch der »Dollarisierung« des Landes, wolle er festhalten.

Damit haben die von Gewerkschaften und Studenten unterstützten Indigenas nur einen Teil ihrer Ziele erreicht. Die Indigena-Organisation Conaie, die eigenen Angaben zufolge rund vier Millionen Indigenas und somit rund ein Drittel der Bevölkerung Ecuadors repräsentiert, hatte nicht nur den Rücktritt des Präsidenten, der Regierung und des Kongresses gefordert, sondern die vollkommene Neukonstituierung der politischen Institutionen des Landes.

Auf Gemeinde-, Kreis- und Provinzebene wurden im Laufe der letzten Monate Gegenparlamente gebildet, die wiederum Delegierte in das Nationalparlament der Gemeinden, das am 11. Januar gegründet wurde und dem gewählten Kongress jede Legitimation absprach, entsandten. Nicht der Kongress, sondern das Nationalparlament sei das Sprachrohr der verarmten Bevölkerungsmehrheit, die von der Dollarisierung des Landes nur weiteres Elend zu erwarten hätten, so deren Präsident Alberto Luna Tobar in der Presseerklärung zur Gründungsresolution.

Alternative, nachhaltige Entwicklung statt eines »neoliberalen« Wirtschaftsmodells und echte Partizipation statt der in Ecuador üblichen parlamentarischen Selbstbedienungsmentalität sind die zentralen Forderungen der Resolution, deren übergeordnetes Ziel die Bildung einer neuen Regierung ist. Deren Aufgabe sei es, ein Ecuador nach den Bedürfnissen des Volkes aufzubauen.

Zur Durchsetzung dieses Modells hatte die Conaie rund 40 000 Menschen nach Quito mobilisiert, die - parallel zu Widerstandsaktionen in anderen Landesteilen - die wichtigsten Straßen in der Hauptstadt sperrten und die Versorgung Quitos mit Lebensmitteln teilweise lahmlegten, um die Regierung zum Rücktritt zu zwingen.

Dazu hätte es allerdings der Unterstützung der Armee bedurft, zu der die Kontakte im November letzten Jahres geknüpft wurden. Bereits beim Kongress der Conaie am 11. November waren Militärs vom progressiven Flügel zugegen. Die Kontakte liefen über Oberst Lucio Gutiérrez und Fausto Cobo sowie eine Gruppe junger Offiziere, die der Krise des Landes ein Ende setzten wollten, für die sie den Präsidenten Jamil Mahuad veranwortlich machten.

Gutiérrez, Wortführer der Gruppe, organisierte am 24. Dezember ein weiteres Treffen zwischen der Conaie und Teilen der militärischen Führung, die sich zum diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht festlegen wollte. Erst durch die von Präsident Mahuad am 9. Januar angekündigte Dollarisierung des Landes und die daraufhin beschlossene »Erhebung« der Indigenas gewann der Prozess an Dynamik.

Am Dienstag vergangener Woche trafen sich die Repräsentanten des Indio-Dachverbandes mit höchsten militärischen Führungskreisen - Teile der Armee hatten sich mit dem Gedanken vertraut gemacht, dem Präsidenten die Gefolgschaft zu verweigern.

Die USA müsse die Volksentscheidung anerkennen, betonte der ehemalige Richter Carlos Sol-rzano, der für kurze Zeit Mitglied der Junta war, kurz nach der faktischen Absetzung des Präsidenten Mahuad am späten Freitagabend zuversichtlich. Doch mit der Ankündigung, Ecuador nicht mehr finanziell zu unterstützen, setzte Washington dem wirtschaftlich am Boden liegenden Ecuador die Pistole auf die Brust. Ein Scheitern der Verhandlungen mit dem IWF hätte Ecuador schließlich weltweit kreditunwürdig gemacht - angesichts eines Schuldenberges von rund 15 Milliarden US-Dollar und der anhaltenden Kapitalflucht aus dem Andenstaat eine ausweglose Perspektive innerhalb der kapitalistischen Logik.

Verantwortung für die tiefgreifende Wirtschaftskrise, die zum Sturz der Regierung Mahuad geführt hat, trägt allerdings auch die in Washington ansässige Finanzinstitution, die in den letzten Jahren recht lax bei der Kreditvergabe vorging.

Sechs Präsidenten wurden in den letzten vier Jahren verschlissen, und alle gingen mit dem Ruch der Korruption in den Ruhestand. Auch das Laissez-faire aus Washington hat einiges dazu beigetragen, dass der Andenstaat nun seine schlimmste Wirtschaftskrise seit 70 Jahren durchmacht. Grundlegende Maßnahmen wie die Steuerreform wurden nicht auf den Weg gebracht, so dass das Haushaltsdefizit der Regierung immer wieder durch Kredite ausgeglichen werden musste. Das Gros der Unternehmer mogelt sich nach wie vor um den Obolus an die Staatskasse herum. Ein anderes deutliches Krisensymptom ist der Transfer der Vermögen ins Ausland. Allein 1999 sollen vier Milliarden US-Dollar aus Ecuador abgeflossen sein.

