Hilfe zur Selbsthilfe

Deutsche Gelder für den Trikont kommen vor allem der deutschen Wirtschaft zu Gute. Das hat eine Studie jetzt noch einmal bestätigt.

Die staatliche Entwicklungshilfe mache Reiche reicher und Arme noch ärmer, schrieb Brigitte Erler Mitte der achtziger Jahre in ihrem Buch »Tödliche Hilfe«. Nach einer Dienstreise hatte sie ihre gut bezahlte Stelle als Referentin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fristlos gekündigt. Der Grund: »Ohne Entwicklungshilfe ginge es den Menschen in den Ländern der Dritten Welt besser.« Noch lange Zeit danach geisterte innerhalb der entwicklungspolitischen Gruppen, die die so genannte Entwicklungshilfe kritisieren, eine Standardaussage herum: Für jede Mark, die das BMZ ausgibt, fließen rund 80 Pfennige aus den Trikontstaaten zurück nach Deutschland.

Diese Behauptung revidierte nun das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, das im Auftrag des BMZ eine Studie über die »Auswirkungen der Entwicklungszusammenarbeit auf den Wirtschaftsstandort Deutschland« erstellte - unter den Vorzeichen hoher Arbeitslosigkeit hier und knapper Ressourcen weltweit. Das Ergebnis ist eindeutig: Die »positiven Wirkungen der deutschen bilateralen öffentlichen Entwicklungshilfe« seien erheblich größer als bisher angenommen. »Weit mehr als das Doppelte jeder Mark (in der Simulationsrechnung genau DM 2,79), ausgegeben für Entwicklungshilfe, hat sich in der untersuchten Zeitperiode überproportional als Ertrag für die deutsche Volkswirtschaft niedergeschlagen. Die Beschäftigungseffekte sind dementsprechend hoch«, heißt es in dem Forschungsbericht.

Bereits vor 15 Jahren ließ das BMZ den Einfluss von Entwicklungshilfe auf Beschäftigung und Exporte in Deutschland untersuchen. Es ging dabei um den Umfang der Aufträge, die das BMZ wegen der Lieferbindung, die eine internationale Ausschreibung der Projektaufträge verbietet, deutschen Unternehmen erteilte. Damals wurde geschätzt, dass die staatliche Entwicklungshilfe über 125 000 Menschen mit einem Arbeitsplatz versorgt. Die indirekten Wirkungen der Entwicklungshilfe jedoch hatten die Wissenschaftler nicht berücksichtigt - im Gegensatz zur aktuellen Studie des ifo-Institutes. Diese beziehen sich nicht auf die Aufträge, die deutsche Unternehmen erhalten, sondern es geht um die so genannte »Türöffnerfunktion« der Entwicklungsleistungen: So ziehen Projekte oft Folgeaufträge für deutsche Exporteure nach sich; neue Märkte in dem jeweiligen Trikontland lassen sich oft leichter erschließen, da deutsche Unternehmen und die Handelspartner schneller Kontakt herstellen können. Würde die Entwicklungshilfe überraschend eingestellt, meinen die Autoren der Studie, entstünde in der Bundesrepublik ein wirtschaftlicher Schaden großen Umfangs: Bis zu 240 000 Arbeitsplätze seien dann gefährdet.

»Entwicklungszusammenarbeit ist zwar nicht darauf angewiesen, sich durch positive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland zu rechtfertigen - allerdings sind diese Erkenntnisse willkommene Argumentationshilfen, gerade in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte«, sagt etwa Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Diese »willkommene Argumentationshilfe« hatte der Ministerin jedoch wenig genützt, als Finanzminister Hans Eichel im Sommer 1999 sein »Sparpaket« schnürte. Statt einer Erhöhung der Entwicklungshilfeleistungen musste das BMZ rund acht Prozent seines Etats kürzen. Vom Ziel der Vereinten Nationen, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes (BSP) an öffentlicher Entwicklungshilfe für die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas zur Verfügung zu stellen, entfernt sich die Bundesregierung weiter. Nur knapp 0,3 Prozent des BSP flossen 1997 in die staatliche Entwicklungshilfe.

Auch in den kommenden Jahren wird das BMZ weiter Federn lassen müssen. Immerhin kann die Bundesregierung die »Aufbauhilfe für den Kosovo« auf ihr 0,7 Prozent-Ziel anrechnen. Denn sowohl Albanien, Jugoslawien als auch die ehemaligen Staaten Jugoslawiens rechnet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mittlerweile zu den Entwicklungsländern. »Entwicklungspolitik und damit die Politik unseres Landes, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen, gewinnt an Glaubwürdigkeit.« Wieczorek-Zeuls Äußerung fällt in eine Zeit, in der das, was die eigene Koalition zuvor zerbombt hatte, nun mit 300 Millionen Mark jährlich wieder aufgebaut werden soll.

Immerhin soll auch Serbiens Bevölkerung etwas von dem Geld abbekommen: Medizinisches Gerät für das Klinische Zentrum in Novi Sad, Prothesen und eine medizinische Grundausstattung für das durch Bombardements zerstörte klinische Zentrum Dragisa Misovic in Belgrad. Im Kosovo will sich das BMZ auf die Wasserversorgung, den Wohnungsbau sowie die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen konzentrieren. Hinzu kommen noch 40 Millionen Mark für die Not- und Katastrophenhilfe im Kosovo.

Nicht nur in Jugoslawien, auch in anderen Regionen der Welt muss ein immer größerer Teil des BMZ-Etats für Not- und Katastrophen-Hilfe aufgewendet werden. Machte dieser Teil des Budgets 1982 nur etwa zwei Prozent aus, so hat er im Jahr 1999 den historischen Höchststand von über zehn Prozent erreicht.

Neben den Veränderungen im Bereich der Katastrophenhilfe und den Budget-Kürzungen kommen noch andere Entwicklungen hinzu, die dazu führen, dass sich die Entwicklungshilfe im Lauf der Zeit verändert hat. So ist kaum davon auszugehen, dass sie den Außenhandel in gleicher Weise beeinflussen wird wie es von 1975 bis 1995 der Fall war. Seit 1992 zeichnen sich Veränderungen in den Handelsbeziehungen Deutschlands mit den klassischen Entwicklungsländern ab. Der Beitrag der Entwicklungshilfe für die deutsche Exportentwicklung bleibe auch weiterhin wichtig, so die Autoren der ifo-Studie.

Dennoch würden die Handelsbeziehungen zunehmend »selbsttragend«, seien also nicht auf Entwicklungshilfe angewiesen. Vor allem die seit Anfang der neunziger Jahre steigenden deutschen Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern seien der Motor für deutsche Exporte. Die Studie sieht daher auf die Entwicklungshilfe neue Aufgaben zukommen: Die Förderung von Reformen und weiterer Strukturanpassungen, die Stärkung von privaten und öffentlichen Institutionen, Schutz der Lebensgrundlagen und Katastrophenvorbeugung.

Das BMZ setzt aber auch weiterhin auf die deutsche Wirtschaft. Ende letzten Jahres stellte die Ministerin der Öffentlichkeit das neue Konzept »Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft« vor. Mit Hilfe des neuen Ansatzes will sie die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit der Wirtschaft »im gegenseitigen Interesse« verstärken.