Mit Mahuad gingen die Banker jedoch weniger sanft um als mit seinen Vorgängern. Anfang Januar, als die nationale Währung binnen weniger Tage um 15 Prozent an Wert verlor, wurde der Regierung in Quito schlicht untersagt, den Sucre zu stützen. Dann müssten die unterschriftsreifen Abkommen neu verhandelt werden, hieß es aus Washington. Damit blieb Mahuad nur ein geringer Handlungsspielraum.

Beraten vom ehemaligen argentinischen Finanzminister Domingo Cavallo, trat Mahuad die Flucht nach vorn an und setzte auf die Einführung des Dollars als Leitwährung. Parallel dazu ließ Mahuad das Kabinett geschlossen zurücktreten, um einer neuen - über eine parlamentarische Mehrheit verfügende - Regierung Platz zu machen und einen Neuanfang einzuleiten.

Die ersten Reaktionen im Kongress, aber auch von Unternehmerseite waren verhalten positiv. Der Rettungsanker Dollarisierung wurde von einer Parlamentsmehrheit begrüßt, und auch das Direktorium der Zentralbank hatte Zustimmung signalisiert, nachdem dessen Präsident Pablo Better Mitte Januar demissioniert war. Vorsichtige Zustimmung erntete Mahuad mit seinem Plan auch in der internationalen Finanzwelt. Das A und O sei jedoch ein wirtschaftliches Sanierungsprogramm, ohne das die Dollarisierung effektlos verpuffen würde, so Heinz Mewes, Chefökonom der Dresdner Bank Lateinamerika AG in Hamburg. »Die Ursachen der anhaltenden Wirtschaftskrise, der marode Finanzsektor, der defizitäre Staatshaushalt und die hohe Auslandsverschuldung werden durch die Einführung des Dollars als Leitwährung nicht gelöst.«

Weiteres Krisensymptom ist der Währungsverfall unter der Ägide Mahuads. Während die nationale Währung im Dezember 1998 noch mit 6 576 Sucre pro US-Dollar gehandelt wurde, waren es Mitte Januar 25 000 Sucre. Dies ist exakt der Kurs, zu dem auch sämtliche Sucre-Bankguthaben in US-Dollar umgetauscht werden sollen.

Verantwortlich für den Währungsverfall ist zum einen die Bankenkrise, zum anderen das Haushaltsdefizit, die negative Konjunkturlage sowie die externe Verschuldung des Landes. Das Gros der 39 Geldinstitute hat mit Liquiditätsengpässen zu kämpfen, sitzt auf faulen Krediten und muss saniert oder geschlossen werden. In die Gunst von staatlichen Hilfe in Höhe von rund einer Milliarde US-Dollar kamen allerdings vornehmlich Institute, die den Wahlkampf Mahuads vor zwei Jahren finanzierten, weshalb der Ex-Präsident als ähnlich korrupt wie seine Vorgänger gilt.

Die Bevölkerung jedoch sollte die Zeche zahlen. Erste Subventionen wurden Anfang letzten Jahres gestrichen, Preise für Benzin und Gas sowie staatliche Dienstleistungen kräftig erhöht, um die Haushaltslöcher der Regierung zu stopfen. Damit dämpfte die Regierung, die ohnehin schon schleppende Konjunktur. In der Landwirtschaft, dem wichtigsten Arbeitgeber des Landes, hatte das Klimaphänomen El Ni-o verheerende Schäden angerichtet, und beim Erdöl, dem wichtigsten Exportprodukt, waren die Weltmarktpreise in den Keller gerutscht. Pro Barrel (159 Liter) kamen 25 Prozent weniger Einnahmen in die Kassen, weshalb die Bevölkerung nun den Sprit im Inland teuer bezahlen sollte. Preissteigerungen von über 160 Prozent riefen den Unmut der Bevölkerung hervor, deren Lohn ohnehin immer geringer wurde.

Während der Mindestlohn im Januar 1999 noch einen Gegenwert von etwa 250 Mark hatte, sind es derzeit noch rund 100 Mark. Parallel zum Lohnverfall verlief die Talfahrt der Wirtschaft. Um rund sieben Prozent schrumpfte das Bruttosozialprodukt im vergangenen Jahr.

Mit der Dollarisierung des Landes wird sich der Negativtrend für die Bevölkerung weiter fortsetzen, fürchten Gewerkschaften und Conaie. Bereits jetzt gelten 65 Prozent der Ecuadorianer als arm, und rund die Hälfte von ihnen leben unter Bedingungen der absoluten Armut. Für die Ernährung einer fünfköpfigen Familie fallen monatlich 250 US-Dollar an Kosten an - Geld, das vielen Familien schon jetzt nicht mehr zur Verfügung steht, weshalb sie gegen die Sparpolitik opponieren.

Doch bisher ohne Erfolg. Am Sonntag verließen die Demonstranten größtenteils wieder die Hauptstadt. Den anvisierten Rücktritt Mahuads haben sie zwar erreicht, aber alle weiterreichenden Ziele wurden verpasst. Gustavo Noboa, der neue Präsident, will in Sachen Wirtschaftspolitik vorerst alles beim Alten lassen. Insbesondere die Dollarisierung soll umgesetzt werden. Nur gegen die Korruption will er entschlossen vorgehen. Das haben auch schon seine Vorgänger versprochen.